- Drohen die Spannungen zwischen der Nato und Russland zu eskalieren?
- Die USA prognostizieren zumindest ein düsteres Szenario.
- Kiew ist offensichtlich unbesorgt.
Die Äusserungen des US-amerikanischen Aussenministers Antony Blinken klingen nach dem düstersten aller Szenarien, nach einem bevorstehenden Krieg. "Wir sind zutiefst besorgt über Beweise dafür, dass Russland Pläne für bedeutende aggressive Schritte gegen die Ukraine erstellt hat", sagte Blinken in dieser Woche nach Beratungen mit Nato-Kollegen in Lettland.
Die Vorbereitungen umfassten Bemühungen, die Ukraine von innen heraus zu destabilisieren - und grossangelegte Militäroperationen. "Wir haben dieses Drehbuch 2014 schon einmal gesehen, als Russland das letzte Mal in die Ukraine einmarschiert ist."
"Damals wie heute verstärkten sie deutlich die Kampftruppen nahe der Grenze", erklärte Blinken. Russlands Staatschef
Stimmt das? Oder wird gezielt Hysterie geschürt, wie es in Moskau behauptet wird?
Die Beweise, von denen Blinken spricht, liegen bislang nicht auf dem Tisch. Fest steht allerdings, dass die militärischen Voraussetzungen für einen Krieg gegeben sind.
Nach bislang nicht dementierten Angaben hat Russland in Gebieten unweit der Grenze zur Ukraine in grossem Masse Truppen zusammengezogen. Laut Nato sind mehr als 90.000 Soldaten vor Ort. Hinzu kommen laut Generalsekretär Jens Stoltenberg Panzer, Artillerie, Drohnen und Systeme zur elektronischen Kriegsführung.
Auf der Seite der Ukraine stehen den Schätzungen zufolge etwa 209.000 Soldaten und paramilitärische Nationalgardisten gegenüber. Sie werden von der Nato indirekt unterstützt, zum Beispiel beim Aufbau von Cyberabwehr-Fähigkeiten und mit Beratung. Zudem liefern Alliierte wie die USA Waffen.
Ebenfalls zur Verärgerung Moskaus baut die Nato zudem seit Jahren ihre Präsenz in den östlichen Mitgliedstaaten aus und hat Tausende Soldaten nach Polen und in die baltischen Staaten Litauen, Estland und Lettland geschickt. Beide Seiten werfen sich gegenseitig Provokationen vor, Moskau kritisierte zuletzt vor allem immer wieder die Präsenz von westlichen Kriegsschiffen im Schwarzen Meer.
Doch geht es wirklich um mehr als um militärische Muskelspiele?
Weder in Russland noch in der Ukraine deutet irgendetwas darauf hin, dass die Kriegsgefahr besonders akut ist. Trotz der von den USA und dem ukrainischen Militär betonten Bedrohung gibt es in Kiew weder Sondersitzungen des Parlaments noch eine Mobilisierung der Reservisten.
In Moskau wird betont, dass Russland im eigenen Land Soldaten und Militärtechnik dorthin bewege, wo es die Grossmacht für nötig halte. Eine Bedrohung gehe von Russland nicht aus.
Geht es den USA darum, die europäischen Partner zu weiterer Aufrüstung zu bewegen, um der amerikanischen Rüstungsindustrie neue lukrative Aufträge zu sichern? Und macht die Nato vielleicht nur deswegen mit, weil Spannungen mit Russland für sie eine wichtige Existenzberechtigung sind?
Dagegen spricht, dass zumindest eine erneute Eskalation des Konflikts in der Ostukraine nicht auszuschliessen ist. Russland befürchtet seit längerem, dass sich die Führung in Kiew durch die Unterstützung der Nato und des Westens ermuntert fühlen könnte, die von prorussischen Separatisten kontrollierten Gebiete der Regionen Luhansk und Donezk mit militärischer Gewalt zurückzuholen.
Auf solche Unterstützung hatte 2008 auch der georgische Präsident Michail Saakaschwili gesetzt, als er die abtrünnige Region Südossetien erobern wollte. Innerhalb weniger Tage stoppte damals die russische Panzermacht den georgischen Angriff. Moskau erkannte Südossetien und die ebenfalls von Georgien abtrünnige Schwarzmeer-Region Abchasien als unabhängige Staaten an und stationierte dort als Schutzmacht Tausende Soldaten.
Putin liess in den vergangenen Wochen nie einen Zweifel daran, dass er in der Ostukraine ähnlich handeln würde. Aus dem Donbass kamen zuletzt bereits Signale, dass bei einem Angriff von ukrainischer Seite Russland um Hilfe angerufen werde.
Doch die Kosten dafür wären für Russland hoch. Schon jetzt drücken die Sanktionen des Westens wegen des Konflikts in der Ostukraine und wegen der russischen Annexion der ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim 2014.
Und auch die sozialen Ausgaben des Riesenreichs für die Menschen in der Ostukraine steigen und steigen. Wie Russland, das zudem im Syrien-Konflikt kämpft, kann sich zudem auch die chronisch klamme Ukraine finanziell keinen Krieg leisten.
Dazu kommt, dass die Ukraine eben nicht auf militärischen Beistand der Nato zählen kann. "Es gibt einen Unterschied zwischen einem engen und hochgeschätzten Partner wie der Ukraine und den Nato-Alliierten", betonte Nato-Generalsekretär Stoltenberg nach dem Bündnistreffen in Riga.
Sicherheitsgarantien gebe es nur für die Alliierten. Nur diese können sich demnach im Falle eines bewaffneten Angriffs auf den Beistand der anderen Partner verlassen. (dpa/msc)
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