Es wirkt für Österreich wie eine Rückkehr in die Zeit des Kalten Kriegs: Seit Ende März der frühere Verfassungsschutz-Mitarbeiter Egisto Ott verhaftet worden ist, sind im Land beunruhigende Verbindungen aus Geheimdienstkreisen nach Russland bekannt geworden. Hat Österreich (wieder) ein Spionage-Problem?
Die Spionage-Causa rund um den festgenommenen Ex-Verfassungsschützer Egisto Ott schlägt weiterhin hohe Wellen in Österreich - immer wieder werden Rufe nach strengeren Gesetzen laut. Die konservativ-grüne Bundesregierung in Wien warnt wenige Monate vor der Parlamentswahl vor der langjährigen Russland-Freundlichkeit der rechtspopulistischen Ex-Regierungspartei FPÖ.
Als mutmasslicher Hintermann der Kreml-Aktivitäten im Land entpuppte sich ein in Ungnade gefallener Shooting-Star der deutschen Digitalwirtschaft: der vermutlich nach Russland geflohene Jan Marsalek, ehemals Chef des an die Wand gefahrenen Zahlungsdienstleisters Wirecard.
Österreichischer Geheimdienstler spionierte für Russland
Der verhaftete Egisto Ott wird nach von der Nachrichtenagentur APA zitierten Angaben der Ermittlungsbehörden beschuldigt, "systematisch" Informationen gegen Bezahlung an Russland weitergegeben zu haben.
Zusammen mit Ott sollen in Österreich mehrere Geheimdienstarbeiter als Doppelagenten für Russland tätig gewesen sein. Ihr Hintermann und Auftraggeber war demnach Jan Marsalek. Der frühere Wirecard-Chef, der nach Bekanntwerden eines gigantischen Lochs in der Bilanz des Unternehmens im Juni 2020 aus Deutschland geflohen war, soll heute unter falscher Identität in Russland leben.
"Maulwürfe" in Sicherheitsbehörden
Es geht bei dem Spionage-Skandal, der Österreich erschüttert, beileibe nicht nur um die Aufarbeitung der Vergangenheit. Gegenüber der Nachrichtenagentur AFP heisst es aus Wiener Geheimdienstkreisen, es arbeiteten noch immer "Maulwürfe" in den Sicherheitsbehörden. Und das, während das von
Österreich hat nach Expertenansicht gewaltige Schwächen im Umgang mit ausländischen Spionen. Da ist zum einen die oft mangelhafte Ausbildung der eigenen Geheimdienstmitarbeiter: Während Agenten in anderen Staaten an Eliteuniversitäten oder gesonderten Hochschulen ausgebildet werden, kämen sie in Österreich "einfach aus der Polizei oder Armee", sagt Siegfried Beer, Gründer des auf Geheimdienste spezialisierten Think Tanks ACIPSS.
Dem gegenüber stehen Beer zufolge alleine in der Hauptstadt Wien rund 7.000 ausländische Agenten, die sich weniger für Fiakerfahrten und Sachertorte interessieren - sondern eher für die zahlreichen internationalen Institutionen wie die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) und die Erdöl-Exportländerorganisation Opec, die in der Donaumetropole ihren Sitz haben.
Auch die laxen Gesetze machen den Spionen die Arbeit in Österreich vergleichsweise leicht: Spionage ist im EU-Mitgliedstaat nur dann verboten, wenn sie sich gegen Österreich richtet.
Spionagezentrum Österreich?
Wer russische Interessen vertritt, findet in Wien ausserdem ein seit Jahren relativ freundliches politisches Klima vor. Österreich betrachtet sich seit dem Kalten Krieg als Brückenkopf zwischen Westen und Osten - und war schon zwischen den 1940er und 1980er Jahren eine Spionage-Hochburg. Mit Blick auf die jüngere Vergangenheit drückt es Geheimdienstexperte Beer so aus: "Wir sind seit Jahrzehnten viel zu putinfreundlich."
Besonders hervorgetan mit der Nähe zum russischen Präsidenten hat sich über Jahre die ehemalige Regierungspartei FPÖ. Die Rechtspopulisten schlossen 2016 sogar einen Freundschaftsvertrag mit der Putin-Partei "Geeintes Russland".
Als die FPÖ nach der Nationalratswahl 2017 Teil der Mitte-Rechts-Regierung unter dem konservativen Bundeskanzler Sebastian Kurz von der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) wurde, wurde FPÖ-Rechtsaussen Herbert Kickl zum Innenminister. Wenige Wochen nach Kickls Ernennung, im Februar 2018, durchsuchte die Polizei die Büros des österreichischen Verfassungsschutzes - ein Vorgang, der den Ruf des Inlandsgeheimdienstes schwer beschädigt hat.
Mehrere westliche Geheimdienste schränkten in der Folge ihre Zusammenarbeit mit Österreich ein - weil sie befürchteten, geteilte Informationen könnten über Wien nach Moskau gelangen.
Erinnerungen an Kneissl-Eklat
Aus den Jahren der ÖVP-FPÖ-Regierung sind vielen auch bemerkenswerte Bilder von Aussenministerin Karin Kneissl im Gedächtnis geblieben: Die parteilose Politikerin empfing während ihrer Amtszeit Putin als Gast zu ihrer Hochzeit, begrüsste ihn mit einem tiefen Knicks und tanzte Walzer mit ihm. Im September 2023 zog Kneissl mitsamt ihrer Ponys nach Russland, wo sie seither lebt.
Auf AFP-Anfrage verweist die FPÖ heute darauf, dass ihr Freundschaftsabkommen mit der Putin-Partei seit über einem Jahr aufgekündigt sei.
Der konservative Bundeskanzler Karl Nehammer, der seit 2021 in einer Koalition mit den Grünen regiert, warnte nach Bekanntwerden der Doppelagenten-Affäre um Egisto Ott, Österreich müsse verhindern, dass "russische Spionagenetzwerke unser Land bedrohen, indem sie politische Parteien oder Netzwerke unterwandern" - eine Anspielung auf die FPÖ.
Die Rechtspopulisten können sich Umfragen zufolge unterdessen weiterhin gute Chancen ausrechnen, bei der spätestens im Herbst anstehenden Parlamentswahl stärkste Kraft zu werden.
Härtere Strafen für Spionage gefordert
Die grüne Justizministerin Alma Zadic fordert, die "strafrechtlichen Lücken" im Umgang mit Spionage zu schliessen". Es dürfe nicht mehr möglich sein, dass ausländische Geheimdienste in Österreich straffrei spionierten.
Einen Grund für die Beliebtheit Wiens bei ausländischen Agenten wird Zadic indes nicht ausschliessen wollen: die hohe Lebensqualität in der Stadt, die dafür sorgt, dass sie sich an der Donau wohlfühlen, wie Geheimdienstexperte Beer halb scherzhaft anmerkt.
Teilweise verbringen die Spione hier auch in ihrem Ruhestand. Manche von ihnen haben wenig von der Wiener Luft. In den vergangenen 15 Jahren starben ein ehemaliger jordanischer Geheimdienstchef, ein früherer libyscher Erdölminister und der frühere Schwiegersohn des kasachischen Präsidenten in der Stadt unter ungeklärten Umständen. Die Ermittlungen führten ins Leere. (AFP/lag)
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