Die polnische nationalkonservative Regierungspartei PiS hat über Nacht ein umstrittenes Coronakrisen-Gesetz durch das Parlament gebracht. Experten halten das aus mehreren Punkten für verfassungswidrig.

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Polens nationalkonservative Regierung rückt nicht von ihrer Linie ab. In der Nacht zum Samstag hat die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ein umfangreiches Coronakrisen-Gesetz beschlossen mit dem auch eine Änderung des Wahlgesetzes einhergeht.

Das Vorgehen widersprach nicht nur Parlamentsregeln, wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet. Trotz faktischem Ausnahmezustands sollen auch die Präsidentschaftswahlen wie geplant stattfinden. Polnische Rechtsexperten halten die Durchführung für verfassungswidrig. Die liberale Opposition protestiert vehement.

Sie hat nun ihre Wähler zum Boykott der Abstimmung am 10. Mai aufgerufen, die PiS trotz der Coronavirus-Pandemie weiterhin abhalten will. "Lasst uns diese Wahlen boykottieren, euer Leben ist das Wichtigste", sagte die liberalkonservative Präsidentschaftskandidatin Malgorzata Kidawa-Blonska am Sonntag vor Journalisten in Warschau. Alles andere wäre ihrer Ansicht nach in der aktuellen Situation "geradezu verbrecherisch", schrieb die Politikerin der Bürgerkoalition (KO) auf Facebook.

Ausser dem erneut antretenden Präsidenten Andrzej Duda (PiS) setzten alle Kandidaten ihren Wahlkampf aus, um den Kampf gegen die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus nicht zu behindern. "Die Präsidentschaftswahlen in der gegenwärtigen Situation zu organisieren, ist kriminell", teilte Kidawa-Blonska in einer Erklärung mit.

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"Die Regierung riskiert das Leben ihrer Wähler"

Auch der polnische Politikwissenschaftler Bartosz Rydliński hält das Vorgehen der Regierung für äusserst bedenklich. "Die Regierung riskiert das Leben ihrer Wähler", sagte der Forscher von der Warschauer Kardinal-Stefan-Wyszyński-Universität bereits vergangene Woche unserer Redaktion. "PiS will die Präsidentschaftswahl am 10. Mai unbedingt durchziehen."

Allerdings sei es Rydliński zufolge gut möglich, dass die Wahl angefochten wird. Unter anderem, weil es in den Wahllokalen im ländlichen Raum gar keine Wahlhelfer gebe, der Wahlkampf ausfällt und Duda zudem bevorzugt werde.

In einer kürzlich veröffentlichten Umfrage sprachen sich 72 Prozent der Polen für eine Verschiebung der Wahl aus. Breite Kritik gab es an der regierenden PiS-Partei, die das Wahlgesetz am Samstag dahingehend änderte, dass Bürger über 60 Jahre und unter Quarantäne stehende Menschen per Briefwahl wählen können.

Gerade die Alten wählen überdurchschnittlich PiS. Umgekehrt dürfen jüngere und im Ausland lebende Polen nicht per Briefwahl abstimmen. Diese beiden Gruppen würden hingegen laut Umfragen eher für Kidawa-Blonska oder den linken Kandidaten Robert Biedroń votieren.

"Normales Leben" in Polen nach Ostern?

PiS wischt die Einwände beiseite. Präsident Duda äusserte sich am Samstag im Fernsehsender TVP Info zur Wahl: Er hoffe, dass die Polen nach Ostern wieder zu einem "normalen Leben" zurückkehren können und die Voraussetzungen für die Abstimmung gegeben sind. "Sollte es passieren, dass die Epidemie weiter wütet, obwohl wir immer noch die gleiche Disziplin und die gleichen Beschränkungen wie bisher einhalten, dann könnte sich der Wahltermin meiner Meinung nach als unhaltbar erweisen", fügte er hinzu.

Die meisten Experten sind der Ansicht, eine Abstimmung im Mai erhöhe die Chancen von Duda. Der 47-Jährige führt derzeit in allen Befragungen mit grossem Abstand. Eine Verschiebung auf den Herbst hingegen könnte negative Auswirkungen auf seine Wiederwahl haben. Faktisch alle Parteien haben ihren Wahlkampf abgebrochen, deswegen ist Duda – auch aufgrund seines Amtes – noch präsenter in den Medien.

In Polen haben sich nach Angaben der John Hopkins University 1.862 Menschen mit dem Coronavirus angesteckt (Stand: 30. März, 10 Uhr). 22 von ihnen starben. Die Regierung schloss im Kampf gegen die Epidemie die Schulen sowie die Grenzen des Landes. Zudem herrscht, wie in Deutschland, ein Kontaktverbot von mehr als zwei Menschen.

Mit Material von AFP und dpa

Coronavirus in zwei deutschen Bundesländern nachgewiesen

In zwei deutschen Bundesländern sind Infektionen mit dem Coronavirus nachgewiesen worden. Einer der infizierten Patienten sei laut den Ärzten in kritischem Zustand. (Bild: Guido Kirchner/dpa)
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