Am Vortag über die entscheidende Abstimmung im Europaparlament bezüglich der Einleitung eines Strafverfahrens gegen Ungarn kam es zu hitzigen Diskussionen in Strassburg. Orban griff seine eigene Fraktion EVP an, nachdem Mitglieder klare Zugeständnisse in Sachen Rechtsstaatlichkeit in Ungarn vom Ministerpräsidenten forderten. Sogar Österreichs Kanzler Sebastian Kurz, der bisher als ein politischer Verbündeter Orbans galt, ging im Vorfeld auf Distanz.

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Vor der Abstimmung des Europaparlaments über ein mögliches EU-Strafverfahren gegen sein Land hat Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) kritisiert. Die EVP, der die CDU, die CSU und Orbans rechts-nationale Regierungspartei Fidesz angehören, habe "ihren Charakter und ihren eigenen Willen verloren", erklärte der Politiker am Dienstag auf einer Pressekonferenz in Strassburg.

Einschränkung der Rechtsstaatlichkeit

"Sie ist ständig vorsichtig, laviert herum und tanzt praktisch nach der Pfeife der Liberalen und Sozialisten", sagte er. "Ich möchte die EVP reformieren, damit sie wieder zu dem Mut zurückfindet, wie ihn Helmut Kohl verkörpert hat."

Orban trat unmittelbar nach einer Debatte im Europaparlament vor die Journalisten, an der auch er teilgenommen hatte. Dabei war es um den Antrag auf Einleitung eines Rechtsstaatsverfahrens gegen Ungarn nach Artikel 7 der Europäischen Verträge gegangen. Der dem Antrag zugrundeliegende Bericht der Grünen-Abgeordneten Judith Sargentini stellt systematische Einschränkungen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Ungarn fest, wo seit 2010 Orban regiert.

EVP Zünglein an der Waage

Am Mittwoch will das Europaparlament über die Einleitung des Artikel-7-Verfahrens abstimmen. Dafür ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Im äussersten Fall kann das Verfahren zum Entzug von Stimmrechten im EU-Ministerrat führen. Entscheidend wird am Mittwoch das Stimmverhalten der EVP sein, die die stärkste Fraktion stellt.

Weber fordert Zugeständnisse

Die EVP hat sich bislang nicht festgelegt und wollte am Dienstagabend noch einmal mit Orban sprechen. EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) hatte klargemacht, dass er sich von seinem ungarischen Parteifreund Zugeständnisse erwartet, etwa in Form der Rücknahme einiger repressiver Gesetze gegen Universitäten und Zivilorganisationen. In seiner Rede am Dienstagnachmittag hatte Orban aber keinerlei Bereitschaft dazu erkennen lassen.

Verletzungsverfahren wegen Flüchtlingen

Besonders umstritten ist Ungarns Umgang mit Flüchtlingen. Wegen seiner restriktiven Asylpolitik laufen gegen das Land bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren der EU - unter anderem weil die Regierung sich weigert, Flüchtlinge aus Italien und Griechenland zu übernehmen.

Streit um NGOs

Auch neue Gesetze, die die Arbeit von Nicht-Regierungs-Organisation erschweren, stehen in der Kritik. Ein weiterer Zankapfel ist das Schicksal der von US-Milliardär George Soros gegründeten Central European University, die aufgrund von Gesetzesänderungen von der Schliessung bedroht ist.

Orban sieht Fehler

Orban zeigte sich in seiner Rede jedoch überzeugt, das Urteil des Strassburger Parlaments stehe bereits fest. Sein Land habe vor allem in der Migrationsfrage eine diametral andere Ansicht als andere Staaten. Unterschiedliche Ansichten dürften aber nicht der Grund sein, Länder abzustempeln. Europa sei drauf und dran, seine eigenen Grenzwächter zu verurteilen, sagte Orban. Der Bericht von Sargentini weise zahlreiche Fehler auf.

Kritik von Macron

Die EVP-Fraktion wollte sich am Dienstagabend beraten, ob sie mit einer gemeinsamen Position in die Abstimmung geht. Von den Stimmen der grössten Fraktion im Parlament könnte entscheidend abhängen, ob die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit für ein Auslösen des Verfahrens erreicht wird. Die EVP war zuletzt immer wieder für ihre nicht eindeutige Position gegenüber Orban und dessen nationalistischem Kurs kritisiert worden - unter anderem von Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron.

Sargentini fordert Notbremse

Vor seiner Rede wurde Orban im Parlament von verschiedenen Seiten scharf attackiert. Er mache NGOs das Leben schwer, habe unliebsame Richter durch regierungstreue ausgetauscht und kritische Medien zum Schweigen gebracht, sagte Berichterstatterin Sargentini. Das Parlament müsse jetzt die Notbremse ziehen. "Werden Sie sicherstellen, dass die Werte dieser Union mehr sind als nur Worte auf einem Stück Papier?", rief sie den Abgeordneten zu.

Farage: Einladung in "Brexit-Club"

Von EU-Vizepräsident Frans Timmermans bekam sie Unterstützung. Nicht nur das Parlament, auch die Kommission sei Wächterin der Verträge, sagte der Niederländer. "Mein Versprechen an Sie ist, dass wir unnachgiebig sein werden."

Orban bekam derweil Rückendeckung vom ehemaligen Chef der EU-feindlichen britischen Partei Ukip, Nigel Farage. "Kommen Sie und treten Sie dem Brexit-Club bei", sagte er an den Regierungschef gewandt. "Sie werden es lieben."

Kurz geht auf Distanz

Sollte das Verfahren ausgelöst werden, scheint ein Ausschluss der Fidesz aus der EVP möglich. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sagte am Montagabend dem Sender ORF, das wäre ein "sehr normaler Vorgang". Österreichs Vize-Kanzler und FPÖ-Chef Christian Strache bot Orban am Dienstag eine Zusammenarbeit an. Straches FPÖ ist derzeit Mitglied der Rechtsaussenfraktion "Europa der Nationen und der Freiheit" (EFN). (mc/dpa)

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