• Die H&M-Kontroverse und das Manöver im südchinesischen Meer haben es wieder einmal deutlich gemacht: China strebt nach mehr Einfluss in der Welt – will in die "Mitte der Weltbühne".
  • Doch weitreichender als die offensichtlichen Machtdemonstrationen, sind die Strategien, die Peking im Verborgenen hegt.
  • China-Experte Andreas Fulda erklärt, wie das Regime um Xi Jinping Wissenschaftler, Journalisten, Politiker und Wirtschaftslenker im Visier hat.

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Der Arm Pekings ist lang: Er reicht weit über die chinesischen Grenzen hinaus. Mal demonstriert die kommunistische Partei Chinas (KPCh) ihre Macht ganz offensiv – so zum Beispiel zuletzt im Südchinesischen Meer, wo Peking rund 200 Schiffe in die umstrittene Region ans Whitsun-Riff schickte.

Alle Anrainerstaaten, etwa die Philippinen, machen für sich Ansprüche auf Teile des fisch- und rohstoffreichen Seegebiets geltend. China aber will das gesamte Meer für sich. In den meisten Fällen aber nimmt die Partei diskret und im Verborgenen Einfluss. Eine "lautlose Eroberung" nennen die China-Experten Mareike Ohlberg und Clive Hamilton das.

Ziel: Mitte der Weltbühne

Auf dem 19. KPCh-Parteitag im Jahr 2017 hatte Chinas Generalsekretär Xi Jinping einst eine "neue Ära" für sein Land angekündigt, China nähere sich "Tag für Tag der Mitte der Weltbühne". Dass diese "Annäherung" derweil durch enormen wirtschaftlichen Einfluss und mit Druck auf die chinesische Diaspora, ausländische Politiker, Wissenschaftler und Journalisten geschieht, kann China-Experte Andreas Fulda berichten.

"Der Auftritt chinesischer Diplomaten hat sich sehr verändert. Um dem chinesischen Generalsekretär Xi Jinping zu gefallen, ist der Ton deutlich rauer geworden", weiss Fulda. Diplomaten, die China eigentlich wohlgesonnen seien, fühlten sich zunehmend vor den Kopf gestossen. Was aber steckt dahinter?

"China will seinen Einfluss in der Welt in vielen verschiedenen Bereichen ausbauen", sagt Fulda. Dieses Bedrohungsszenario wachse zusehends – "es wird in Zukunft zu deutlich mehr offenen Konflikten zwischen China und dem Westen kommen", ist sich der Experte sicher. Die KPCh operiere dabei vor allem in fünf Bereichen: Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Wissenschaft und Medien.

Ausländer in Chinas Sinne manipulieren

"Die kommunistische Partei hat sich mit der sogenannten Einheits-Front-Politik zum Ziel gesetzt, Ausländer in ihrem Sinne zu kooptieren und zu manipulieren. Dazu gehören Politiker, Wirtschaftslenker, Journalisten, Wissenschaftler und gesellschaftliche Akteure", sagt Fulda.

Deutsche Parlamentarier seien mit Kritik an China zurückhaltend, weil sie verhindern wollten, als sogenannte "Trouble-Maker" angesehen zu werden, die mit einer Rede im Parlament die Beziehungen der Länder ins Schlingern brachten. "Konzerne wie BASF oder Volkswagen haben hingegen enorme Summen investiert, die wollen sie nicht abschreiben", ergänzt der Experte.

Wirtschaftslenker müssten sich immer mehr fragen, ob ihnen der heimische oder der chinesische Markt wichtiger sei. Beispiel: Die jüngste Kontroverse um H&M. Die schwedische Kleidungskette wurde in China boykottiert, nachdem das Unternehmen erklärt hatte, keine Baumwolle mehr aus Xinjiang zu beziehen, um mögliche Zwangsarbeit nicht zu unterstützen.

Wirtschaft und Medien im Visier

Doch H&M ist nicht das einzige Beispiel: "Der CEO von Ericsson, Börje Ekholm, hat Druck auf schwedische Regierung ausgeübt und damit gedroht sich aus Schweden zurückzuziehen, wenn Huawei nicht beim Aufbau von 5G dabei ist", so Fulda. Das zeige, wie Unternehmen sich einspannen liessen, um auf europäische Regierungen Einfluss zu nehmen.

"Gleichzeitig nutzt China entwicklungspolitische Gelder, um machtpolitischen Einfluss zu nehmen. Kredite werden nur mit harten Konditionen und gravierenden Sanktionen vergeben", so der Experte.

Auch die Medien seien im Visier der KPCh. "Journalisten, die aus China berichten, sind bereits aus dem Land geschmissen worden, wenn sie zu kritisch waren – so etwa BBC-Reporter John Sudworth", sagt Fulda. Die Desinformationskampagnen der chinesischen Regierung näherten sich zunehmend den Praktiken der russischen Regierung an. "Es gibt massive Versuche, sich in das westliche Ökosystem der neuen Medien einzunisten und die Plattformen zu infiltrieren und den Diskurs zu beeinflussen", erklärt der Experte.

Wissenschaft "neutralisieren"

Dabei würde nicht mehr über die üblichen Wege wie die Tageszeitung "China Daily" Propaganda betrieben, sondern zunehmend durch westliche Proxys. "Wenn Pro-Regime-Botschaften dort geteilt werden, verbreiten sie sich deutlich schneller", sagt Fulda.

