Grosskonzerne, Politiker, Stars - und sogar die Queen. Sie alle vermeiden durch fragwürdige Deals mit Briefkastenfirmen Steuerzahlungen an den Fiskus, offenbar legal. Doch legal heisst nicht gleich, dass die Profiteure dieses kranken Systems moralisch richtig handeln.

Ein Interview

Journalisten rund um den Globus haben ein Jahr lang 13,4 Millionen Dokumente einer Antwaltskanzlei gesichtet, die Briefkastenfirmen organisiert. Die nun unter dem Namen "Paradise Papers" veröffentlichten Dokumente offenbaren ein bisher nicht bekanntes Ausmass an Steuervermeidung.

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Die Frage nach der Moral bleibt - obwohl sich die Betroffenen meist nicht strafbar machen.

Die Ökonomin Nora Szech forscht zu Moral in der Wirtschaft und spricht im Interview über wandelnde Moralvorstellungen, Vorbilder und die Gründe für Steuervermeidung.

Frau Professor Doktor Szech, wo beginnt eigentlich Moral?

Professor Doktor Nora Szech: Es gibt natürlich viele Definitionen von Moral. Eine, nach dem Sozialpsychologen Albert Bandura, betont insbesondere das vermeidbare Zufügen von Schaden.

Diese Definition wird auch in aktuellen ökonomischen Arbeiten häufig genutzt. In den letzten Jahren hat das Interesse an Moral in der Ökonomie zum Glück deutlich zugenommen.

Warum sagen Sie "zum Glück"?

Das Thema wurde lange Zeit anderen Sozialwissenschaften überlassen, dabei spielt Moral gerade auch in Märkten eine wichtige Rolle - zum Beispiel, wenn Institutionen gieriges Verhalten befördern oder eben eindämmen.

War der Mensch schon vor 1000 oder 2000 Jahren gierig oder hat sich dieser Charakterzug erst im modernen Kapitalismus etabliert?

Die Gier war schon früher ein wichtiges Thema. Aristoteles, Thomas von Aquin und Martin Luther haben sich bereits mit dem Thema auseinandergesetzt, nur um einige prominente Beispiele zu nennen.

Sind Vorstellungen von Moral und Anstand einem Wandel unterworfen?

Ja. Vor einigen Jahrhunderten wurde noch akribisch diskutiert, ob Handel überhaupt jemals moralisch einwandfrei sein könne. Die Tatsache, dass ein Kaufmann eben auch Profit macht, galt damals als moralisch höchst problematisch.

Zurück zur Gegenwart: Was treibt Milliardäre an, Hunderttausende Euro an Steuern einzusparen, obwohl sie eine ehrenhafte Steuerdisziplin kaum ärmer machen würde?

Wir sehen in aktuellen Studien, dass es deutliche Persönlichkeitsunterschiede gibt, die in verschiedensten Situationen greifen. Wir sprechen an der Stelle vom "homo moralis", also von einer Persönlichkeit, die mehr Rücksicht nimmt als andere.

Eine wichtige Rolle spielt, wie man aufgewachsen ist. Wer schon früh gelernt hat, Rücksicht zu nehmen, wird auch später im Leben sozialer und moralischer handeln.

Das Geschlecht scheint ebenfalls eine Rolle zu spielen, allerdings vermute ich, dass Frauen auch dazu erzogen werden, tendenziell mehr Rücksicht zu nehmen als Männer.

Heisst das, Männer neigen aufgrund ihrer Sozialisation eher zu Betrügereien oder Tricksereien?

Männer scheinen tatsächlich moralisch korrumpierbarer zu sein als Frauen. Das ist ein statistischer Effekt - natürlich ist nicht jede Frau ein Engel, und jeder Mann ein Teufel.

Warum fehlt es den Steuersündern an Unrechtsbewusstsein?

Wir sehen in zahlreichen Studien, dass Schuld teilbar ist. Wenn ein guter Kollege oder Freund windige Sachen macht, dann fällt es viel leichter, genauso zu handeln. So können ganze Zirkel von korrumpierbaren Eliten entstehen.

Welche Botschaft wird mit diesem Verhalten an die Gesellschaft gesendet?

Das ist natürlich ein furchtbares Signal - so ein Verhalten ist ja alles andere als vorbildlich! Für den Zusammenhalt einer Gesellschaft ist es wichtig, dass die gemeinsamen Werte gelebt werden.

Wenn sich besonders einflussreiche Kreise einfach ausklinken, ist das sehr schlecht. Die Aufarbeitung in der Gesellschaft kann hier ein wichtiges Gegensignal senden.

Ist der Schaden für den Staat grösser in finanzieller Hinsicht durch fehlende Milliardensummen oder aus ethisch-moralischer Sicht, weil ein Teil der jungen Generation sich an solchen Verhaltensnormen orientiert?

Das kommt darauf an, wie wir als Gesellschaft darauf regieren. Durch die Reaktion in der Öffentlichkeit wird ja auch klar gemacht, dass wir so nicht leben möchten.

Es wird immer mal wieder von der Krise des Kapitalismus gesprochen. Ist die Tendenz zu Steuertricks oder Steuervermeidung auch ein Anzeichen dafür?

Die Kluft zwischen Arm und Reich ist auch in vielen gut entwickelten Ländern wie Deutschland beachtlich. Viele Kinder sind ja bereits von Armut betroffen und haben damit einen schweren Start ins Leben.

Ohne Umverteilung wäre Deutschland ein besonders ungleiches Land im internationalen Vergleich. Es ist also wichtig, dass Steuern gezahlt werden. Und dass sich gerade die, denen das am wenigsten wehtun sollte, daran halten.

Zur Person: Nora Szech ist Professorin für Politische Ökonomie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Sie forscht zu der Gestaltung von Institutionen, Wettbewerb und Moral.


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