Was will der Mann eigentlich? Anne Will sucht mit ihren Gästen nach der Methode hinter dem Wahnsinn von Boris Johnson. Dessen Parteifreund Greg Hands muss sich von Norbert Röttgen so Einiges anhören.

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Was in Grossbritannien seit einigen Wochen abläuft, wirkt ein bisschen so, als hätten sich RTL2-Autoren an einem Stoff von Shakespeare versucht: Grosses Drama, aber unterste Schublade.

Premierminister Boris Johnson versucht sich an einer Art Coup gegen das Parlament, der sogar seinen eigenen Bruder Jo derart verstörte, dass er sein Mandat hinschmiss. Arbeitsministerin Amber Rudd ging am Wochenende von Bord und attackierte ihren Ex-Chef offen für seinen "politischen Vandalismus".

Und Johnson? Plant schon die Operation "Kettensägenmassaker": Er will offenbar das Anti-No-Deal-Gesetz schlicht und einfach ignorieren.

Ein Wahnsinn, aber vielleicht gilt ja für Johnson, was für Shakespeares Hamlet galt: "Though this be madness, yet there is method in't" (zu Deutsch: "Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode")

Was ist das Thema?

Eben mit dieser Methode hinter dem Wahnsinn beschäftigte sich die Runde Anne Will am Sonntagabend. "Kommt der britische Premier damit durch?" lautete die Leitfrage, die zum munteren Spekulieren einlud – denn eine Antwort können natürlich nur die nächsten Wochen liefern.

Wer sind die Gäste?

"Unterschätzen Sie Boris Johnson nicht", sagte Greg Hands immer wieder. Der Abgeordnete der Tories hatte einen schweren Stand, musste er sich doch vor einem Millionenpublikum für den Kurs des Mannes rechtfertigen, den er eigentlich nicht an der Spitze seiner Partei sehen wollte.

Aber was auch immer aber die anderen Gäste und die Zuschauer vom "besseren Donald" (So nannte ihn das Manager Magazin in einer Glosse) halten mögen – bei den Wählern zu Hause gewinnt er laut Umfragen an Boden, was Hands der Runde mit britischem Understatement unter die Nase rieb.

Die britische Opposition vertrat EU-Parlamentarierin Irina von Wiese von den Liberal Democrats. Wenig überraschend sieht sie den Premier schon nach wenigen Wochen im Amt am Ende.

"Er hat ausgespielt, er hat auch kein Ass mehr im Ärmel." Das gelte sowohl für den Konflikt mit dem Parlament als auch für die Verhandlungen mit der EU, die Wiese für einen "Mythos" hält.

CDU-Aussenpolitiker Norbert Röttgen pflichtete ihr bei: Zwar würden die Briten immer wieder in Brüssel vorstellig. Aber das sei nur ein Vorwand, ein "Teil des Schwindels", von Verhandlungen könne keine Rede sein.

In Wahrheit wolle Johnson keinen Deal. Auch, weil ihn die Brexit-Hardliner in der Hand hätten. "Die würden ihn politisch töten, wenn er vom Kurs abrückt." Mit dem Brexit habe Johnson eh nie etwas am Hut gehabt: "Es geht um das Amt des Premierministers, das war nur Teil seiner Machtstrategie."

Johnson als prinzipienloser Ego-Zocker, dieses Bild bediente auch Rolf-Dieter Krause, der ehemalige Chef des ARD-Studios in Brüssel – und damit Ex-Kollege des Premiers, der sich schon in seiner Zeit als EU-Korrespondent des "Daily Telegraph" von 1989 bis 1994 einen zweifelhaften Ruf erworben hatte.

"Er ist ein notorischer Lügner, er hat nur die Wahrheit gesagt, wenn er seinen Namen nannte", sagte Krause, der Johnson entzaubert sieht: "Jetzt allmählich wird deutlich: Alle Versprechungen sind hohl."

Die deutsche Historikerin Tanja Bueltmann lebt und arbeitet in Grossbritannien. Sie hält nicht viel von Johnson ("Er hat keinen Plan. Er hat nie einen gehabt.") und seinen Konfrontationskurs mit dem Unterhaus für einen Angriff auf Parlamentarismus und Demokratie – symbolisiert von Brexiteer Jacob Rees-Mogg, der sich inmitten einer aufgewühlten Debatte für ein Nickerchen auf eine Sitzbank lümmelte. "Wenn ich dieses Bild sehe, wird mir ganz schlecht."

Was war das Rededuell des Abends?

