Was hat Polens konservative Regierung vor? Erst wurden kritische Medien mundtot gemacht, nun das Verfassungsgericht entmachtet. Ex-Minister Andrzej Halicki spricht von einem "schleichenden Staatsstreich", der frühere Präsident Lech Walesa fordert Neuwahlen.
Der Widerstand gegen die Politik der neuen polnischen Regierung um Ministerpräsidentin Beata Szydlo wächst.
Erst am Wochenende waren Zehntausende Menschen landesweit auf die Strasse gegangen, in Umfragen verliert die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) um ihren Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski an Zustimmung.
Nächste Empörungswelle in Polen
Und auch die Europäische Union beobachtet die Entwicklung mit Sorge. Nun sorgt das polnische Parlament mit der Neuordnung des Verfassungsgerichts für die nächste Empörungswelle.
"Heute ist mit blossem Auge zu erkennen, dass wir es mit einem schleichenden Staatsstreich zu tun haben", sagte Ex-Minister Andrzej Halicki von der liberalen Bürgerplattform (PO).
Ähnlich hatte sich EU-Parlamentspräsident
"Das Wort `Staatsstreich` halte ich für zu gross", erklärt Prof. Thomas Jäger, Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Politik und Aussenpolitik an der Universität Köln im Gespräch mit unserer Redaktion.
"Wenn die Opposition aber von einem 'schleichenden Staatsstreich' spricht, dann kommt dadurch die Sorge zum Ausdruck, dass sie und die Bürger jetzt tätig werden und in den politischen Prozess eingreifen müssen."
Auch Polens Präsident Andrzej Duda, der der regierenden PiS nahe steht, wies die Vorwürfe in einem Interview mit dem "Spiegel" zurück: "In Polen gibt es einen politischen Streit, aber auf keinen Fall ist die Demokratie in Gefahr".
Duda: "Grobe Übertreibung und beleidigend"
"Nicht nur ich, sondern auch viele Polen empfinden das, was Herr Schulz gesagt hat, als grobe Übertreibung, ja sogar als beleidigend", erklärte Duda weiter.
Dennoch: Nach der geplanten Gesetzesänderung müssten Urteile des Verfassungsgerichts künftig mit Zweidrittelmehrheit und Beteiligung von 13 von 15 Richtern gefällt werden. Darüber hinaus entfiele der Paragraf der die Unabhängigkeit des Gerichts gewährleistet.
Unmittelbar nach ihrem Wahlsieg hatte die Regierung mittels eines neu erlassenen Gesetzes fünf neue und linientreue Verfassungsrichter bestimmt.
Das Verfassungsgericht selbst stufte dies später als verfassungswidrig ein, aber da waren die neuen Richter von Präsident Duda bereits vereidigt worden.
"Wir haben die Gewaltenteilung in Polen. Daran muss sich jede Regierung halten", stellte Ex-Präsident Lech Walesa in der "Welt" klar. "
Die Regierung versucht nun Fakten zu schaffen, um ihre Führungsposition zu manifestieren. Indem sie das Verfassungsgericht unter ihre Kontrolle bringt, wird die Macht in der Exekutive, also in der Regierung, konzentriert", erklärt Politologe Jäger.
Walesa fordert Neuwahlen
Um das zu verhindern, spart Lech Walesa, der in den 1980er Jahren als Führer der Arbeitergewerkschaft Solidarnosc gegen das kommunistische Regime weltweit bekannt wurde, nicht mit Kritik.
Im polnischen Rundfunk sagte der 72-Jährige: "Diese Regierung handelt gegen Polen, gegen das, was wir erreicht haben: Freiheit, Demokratie, ganz zu schweigen davon, dass sie uns in der ganzen Welt lächerlich macht".
Angesichts der drohenden Spaltung des Landes warnte er sogar vor einem Bürgerkrieg und forderte Neuwahlen.
"Die Teilung des Landes in einen eher konservativen Osten und einen Europa zugewandten Westen gibt es schon länger", erklärt Jäger.
Mit solch scharfer Kritik am Kurs der Regierung werde nicht zur Entspannung beigetragen, das Wort vom Bürgerkrieg sei "überzogen". Zudem habe es schon die liberale Vorgängerregierung nicht vermocht, die Gegensätze zu verringern.
Polen kritisiert Merkels Flüchtlingspolitik
Kritisch äusserte sich auch der luxemburgische Aussenminister und EU-Ratsvorsitzende Jean Asselborn. Er nannte im Südwestrundfunk den Rechtsruck "furchterregend" und drohte Polen offen mit einem Stimmrechtsentzug auf EU-Ebene.
Die neue Regierung hatte unmittelbar nach ihrem Wahlsieg alle europäischen Flaggen von offiziellen Gebäuden entfernen lassen. Deutschland bringt der neue Kurs des Nachbarn ebenfalls in Schwierigkeiten.
"Die enge Abstimmung mit Polen war immer im Interesse der deutschen Europapolitik", erklärt Thomas Jäger. Wenn ein wichtiger Staat einen "EU-kritischen oder sogar EU-feindlichen Kurs" einschlage, sei das gegen die Interessen der europäischen Integration.
Man muss abwarten, was passiert
Wegen ihrer Flüchtlingspolitik war Bundeskanzlerin Angela Merkel zuletzt auch von Warschau immer wieder scharf angegriffen worden.
Dass Polen auf der Pariser Klimakonferenz entgegen seiner Ankündigung moderat aufgetreten sei und auch die europäische Flüchtlingshilfe für die Türkei mitgetragen habe, wertet Jäger dagegen als Zeichen vernünftiger Diplomatie.
"Man muss abwarten, ob die Suppe aussenpolitisch tatsächlich so heiss gegessen wird, wie sie gekocht wird", sagt der Experte. Soll heissen: Womöglich schlägt die polnische Regierung trotz ihrer Brachialrhetorik einen realistischen aussenpolitischen Kurs ein.
Prof. Dr. Thomas Jäger ist seit 1999 Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Politik und Aussenpolitik an der Universität zu Köln. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in internationalen Beziehungen sowie amerikanischer und deutscher Aussenpolitik.
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