Im zweiten Anlauf hat es geklappt. ÖVP, SPÖ und Neos haben sich auf ein insgesamt mehrheitsfähiges Programm geeinigt. Rechtsaussen Kickl hat sich nach seinem Triumph bei der Wahl ausmanövriert und muss Kritik aus den eigenen Reihen einstecken. Kann die Dreierkoalition aus den Fehlern der deutschen Ampel lernen?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Wolfgang Rössler sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Ganz ohne "Brösel" – wie man in Wien sagt – lief es auch diesmal nicht. Soll heissen: Auch beim dritten Anlauf, eine Regierung zu bilden, gab es gelegentliche Misstöne unter den drei künftigen Regierungsparteien. Aber nichts im Vergleich zu den ersten Verhandlungen von ÖVP, SPÖ und Neos. Ganz zu schweigen von den frostigen Gesprächen zwischen den Konservativen mit der je nach Lesart rechtspopulistischen bis rechtsextremen FPÖ, bei der zuletzt sogar die Westbindung Österreichs am Spiel stand.

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"Jetzt das Richtige tun", lautet der Titel des knapp 200 Seiten dicken Regierungsprogramms, das die drei Parteien der Mitte am Donnerstag präsentiert haben. "Wir wollen eine stabile Bundesregierung schaffen, die von einer breiten Mehrheit getragen ist", erklärte der künftige Bundeskanzler Christian Stocker bei einer Pressekonferenz. Jetzt aber wirklich.

Stocker verhandelte mit FPÖ

121 Tage sind seit der Nationalratswahl Ende September vergangen, bei der die FPÖ unter Parteichef Herbert Kickl wie prognostiziert mit 28,5 Prozent stärkste Partei wurde, etwas mehr als zwei Prozentpunkte vor der ÖVP. Deren Spitzenkandidat Karl Nehammer hatte eine Koalition mit der FPÖ im Vorfeld kategorisch ausgeschlossen. Kickl sei "rechtsextrem" und ein "Sicherheitsrisiko" für die Republik, erklärte Nehammer. Das war bemerkenswert. Anders als in Deutschland gibt es in Österreich keine Brandmauer gegen Rechts, ÖVP und FPÖ haben im vergangenen Vierteljahrhundert dreimal gemeinsam regiert. Unter Kickl freilich ist die Partei weit nach rechts gerutscht: Er macht kein Hehl aus seiner Verehrung für den zunehmend autokratisch regierenden ungarischen Premier Viktor Orbán, will Russland nicht als Aggressor im Ukraine-Krieg verurteilen.

Schon lange vor der Wahl schien ein Bündnis aus ÖVP, SPÖ und den liberalen Neos aufgegleist. Nachdem sich alle Parteien geweigert hatten, mit der FPÖ zu verhandeln, erteilte Bundespräsident Alexander Van der Bellen dem Chef der zweitstärksten Partei, Karl Nehammer den Regierungsbildungsauftrag. In den ersten Tagen des neuen Jahres platzten die Gespräche aber: Konservative, Sozialdemokraten und Liberale hatten es nicht geschafft, sich zu einigen. Nehammer trat zurück und machte den Weg frei für Christian Stocker, der daraufhin in Verhandlungen mit der FPÖ eintrat.

Man war bereit, Kickl zum Bundeskanzler zu machen, einen ultraharten Kurs gegenüber Asylsuchenden mitzutragen und der FPÖ ein weitreichendes Mitsprachrecht beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ORF einzuräumen. Aber das reichte Kickl nicht. Er wollte die Westbindung Österreichs aufheben und auf Konfrontationskurs mit der EU gehen. Vor allem aber forderte er für seine Partei das heikle Innenministerium, das er selbst bereits einmal innehatte. Damals weigerten sich andere westliche Nachrichtendienste, sensible Informationen mit Österreich zu teilen. Man fürchtete, dass diese nach Moskau weitergereicht werden könnten.