Duzen ist in politischen Debatten normalerweise der Tod jeder harten Debatte und deswegen ein beliebtes Stilmittel von Politikern, die sich gegen Kritik immunisieren wollen – will ein Regierungsvertreter den Oppositionspolitikern den Wind aus den Segeln nehmen, muss er sie nur vertraulich beim Vornamen ansprechen, schon schrumpft jeder Schlagabtausch zum Kaffeekränzchen.

Nicht so bei Anne Will: Norbert Röttgen startete seine Tiraden stets mit einem freundlichen "Greg", nur um dem Tory-Abgeordneten dann ordentlich die Leviten zu lesen.

Die Suspendierung des Parlaments, nur eine normale Pause? "Greg, euer Fehler ist, dass ihr versucht, die Leute für dumm zu verkaufen. Kein Mensch glaubt das."

Und das 82-Seiten-Papier, in dem Hands eine Alternative zum Backstop erarbeitet hat? "Ohne dich zu enttäuschen, aber ich bin mir ganz sicher, er hat keine Zeile deines Plans gelesen."

Was war der Moment des Abends?

Man kann es leicht vergessen, deswegen war es wichtig, dass Journalist Rolf-Dieter Krause noch einmal daran erinnerte: "Wir reden über taktische Spielereien, aber es geht um Menschen, die bitter leiden."

Die Regierung in London, berichteten englische Medien Mitte August, rechnet bei einem No-Deal-Brexit mit Engpässen bei Nahrungsmitteln, Treibstoff und Medikamenten. Immer mehr Krankenhäuser und Pflegeheim leiden schon jetzt unter Personalmangel, weil Fachkräfte abwandern, Krebspatienten warten unerträglich lange auf ihre Behandlung.

Ganz zu schweigen davon, dass noch niemand weiss, wie die Auslandsbriten im Falle eines chaotischen Brexits ihre Gesundheitsversorgung sicherstellen können.

Wie hat sich Anne Will geschlagen?

Es war ein Abend, an dem sich die Gastgeberin zurücknehmen konnte – nur hin und wieder schob sie in der doch teils recht anspruchsvollen Diskussion ein paar Erklärungen ein oder half nach.

Zum Beispiel als der merklich aufgebrachte Norbert Röttgen von "verkappten Neuwahlen" sprach, wo er doch eigentlich mögliche Neuwahlen als "verkapptes Referendum" bezeichnen wollte.

So aufmerksam Will die Details im Auge behielt, konnte auch sie nicht verhindern, dass die Diskussion ins Technische abdriftete – es ist wohl keine mutige These, dass bis heute 8 von 10 ARD-Zuschauer nicht genau wissen, was dieser "Backstop" sein soll.

Und wichtiger wäre es ohnehin, siehe oben, viel mehr darüber zu reden, was der Brexit eigentlich für die Menschen in Grossbritannien bedeutet, und warum seit drei Jahren noch immer kein Durchbruch gelungen ist.

Was ist das Ergebnis?

Mit Ausnahme von Greg Hands – und auch bei ihm kann man sich nicht so sicher sein, vielleicht zieht er es einfach vor, zu schweigen – halten Anne Wills Gäste an diesem Abend Boris Johnson, den Regierungschef eines der wichtigsten Staaten der Erde, für einen skrupellosen wie gefährlichen Irren.

Ein bemerkenswertes Stimmungsbild, das man nochmal sacken lassen sollte, selbst wenn man sich irgendwie im Jahr 2019 schon fast daran gewöhnt hat.

Norbert Röttgen sieht sogar den Fortbestand des Königreichs in Gefahr, wenn der Premier seinen populistischen Amoklauf fortsetzt, weil die Schotten sich im nächsten Referendum lossagen würden vom Empire.

Und auch die Tories, warnt der CDU-Mann, würden politisch nicht überleben. "Schon jetzt ist so viel Schaden angerichtet, so viel Hass, so viel Verachtung."

Was bleibt als Lösung? Ein zweites Referendum vielleicht, eines, in dem die Bürger anders als beim ersten Mal wissen, worauf sie sich einlassen. Aber wie eine solche Wiederholung ausgehen würde, darauf wollte niemand in der Runde wetten.

Ex-Brüssel-Korrespondent Krause sieht die Probleme nicht einmal gelöst, wenn eine Absage an den Brexit herauskommen sollte. "Die Verheerungen sind doch schon da, die wären dann nicht erledigt."

So klingt Rat- und Hoffnungslosigkeit bei Anne Will.


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