Zum 70. Geburtstag der früheren Kanzlerin bringt die ARD die Dokumentation "Angela Merkel – Schicksalsjahre einer Kanzlerin" über ihr Leben und Wirken heraus. Die Privatperson Angela Merkel bekommt aber auch die durchweg gelungene und spannende Doku nicht richtig zu fassen.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Stüwe dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat Angela Merkel längst ihren Platz. Als erste Frau bekleidete sie das Amt der Bundeskanzlerin, dazu als erste Ostdeutsche. Sie regierte 16 Jahre und blieb damit genauso lange im Amt wie ihr einstiger Mentor Helmut Kohl.

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Ihr Regierungsstil war pragmatisch und lösungsorientiert. Gefühle und private Einblicke liess Merkel selten zu. Ab und zu blitzte ihr hintergründiger Humor auf, gelegentlich tauchten Schnappschüsse aus ihren Wanderurlauben auf.

Obwohl Merkel so viele Jahre unter dem Brennglas der Öffentlichkeit verbrachte, blieb sie als Mensch in gewisser Weise nicht greifbar. Skandale gab es keine, nie fiel sie wirklich aus der Rolle.

Die irische Journalistin Judy Dempsey, die als Korrespondentin aus Berlin berichtete, beschreibt die Person Angela Merkel zu Beginn der ARD-Dokumentation "Angela Merkel – Schicksalsjahre einer Kanzlerin" deshalb als ein Enigma, ein Rätsel. "Ich glaube, kein Mensch kennt Angela Merkel", stimmt ihr die Kommunikationswissenschaftlerin Samira El Ouassil zu.

Merkels Weggefährten plaudern offen über die gemeinsame Zeit

In den fünf Folgen der Dokumentation, die ab dem 8. Juli in der ARD-Mediathek abrufbar sind, begibt sich Regisseur Tim Evers auf Spurensuche. Eine 90-minütige Filmversion wird am 15. Juli zwei Tage vor dem 70. Geburtstag der ehemaligen Kanzlerin im linearen Fernsehen der ARD ausgestrahlt.

Aber: Es lohnt sich, die längere Version in der Mediathek zu streamen. Langweilig wird die Doku auch mit mehr als zweieinhalb Stunden Laufzeit nicht.

Das liegt zum einen an den spannenden Interviews, in denen die unterschiedlichsten Personen aus Merkels Umfeld zu Wort kommen. Ihre politischen Weggefährten Annegret Kramp-Karrenbauer und Thomas de Maizière plaudern recht offen über ihre Zeit an der Seite der Kanzlerin, was zumindest einige Rückschlüsse auf Merkels Persönlichkeit zulässt.

Früh in ihrer Karriere wirkte Merkel deutlich gelöster und fröhlicher als in späteren Jahren. © rbb/SWR/MDR/Looksfilm/picture-al/

Interessant ist, dass gleich mehrfach das Wort "Panzer" im Zusammenhang mit dem Auftreten der Kanzlerin verwendet wird. Merkel-Biografin Evelyn Roll berichtet zunächst davon, wie locker und gelöst Merkel in den ersten Jahren ihrer Kanzlerschaft noch war. Dann vergleicht sie Merkel in den späten Jahren ihrer Amtszeit mit einer Schildkröte, die nur noch vorsichtig aus ihrem Panzer schaut.

Merkel selbst spricht nur in alten Interviews und Archivaufnahmen

Der YouTuber LeFloid, der Merkel einst öffentlichkeitswirksam interviewen durfte, erzählt zunächst, wie er vergeblich versuchte, der Kanzlerin eine emotionale Reaktion zu entlocken. Wenig später werden die Bilder gezeigt, wie das Flüchtlingsmädchen Reem Sahwil im Gespräch mit Merkel zu weinen begann und von der Kanzlerin getröstet wurde. "Das war die eine Lücke im Panzer", stellt LeFloid treffend fest.

Es überrascht wenig, dass sich Merkel mittlerweile fast komplett zurückgezogen hat. Öffentliche Auftritte sind eine Seltenheit, auch für die Dokumentation stand sie nicht für ein Interview zur Verfügung. Stattdessen stiegen die Filmemacher tief in die Archive hinab. Sie suchten und fanden die seltenen Momente, in denen Merkel über sich selbst sprach.

"Ich verhalte mich auf unbekanntem Terrain schon so, dass ich erstmal versuche, Grund unter die Füsse zu bekommen. Das kann dann mit Zurückhaltung zu tun haben. Ausserdem gehöre ich zu dem Menschentyp, der erstmal versucht, seine Umgebung einzuschätzen", charakterisiert sich die junge Angela Merkel.

Dazu werden Bilder gezeigt, wie Anfang der 1990er-Jahre Norbert Blüm vor einer Sitzung mit ihr herumblödelt. Und wieder ist es schwer einzuschätzen, ob sie in diesem Moment Spass hat oder ob es ihr eher unangenehm ist.

Merkels Treffen mit Putin erscheinen in einem anderen Licht

Es sind diese Momente, die die Dokumentation besonders machen. Zwar wird nichts wirklich Neues gezeigt, aber vieles, was bereits in Vergessenheit geraten ist. Etwa, wie Merkel die Queen traf. Oder wie sie als Frau und Ostdeutsche sowohl von CDU-Parteikollegen als auch vom politischen Gegner Gerhard Schröder zunächst nicht ernst genommen und von oben herab behandelt wurde. Und dann alle verblüfft, als sie eiskalt nach der Macht greift.

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Das Archivmaterial und die Interviews vermischen sich zu einer temporeichen und spannenden Collage, die die Karriere und den Lebensweg Merkels nachzeichnet und gleichzeitig die Geschichte der Bundesrepublik in den vergangenen drei Jahrzehnten zusammenfasst.

Die Finanzkrise, die Flüchtlingskrise und die Corona-Pandemie werden thematisiert. Und natürlich das Verhältnis zu Russland. Dabei erscheinen Merkels Treffen mit Wladimir Putin und ihr politisches Erbe rückblickend in einem anderen Licht.

Merkel traf Putin immer wieder - zuletzt Ende August 2021, kurz vor dem Ende ihrer Amtszeit. Das Bild zeigt sie bei einem früheren Treffen. © rbb/SWR/MDR/Looksfilm/Europäisch/

Der Soundtrack stört teilweise

Trotz der teilweise ernsten Themen ist die Machart der Doku durchweg locker und teilweise augenzwinkernd, wie auch der an die Sissi-Filme angelehnte Titel "Schicksalsjahre einer Kanzlerin" bereits vermuten lässt.

Beim Soundtrack schossen die Macher allerdings etwas über das Ziel hinaus. Die Bilder sind fast durchgehend mit Pop-Hits von Kate Bush über Cyndi Lauper bis hin zu Helene Fischer unterlegt, was stellenweise stört. Wobei es dann doch wieder lustig ist, wenn der 90er-Hit "Gangsta's Paradise" das Kapitel zur CDU-Parteispendenaffäre untermalt.

Ob Angela Merkel darüber auch schmunzeln könnte? Vermutlich. Aber man weiss es nicht. Die Privatperson Angela Merkel bleibt ein Rätsel. Die Dokumentation "Angela Merkel - Schicksalsjahre einer Kanzlerin" schafft es aber zumindest, ein wenig am Panzer der Kanzlerin zu kratzen.

Verwendete Quelle

  • "Angela Merkel - Schicksalsjahre einer Kanzlerin" in der ARD-Mediathek
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