Darf ein Papst sich in die Politik einmischen? Am Dienstag spricht das Kirchenoberhaupt vor dem Europäischen Parlament, zum ersten Mal seit 26 Jahren. Schon im Vorhinein regen sich Proteste – auch von Abgeordneten.

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Mit Spannung wird sein Besuch im Europäischen Parlament erwartet. Nur vier Stunden soll Papst Franziskus in Strassburg weilen, um dort unter anderem im Plenum des Europäischen Parlaments zu sprechen. Doch nicht alle blicken ihm mit Freude entgegen.

Der letzte Besuch eines Kirchenoberhaupts im Europäischen Parlament liegt mehr als zwei Jahrzehnte zurück. Im Oktober 1988, ein Jahr vor dem Fall der Mauer, sprach sich Papst Johannes Paul II. für ein geeintes, christliches Europa aus, dass sich nach Osten hin öffnen solle. 25 Jahre nach dem Mauerfall folgt nun ein weiterer Nachfolger Petri der Einladung aus Strassburg.

Femen demonstriert gegen Papst-Auftritt

Diese hatte Parlamentspräsident Martin Schulz bereits zur Amtseinführung von Papst Franziskus im März 2013 ausgesprochen. Im Herbst bestätige Vatikansprecher Federico Lombardi dann unerwartet den Besuch. Das allein wird bereits als Anerkennung für das europäische Projekt gewertet. Erzbischof Reinhard Kardinal Marx der Diözese München-Freising sprach von einem "starken Signal des Papstes zur Unterstützung und Ermutigung des europäischen Einigungsprozesses."

Auch Franziskus' Vorgänger, Benedikt XVI., wurde gebeten, vor der Volksvertretung der Europäischen Union zu sprechen, schlug die Einladung jedoch aus. Man hatte zum einen Zweifel, ob die Ehre eines solchen Besuchs von allen Anwesenden geschätzt würde, zum anderen Angst vor unangenehmen Zwischenrufen. Ausgeschlossen ist auch diesmal nicht, dass einige Abgeordnete sich in dieser Weise gegen den Würdenträger artikulieren. Vor knapp zwei Wochen demonstrierten zudem einige Femen-Aktivistinnen auf dem Petersplatz: "Der Papst ist kein Politiker", stand in schwarzen Lettern auf den nackten Oberkörpern der Demonstrantinnen.

Parlamentspräsident Martin Schulz spricht hingegen von "grossem Interesse" unter den Abgeordneten. Die SPD-Fraktion im Europäischen Parlament bezeichnete den Besuch des 77-Jährigen als "längst überfälligen Schritt" und erwartet ein "klares Bekenntnis zur EU". Dies sei gerade vor dem Hintergrund immer lauter werdender europakritischer Stimmen und rechtspopulistischer Anfeindungen von grosser Bedeutung.

Papst Franziskus folgt Conchita Wurst

Allerdings: Längst nicht alle Abgeordneten begrüssen den Besuch des Heiligen Vaters. Marc Tarabella, Vorsitzender der belgischen Sozialdemokraten, warnte die Kritiker jedoch, diesen zu "dämonisieren": "Warum sollten wir den Dalai Lama, Conchita Wurst, die Tabaklobby und Umweltschutzvereine empfangen, (…) dann aber den Besuch des Papstes verweigern? Das wäre ein Zeichen von Intoleranz."

Viele Abgeordnete hätten sich statt einer Rede des Kirchenoberhauptes einen lebendigen Dialog mit ihm gewünscht – so auch Tarabella. Als stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Gleichbehandlung und die Rechte der Frauen wollte er sich gerne über Fragen wie Abtreibung, Nützlichkeit von Kondomen, Rechte von Homosexuellen mit Papst Franziskus austauschen.

Im Plenum wird sich das katholische Kirchenoberhaupt stattdessen zu sozialer und wirtschaftlicher Ungerechtigkeit, Einwanderung, sowie der hohen Jugendarbeitslosigkeit äussern, wie aus informierten Kreisen des Vatikans hervorgeht.

Für seine Offenheit in politischen Fragen ist der Argentinier, der mit bürgerlichem Namen Jorge Mario Bergoglio heisst, bereits bekannt. In seiner anderthalbjährigen Amtszeit besuchte er die Flüchtlingsinsel Lampedusa im Mittelmeer, reiste in den Nahen Osten, nach Albanien und Südkorea. Dort rief das Kirchenoberhaupt zu Frieden zwischen Seoul und Pjöngjang auf, übte bei seinem apostolischen Besuch aber auch Kritik am "Geist des uneingeschränkten Wettbewerbs", wonach er sich mit Vorwürfen, er sei Marxist, konfrontiert sah. Man müsse gegen diese "Industrie der Vernichtung" kämpfen, wiederholte er bei seiner Ansprache zu Allerheiligen. Auch zum Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) bezog das Staatsoberhaupt eine unerwartet klare Stellung: Es sei "legitim, den ungerechten Aggressor zu stoppen", so die Worte des Geistlichen. Präsident Schulz hofft nun auf eine Äusserung des Papstes zur Lage in der Ukraine.

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