Drei diplomatische Kontroversen in jüngster Zeit werfen die Frage auf, ob die Schweiz noch als moralische Stimme in der Weltpolitik angesehen werden kann. Das schreibt der schweizerisch-amerikanische Politikwissenschaftler Daniel Warner. Jüngstes Beispiel: Der Bundesrat will dem UNO-Migrations-Pakt vorerst nicht zustimmen, weil er die Debatte im Parlament abwarten möchte.

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Die Schweiz war immer stolz darauf, sich aufgrund ihrer erfolgreichen Wirtschaft, ihrer historischen Neutralität und ihrer Werthaltungen einen Platz unter den grösseren Ländern erobern zu können und Gastgeberin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) und des UNO-Menschenrechtsrates zu sein.

Der Nutzen insbesondere des internationalen Genfs, als einzigartige Plattform für Diskussionen wie den Reagan-Gorbatschow-Gipfel während des Kalten Krieges oder die syrischen Friedensgespräche, haben das Bild der Schweiz in Menschenrechts- und humanitären Fragen gestärkt.

Aber drei Kontroversen in jüngster Zeit haben diese Identität in globalen Angelegenheiten in Frage gestellt: die Weigerung, einen Vertrag zu unterzeichnen, der den zukünftigen Einsatz von Atomwaffen verbietet; ein Entscheid, Waffen auch an Bürgerkriegsländer zu verkaufen; und die vertagte Unterzeichnung eines globalen Pakts, der die internationale Migration steuern soll.

Während für jede der Entscheidungen eine Rechtfertigung gefunden werden kann, werfen sie dennoch Fragen nach der Zukunft der sorgfältig aufgebauten Identität des Landes auf.

Verbot von atomaren Waffen

Am 1. November verabschiedete der Ausschuss für Abrüstung und internationale Sicherheit der UNO-Generalversammlung eine Resolution zur Unterstützung des Vertrags über das Verbot von Kernwaffen.

Mehr als 120 Länder bekräftigten ihre Unterstützung für den Vertrag, aber die Schweiz war nicht dabei, und sie gehörte auch nicht zu den Ländern, die das Abkommen unterzeichnet haben.

Der Zweck des Vertrages ist klar und scheint mit der Schweizer Politik vereinbar zu sein: Die Vertragsstaaten verpflichten sich, keine atomaren Waffen zu entwickeln, testen, produzieren oder weiterzugeben.

Aber im August hat sich der Bundesrat gegen die Unterzeichnung des Vertrages ausgesprochen. Ein Entscheid, der von Annette Willi, der Präsidentin der Schweizer Abteilung von ICAN, einer Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Kernwaffen, heftig kritisiert wurde (ICAN war Gewinnerin des Friedensnobelpreises 2017).

"Die Schweizer Position zu dieser Frage hat internationale Auswirkungen", sagte Willi. "Als Schweizer Bürgerin muss man sich fragen.... ob wir derzeit den Niedergang der grossen humanitären Tradition unseres Landes erleben."

Ende Oktober stimmte auch die Aussenpolitische Kommission des Ständerats gegen den Beitritt der Schweiz zum Atomwaffensperrvertrag – eine weitere Ablehnung der humanitären Tradition der Schweiz.

Waffenverkäufe

Eine Kontroverse über den Verkauf von Waffen an Bürgerkriegsländer hat auch nicht geholfen, das Image der Schweiz zu verbessern. Im Juni kündigte die Schweiz an, unter bestimmten Bedingungen den Verkauf von Waffen an Länder mit "internen bewaffneten Konflikten" zu erlauben.

Die Schweizer Regierung sagte, dass "Kriegsmaterial" verkauft werden dürfe, aber nur, wenn es während des internen Konflikts nicht verwendet werde. Sie fügte jedoch hinzu: "Es sollte jetzt möglich sein, eine Ausfuhrgenehmigung zu erteilen, wenn kein Grund zu der Annahme besteht, dass das zu exportierende Kriegsmaterial in einem internen bewaffneten Konflikt verwendet wird".

Die Ausnahme "würde nicht für Länder gelten, die vom Bürgerkrieg geplagt sind, wie aktuell Jemen oder Syrien", sagte die Regierung. Nach einem Aufschrei in der Bevölkerung hat die Regierung ihre Position inzwischen geändert.

Amnesty International begrüsste diese Kehrtwende, sagte aber, dass sie "zu spät und erst nach enormem öffentlichen Druck" erfolgt sei.

Obwohl die Schweiz ein neutrales Land ist, verzeichnete die grösste Schweizer Rüstungsfirma RUAG 2017 den höchsten Geschäftsumsatz aller Zeiten. Zwischen Geschäft und Werten herrscht ein schwieriges Spannungsverhältnis.

Migrationspakt

Der Schweizer Botschafter bei der UNO in New York, Jürg Lauber, war Mitbegründer des Globalen Pakts für eine sichere, geordnete und reguläre Migration.

Angesichts der Schrecken der jüngsten Massenmigrationskatastrophen erarbeitete Botschafter Lauber seit 2016 zusammen mit dem UNO-Botschafter Mexikos, Juan Jose Gomez Camacho, Massnahmen, um den Umgang mit Migranten zu verbessern und die destabilisierten Aufnahmeländer zu unterstützen.

Im Oktober noch sprach sich der Bundesrat für den UNO-Migrationspakt aus. Die Regierung erklärte, dass das Abkommen den Interessen der Schweiz in Sachen Migration und ihrem Engagement für die Stärkung einer globalen Migrationspolitik entspreche.

Botschafter Lauber erklärte: "Dieses Abkommen setzt die Migration auf die globale Agenda. Er wird für die kommenden Jahre ein Bezugspunkt sein und einen echten Wandel vor Ort herbeiführen."

Aber am 21. November änderte der Bundesrat seine Position und kündigte an, dass die Schweiz im Dezember nicht an der internationalen Konferenz in Marokko teilnehmen werde, an der die Staaten das Dokument – welches rechtlich nicht bindend ist – unterzeichnen werden. Die Schweizer Regierung will den Entscheid verschieben, bis das Parlament über die Sache debattiert hat.

Für den Bundesrat, der unter erheblichem Druck der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) steht, ist die Situation politisch nicht klar. Zusätzlich zur bisher unklaren Position des Parlaments diskreditiert die jüngste Entscheidung der Regierung über den Pakt die Arbeit ihres Botschafters bei den Vereinten Nationen als Co-Facilitator.

Obwohl Länder wie die USA, Ungarn und Österreich bereits angekündigt haben, den Pakt nicht unterzeichnen zu wollen, wird eine Ratifizierungs-Verweigerung der Schweiz als besonderen Affront gegenüber der UNO sowie als Ablehnung ihres eigenen Botschafters in New York gewertet.

Drei Kontroversen, drei schwierige Entscheidungen. Etwas haben die drei Fälle aber gemeinsam: Die humanitäre Tradition der Schweiz wird in Bern in Frage gestellt. Und die moralische Haltung, die der Schweiz auf internationaler Ebene zu mehr Gewicht verhalf, als ihr von der Grösse her zustehen würde, wird untergraben.

(Übertragung aus dem Englischen: Sibilla Bondolfi)

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