Kickl in der Kritik

Am Ende hat Kickl den Bogen überspannt. Als er seine Maximalforderungen nicht durchsetzte, beendet er die Verhandlungen – sehr zum Ärger etlicher in seiner Partei. "Kickl sei das beste Pferd im Stall der Linken", schimpfte der FPÖ-nahe Historiker Lothar Höbelt. Die ÖVP nahm erneut Gespräche mit SPÖ und Neos auf. Die Gemüter hatten sich in der Zwischenzeit abgekühlt. Zwei Wochen brauchten die Parteien für die Einigung auf ein Regierungsprogramm.

Und wenn man den Wortmeldungen der Akteurinnen und Akteure Glauben schenken darf, dann soll es ein grosser Wurf werden. "Wir haben die Vorstellungen aller Parteien zu einem gemeinsamen Programm vereint", erklärt Stocker. Soll heissen: Alle drei Parteien haben sich ideologisch zurückgenommen und sich auf ein pragmatisches Regierungsprogramm geeinigt. Dazu gehört eine harte Linie in Fragen von Asyl und Migration, die Schaffung eines Transformationsfonds für die Energiewende, eine bessere Unterstützung von Menschen in Notlagen und eine radikale Durchforstung der Verwaltung auf Einsparungspotenziale. Eine Bankensteuer soll frisches Geld bringen.

Dabei handelt es sich zum überwiegenden Teil um Wahlversprechen der einzelnen Parteien, die in der Bevölkerung mehrheitsfähig sind. "Das Schliessen von Kompromissen ist eine österreichische Tugend", erklärte der SPÖ-Chef und baldige Vizekanzler Babler, ein dezidierter Linker, der von den Bürgerlichen bisher gerne als Marxist geschmäht wurde. "Durch’s Reden kommen die Leute zusammen", ergänzte Stocker. "Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen", erklärte NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger, der wohl das Amt der Aussenministerin winkt.

Gute Vorzeichen für neue Regierung

Die neue Regierung startet mit guten Vorzeichen. Die bei den Wahlen gerupften Grünen haben bereits angekündigt, sich im Parlament konstruktiv zu verhalten. Die kleinere Oppositionspartei will mit der Regierung zusammenarbeiten, wenn es darum geht, der FPÖ das Wasser abzugraben. Gemeinsam hat man die für Verfassungsänderungen notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit.

Die Herausforderungen sind freilich nicht ohne. Nicht zuletzt müssen die arg aus dem Ruder gelaufenen Staatsfinanzen saniert werden. "Das werden harte Jahre werden", erklärte Meinl-Reisinger. Dabei will man sich allerdings Zeit lassen: Der Plan für die Konsolidierung des Staatshaushaltes erstreckt sich über sieben Jahre – weit über die kommende Legislaturperiode hinaus. Damit sollen dem Sparpaket die Spitzen genommen werden. Zu unpopulären Massnahmen wird es dennoch kommen – etwa bei den Pensionen.

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Der grosse Vorteil der neuen Regierung: Mit allzu grossen Proteste seitens der Opposition ist nicht zu rechnen. Denn der Fahrplan zur Budgetsanierung basiert im Wesentlichen auf jenen Punkten, auf die sich ÖVP und FPÖ bereits geeinigt haben. Soll heissen: Oppositionsführer Kickl kann sie schwer kritisieren, weil er ihnen einst selbst zugestimmt hatte. Und er wird sich in Zukunft wohl öfters von der Regierungsbank aus anhören müssen, dass er es selbst in der Hand gehabt hätte, Bundeskanzler zu werden.

Die neue Regierung startet also mit einem insgesamt mehrheitsfähigen Programm und einer Opposition, die in den kommenden Monaten wohl eher handzahm sein wird. Das sind gute Voraussetzungen für ein Gelingen – sofern die "Ömpel" aus den Fehlern der deutschen Ampelregierung lernt.

Bei ihrem ersten gemeinsamen Auftritt haben die Spitzen der künftigen Koalitionsparteien jedenfalls ein Zeichen der Geschlossenheit gesetzt. Nun bleibt abzuwarten, ob den Worten Taten folgen.