Dutzende polnische Regional- und Kommunalverwaltungen haben sich "LGBT-frei" erklärt. Ein Fotoprojekt des schwulen Aktivisten Bart Staszewski sorgt nun europaweit für Aufsehen – und hat ihm selbst bereits mehrere Strafanzeigen eingebracht.
Bart Staszewski wusste sich nicht mehr anders zu helfen: Im Dezember fährt der 29 Jahre alte Pole durch den Südosten seines Heimatlandes, hängt gelbe Schilder an die Ortseingänge und macht Fotos davon. "LGBT-freie Zone" prangt in schwarzen Lettern darauf. Auf Polnisch, Englisch, Französisch und Russisch.
Der schwule Aktivist und Filmemacher macht so auf die Orte aufmerksam, die sich in den Monaten zuvor frei von lesbischen, schwulen, bisexuellen und transsexuellen Menschen (kurz LGBT) erklärt haben. Seit Anfang 2019 haben mehr als 80 Regional- und Kommunalverwaltungen eine Resolution "gegen LGBT-Ideologie" angenommen – laut MDR allesamt Hochburgen der nationalkonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS).
Nun sorgen Staszewskis Fotos europaweit für Aufsehen – wohl auch, weil sie an die Ausgrenzung von Juden im Dritten Reich erinnern, wie er im Gespräch mit unserer Redaktion sagt. Der Aktivist wurde zwar schon in der Vergangenheit von Rechtsextremisten attackiert. Doch die haben nun offenbar sogar Strafanzeigen gegen ihn eingereicht.
Verhofstadt: "Was heute in Polen wirklich schiefläuft"
"Die erste Zone wurde im Verwaltungsbezirk Lublin ausgerufen", erklärt Staszewski. Er selbst wohnt zwar mittlerweile in der Hauptstadt Warschau, stammt aber aus Lublin. "Mit einem Freund habe ich damals laut gegen die Resolution, gegen diese Propaganda gegen Schwule und Lesben protestiert." Die Resonanz sei überschaubar geblieben, sagt Staszewski.
Ganz anders die jüngste Fotoaktion.
So verbreitete der ehemalige europäische Liberalen-Chef und derzeitige Brexit-Chefunterhändler des Europaparlaments,
Staszewski: "Wir wollen nur sicher leben"
Unterdessen sind gegen Staszewski laut eigener Aussage mehrere Strafanzeigen eingegangen. So werfen ihm unter anderem rechtsextreme Politiker vor, "Lügen über Polen" zu verbreiten. "Sie behaupten, ich rede schlecht über das Land", erzählt Staszewski. "Dabei zeige ich nur, was die Politiker hier selbst verabschiedet haben."
Sein Ziel sei es, mit seinem Projekt Druck auf die Regierung auszuüben: "Das einzige, wovor PiS Angst hat, ist Druck aus Brüssel und aus der Wirtschaft."
Nachdem nicht nur zahlreiche polnische, sondern auch internationale Medien über Staszewskis Projekt berichteten, sah sich auch Polens Präsident Andrzej Duda genötigt, Stellung zu beziehen. Wohlgemerkt erst am Sonntag, obwohl die homophoben Beschlüsse teils schon im Frühjahr 2019 verabschiedet worden sind.
PiS-Politiker Duda sagte der konservativen Wochenzeitung "Wprost", dass er die Resolutionen der Kommunalverwaltungen nicht unterstützen würde. Zugleich teile er aber auch nicht die Sorgen von LGBT-Aktivisten wie Staszewski. "Wir haben es hier nicht mit Menschenrechtsverletzungen zu tun", sagte Duda. Denn die Urheber der Resolutionen würden betonen, dass sich diese nicht gegen Menschen, sondern gegen eine bestimmte Ideologie richteten.
Staszewski widerspricht vehement: "Wir verfolgen keine Ideologie. Wir wollen einfach nur heiraten und Kinder adoptieren dürfen und sicher leben – das sind ganz einfach Menschenrechte."
Ähnlich sieht das auch das EU-Parlament. Das prangerte im Dezember die "Hetze von öffentlichen Stellen und gewählten Amtsträgern" gegen sexuelle Minderheiten an, wie es in der von einer breiten Mehrheit der Parlamentarier angenommenen Entschliessung heisst. Die Diskriminierung durch polnische Verwaltungen richte sich laut Europaparlament zudem auch gegen Alleinerziehende.
Immer wieder schwulenfeindliche Attacken
Erst im Oktober hatte PiS ihre absolute Mehrheit im polnischen Parlament ausbauen können – nach einem stark polarisierenden Wahlkampf und mit Verbalattacken auf sexuelle Minderheiten. Parallel sind diese bei Gay-Pride-Paraden immer wieder von Gegendemonstranten attackiert worden, die sich grösstenteils aus der Fussball-Hooligan- und rechtsextremen Szene rekrutieren.
Für Staszewski sind deshalb die "wahren Helden" jene Homosexuellen, die sich von ihm vor den Ortseingangsschildern ablichten liessen. "Sie riskieren viel und sie müssen dort leben."
Das Projekt erinnert Staszewski auch an seine eigene Teenagerzeit. Mit 14 habe er gewusst, dass er homosexuell ist. "Es war tough in der Schule – ich war der einzige Schwule im Dorf. Ich dachte, es gäbe gar keine anderen." Es seien "sehr dunkle Zeiten" gewesen, erinnert sich der heute 29-Jährige.
Für ihn sei es daher wie eine Erlösung gewesen, 2018 die erste Gay-Pride-Demonstration von Lublin mitzuorganisieren. "Das hat plötzlich alles verändert" – trotz dessen die Parade von gewalttätigen Ausschreitungen überschattet wurde. Die Polizei musste Tränengas und Wasserwerfer gegen die Gegendemonstranten einsetzen.
Dennoch sieht Staszewski Hoffnung: Allein Politiker und Kirchenvertreter würden sich wenig tolerant und empathisch zeigen. "Dagegen gibt es immer mehr Polen, die auf unserer Seite stehen." Bisher habe Staszewski erst sechs oder sieben der "LGBT-freien" Kommunen besucht. "Insgesamt will ich 37 fotografieren, in denen die Resolution zuerst beschlossen wurde."
Es gibt noch viel zu tun für ihn.
Verwendete Quellen:
- Telefongespräch mit Bart Staszewski
- Webseite des "LGBT-free zones project"
- MDR: "LGBT-freie Zonen in Polen"
- Facebook-Seite von Guy Verhofstadt
- "Wprost": "Prezydent dla 'Wprost': Poważnie rozważyłbym podpisanie ustawy o związkach partnerskich"
- Europäisches Parlament: "Öffentliche Diskriminierung von und Hetze gegen LGBTI-Personen sowie LGBTI-freie Zonen"
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