Das Brexit-Abkommen zwischen der EU und Grossbritannien soll die Folgen des britischen EU-Austritts abmildern - wenn es denn zustande kommt. Scheitert es am Widerstand in London, bekäme dies wohl jeder zu spüren.

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Mit dem Brexit am 29. März 2019 ändert sich im Alltag im besten Fall: erstmal gar nichts. Der am Sonntag beim Sondergipfel gebilligte Austrittsvertrag der Europäischen Union mit Grossbritannien sieht eine Übergangszeit vor und verschiebt die praktischen Folgen der Trennung somit mindestens auf Ende 2020.

Das gilt aber nur, wenn der Pakt auch ratifiziert wird. Und das ist angesichts der massiven Widerstände im britischen Parlament alles andere als gesichert. Platzt der Deal, droht Chaos für Bürger und Unternehmen. Was also bedeutet das Vertragspaket?

... für Bürger und Unternehmen

Zentral ist die Übergangsphase bis mindestens Ende 2020. Sie kann einmal um bis zu zwei Jahre verlängert werden, also längstens bis Ende 2022. In dieser Zeit bleibt Grossbritannien im EU-Binnenmarkt und in der Europäischen Zollunion, alle EU-Regeln gelten weiter.

Es gibt keine Zollkontrollen, Einfuhr- oder Reisebeschränkungen. Da Grossbritannien nach dem Austritt offiziell Drittstaat ist, darf es in Brüssel aber nicht mehr mitbestimmen. Neue EU-Regeln muss es trotzdem akzeptieren.

Gedacht ist dies als Schonfrist für die Wirtschaft, aber auch als Verhandlungszeit, um die dauerhafte Beziehungen beider Seiten zu klären. Würde der Vertrag nicht rechtzeitig vor Ende März ratifiziert, sähe alles ganz anders aus.

Dann gäbe es keine Übergangsfrist und es drohte ein abrupter Bruch, unter anderem mit langen Wartezeiten am Zoll und grosser Unsicherheit. Neben der Zustimmung des Parlaments in London ist übrigens auch die des Europaparlaments nötig, die Parlamentspräsident Antonio Tajani aber schon angekündigt hat.

... für EU-Bürger in Grossbritannien und Briten in der EU

Der Vertrag sichert zu, dass die mehr als drei Millionen EU-Bürger in Grossbritannien und eine Million Briten auf dem Festland auch nach der Übergangsphase so weiterleben können wie bisher.

Das betrifft unter anderem ihr Recht auf Aufenthalt, Erwerbstätigkeit, Familiennachzug, auf Ansprüche an die Sozialkassen und auf Anerkennung beruflicher Qualifikationen.

Träte der Vertrag nicht in Kraft, würde diese Rechtssicherheit fehlen. Doch würden wohl Notfallvereinbarungen auf Gegenseitigkeit geschlossen.

... für Menschen in Irland und Nordirland

Nach langem Streit ist nun im Vertrag garantiert, dass die Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland offen bleibt, also keine Schlagbäume oder Kontrollen eingeführt werden. Auch dafür wollen beide Seiten in der Übergangsphase eine dauerhafte Lösung finden.

Für den Fall, dass dies nicht gelingt, gibt es eine Garantieklausel, den "Backstop". Dann bliebe ganz Grossbritannien in einer Zollunion mit gemeinsamen Standards mit der EU, um Grenzkontrollen zu vermeiden.

Für Nordirland würden zudem weiter Bedingungen des EU-Binnenmarkts sowie einige Kontrollpflichten für Waren aus dem übrigen Vereinigten Königreich gelten.

Käme dies nicht, müsste die Republik Irland eigentlich die neue EU-Aussengrenze kontrollieren. Eine solche Teilung der irischen Insel widerspräche aber dem Karfreitagsabkommen von 1998, das Jahrzehnte der Gewalt in Nordirland beendete.

... für den europäischen Steuerzahler

Grossbritannien sagt im Vertrag zu, für finanzielle Pflichten aus der Zeit seiner EU-Mitgliedschaft einzustehen. Bis zum Ende der Übergangszeit zahlt London weiter Beiträge in den EU-Haushalt.

Darüber hinaus übernimmt Grossbritannien einen Anteil an langfristigen Lasten, etwa an Pensionszahlungen für EU-Beamte. Die Summe steht nicht im Vertrag, sondern nur "eine faire Berechnungsmethode".

Geschätzt geht es um mindestens 45 Milliarden Euro, die noch von London an Brüssel fliessen. Ohne den Vertrag müssten EU-Steuerzahler einspringen. Schon 2019 würde nach Angaben aus dem Europaparlament ein Loch von etwa zwölf Milliarden Euro aufgerissen.

... für Warenhersteller

Waren mit einer Produktzulassung dürfen auch nach Ende der Übergangsphase verkauft werden, ohne dass sie ein besonderes Label brauchen. Das gilt zum Beispiel für Spielsachen, Kleidung und Kosmetik, aber auch für Medikamente und Medizinprodukte.

Ausgenommen sind lebende Tiere und Tierprodukte. Markenrechte sollen auf beiden Seiten unangetastet bleiben.

... für bayerisches Bier

Wie Parmaschinken, Champagner oder Fetakäse soll auch bayerisches Bier nach der Übergangsphase in Grossbritannien seinen nach EU-Recht besonderen Status als geschützte Ursprungsbezeichnung behalten.

Insgesamt gilt das für mehr als 3.000 Produkte, die als regionale Besonderheit vermarket werden und dafür bestimmte Bedingungen erfüllen müssen. Walisisches Lamm und andere geschützte britische Produkte behalten ihren Schutz in der EU.

... für Gauner und Kriminelle

Wer zum Ende der Übergangsphase per britischem Haftbefehl gesucht und in der EU geschnappt wird, sollte sich nicht zu sicher fühlen. Der Austrittsvertrag sorgt vor, dass solche Verdächtige gegenseitig ausgeliefert werden.

Das Abkommen soll also bis zum Ende der Übergangsphase Rechtssicherheit schaffen - denn erst dann kommt der Brexit wirklich zum Tragen. Wie es danach weiter geht, soll in einem umfangreichen Handels- und Partnerschaftsabkommen geklärt werden.

Dazu gibt es bislang eine nur 26 Seiten starke Absichtserklärung, die am Sonntag beim Gipfel ebenfalls gebilligt wurde. Zentraler Punkt ist die Vision einer "Freihandelszone, die tiefe Kooperation bei Regeln und Zoll" beinhalte.

Zölle oder Quoten soll es nicht geben. Scheitert das Austrittsabkommen, fehlt diese Grundlage der künftigen Beziehungen.  © dpa

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