Auch die deutsche Wissenschaft hat die Macht- und Kontrollbestrebungen Chinas bereits zu spüren bekommen. "In den Augen des Regimes geht von einer unabhängigen Wissenschaft eine Gefahr aus", sagt Fulda.

Es würden erhebliche Anstrengungen unternommen, die Wissenschaft so weit wie möglich zu "neutralisieren". Klassisches Beispiel: Die Konfuzius-Institute – staatliche chinesische Bildungsorganisationen, die dem Ministerium für Bildung zugeordnet sind. "Sie haben eine politische und kulturelle Funktion. Aus meiner Sicht ist die Hauptfunktion aber, für Selbstzensur zu sorgen", meint Fulda. Wer für ein solches Institut arbeite, werde nicht scharf gegen das Regime schiessen.

Morddrohungen nach Kritik

"Es gibt mehr und mehr Anzeichen dafür, dass auch in der deutschen China-Wissenschaft die Selbstzensur schon weit vorangeschritten ist", meint Fulda. Bei öffentlichen Äusserungen werde nur sehr selten gegen die Partei Stellung bezogen. Fulda hingegen äusserte sich mehrfach öffentlich kritisch – nicht, ohne dem Regime aufzufallen. "Nachdem ich mich wiederholt zu der Demokratiebewegung in Hongkong geäussert habe, bin ich massiv bedroht worden", berichtet Fulda. Es seien fabrizierte E-Mails in seinem Namen an Kollegen verschickt worden und er habe Morddrohungen erhalten.

"Kollegen von mir haben ausserdem Mails bekommen, dass ich wahnhafte Vorstellungen hätte und man auf mich achten müsste". Der Schuss des Regimes ging jedoch nach hinten los: Fulda wurde in eine strategische Steuerungsgruppe berufen und berät die Universität nun, wie man mit Gefahren von autokratischen Staaten für die Wissenschaftsautonomie umgehen kann.

Opposition im Keim ersticken

"Wenn ich als Wissenschaftler jetzt aber etwa nach Hongkong reisen würde, müsste ich fürchten, unter dem Hongkong National Security Law angeklagt zu werden, denn es stellt auch Kritik am Regime im Ausland unter Strafe. Vielleicht würde ich auch direkt zurückgeschickt werden, wie etwa der Menschenrechtsaktivist Benedict Rogers", so Fulda.

Mit Sorge beobachtet Fulda, wie das Regime mit den im Ausland lebenden Chinesen verfährt. "Das Regime fürchtet, dass sich eine Opposition im Ausland bildet. Um dies im Keim zu ersticken, hat man die sogenannte Einheits-Front-Politik mit viel Geld verstärkt", sagt Fulda.

China-Politik nicht mehr zeitgemäss

2019 seien rund 600 Millionen Dollar ausgegeben worden, um sowohl Ausländer als auch die chinesische Diaspora zu beeinflussen, kontrollieren und im Sinne des Regimes umzuformen. Fulda betont: "Nicht alle chinesischen Organisationen sind ferngesteuert – aber es gibt viele Anhaltspunkte, dass die informellen Netzwerke der chinesischen Diaspora instrumentalisiert werden."

Regime-kritische chinesische Staatsbürger, die in Deutschland lebten, würden teilweise bei kulturellen Veranstaltungen gefilmt. "Sie müssen damit rechnen, dass jemand über ihre Aktivitäten berichtet", so Fulda.

Er hält die deutsche China-Politik für nicht mehr zeitgemäss. "Der politische Ansatz "Wandel durch Handel", bei dem man hoffte, das kommerzielle Engagement mit China führe zu gesellschaftlichen Veränderungen und schliesslich zu demokratischer Liberalisierung, ist klar gescheitert", sagt Fulda. Auf politischer Ebene sei man aber bis heute nicht bereit, daraus Konsequenzen zu ziehen.

Verschärfter systemischer Konflikt

"Natürlich will man nicht so konfrontativ und militaristisch sein wie die Amerikaner, aber es fehlen Impulse, wie eine neue deutsche China-Politik aussehen muss", meint Fulda. Dialog und Kooperation seien mit einem autoritären Regime, welches nicht an einem ergebnisoffenen Dialog interessiert sei, nicht so einfach.

"Zu sagen, man müsse nur 'mehr miteinander reden' ist eine Verhöhnung der Opfer des Regimes", findet Fulda. Dazu zählten beispielsweise die unterjochten Hongkonger, deren Hoffnungen auf liberal-demokratische Entwicklungen zerschlagen wurden, ebenso wie die unterdrückten Uiguren.

"Das ist aus westlicher Sicht völlig inakzeptabel. Es wird immer offensichtlicher: Es handelt sich um einen systemischen Konflikt: Die Prinzipien eines kommunistisch-maoistischen Systems beissen sich inkompatibel mit liberal-demokratischen Systemen."

Über den Experten: Dr. Andreas Fulda ist Dozent an der "School of Politics and International Relations" der University of Nottingham. Fulda studierte Politikwissenschaften und Chinawissenschaften in Köln, Taipeh, London und Berlin. Er ist spezialisiert auf Demokratisierungsforschung, Bürgerdiplomatie und die EU-China Beziehungen.
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