"Wie viel Grün steckt in Schwarz?" fragte Anne Will gestern Abend in ihrem Polittalk Wolfgang Schäuble und Cem Özdemir. Doch statt einer Diskussion über Programmnuancen bekam der Zuschauer einen spannenden Einblick in die Art, Politik zu machen.

Christian Vock
Eine Kritik

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"Das ist doch alles dasselbe, egal, wen man wählt." Diesen Satz dürfte jeder schon einmal gehört, vielleicht sogar selbst einmal gesagt haben. Aber ist das wirklich so? Kurz vor der Wahl ist diese Frage umso spannender, da natürlich jede Partei jetzt noch versucht, ihr Profil zu schärfen.

Auf der anderen Seite ist diese Frage kurz nach der Wahl mindestens genauso spannend, weil da schliesslich die Koalitionen geschmiedet werden, man sehen wird, wo man Gemeinsames findet.

Anne Will hat gestern beide Fragen zusammengeführt und bei zwei Parteien einmal durchdekliniert. "Wie viel Grün steckt in Schwarz?" wollte sie von Cem Özdemir, dem Spitzenkandidaten der Grünen, und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble von der CDU wissen.

Wolfgang Schäuble bei den Grünen?

Nun ist alleine schon die Fragestellung interessant, denn Will hätte ja auch "Was haben CDU und Grüne gemeinsam?" oder auch umgekehrt "Wie viel Schwarz steckt in Grün?" fragen können, schliesslich sind die Grünen über die Jahre angeblich immer bürgerlicher geworden.

Doch Wills Frage treibt die Diskussion in eine ganz bestimmte Richtung und spielt den Ball in die Reihen der Union, denn damit wird ja gleichzeitig gefragt, wie viele Inhalte die CDU im Laufe der Jahre von den Grünen übernommen hat.

Dementsprechend geht Wills erste Frage an Wolfgang Schäuble, ob er sich denn vorstellen könne, bei den Grünen Mitglied zu sein, so wie die sich verändert hätten.

Eine typische Türöffnerfrage, denn die Antwort ist natürlich klar und Schäuble verneint die Frage ebenso rhetorisch mit Altersunflexibilität. Bei Frage zwei wird es dann schon direkter, denn Will bittet Schäuble, einmal ganz knackig zu sagen, wo denn die Unterschiede zwischen Schwarz und Grün liegen.

Realismus gegen Super-Realismus

Nun ist Wolfgang Schäubles Art nun einmal nicht unbedingt die knackigste, mit seinem Kurztrip zu Lessings "Nathan, der Weise“ will der Finanzminister aber sagen: Regierungsverantwortung und damit Realitätsbezogenheit.

Schäubles Antwort ist in sofern interessant, da sie impliziert, dass es so grosse inhaltliche Differenzen gar nicht gibt, denn sonst hätte er sie sicher genannt, zumal in Wahlkampfzeiten.

Stattdessen sieht Schäuble den grössten Unterschied in der Art, Politik zu machen, was sich am gestrigen Abend als die viel spannendere Frage entpuppt.

Inhaltlich, das zeigt sich gestern, sind die beiden Parteien nämlich tatsächlich bei Vielem gar nicht weit voneinander entfernt. Nur bei der Umsetzung zeigen sich zwei unterschiedliche Positionen: Realismus gegen Super-Realismus - wobei zu ergründen ist, welcher Weg nun der realistischere ist.

Schäubles Argument am Beispiel Mobilität geht dabei so: Der Kampf für eine nachhaltige Politik sei eine Riesenaufgabe, aber sie darf nicht zu Lasten der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Deutschlands gehen, denn das sei der grosse Trumpf des Landes in der internationalen Politik.

Ohne starke Wirtschaft kein globales Standing und damit auch keinen Einfluss, nachhaltige Politik international umzusetzen.

Ausserdem müsse man bei allem politischen Handeln darauf achten, so Schäuble, dass man die Menschen dabei mitnehme, und da sei "die Union besser als die Grünen."

Das Elektroauto kommt - nur von wem?

Özdemir hält Schäubles Weg für einen zu weichen Kurs, bei dem am Ende nichts vorangehe.

Merkel sei für Überschriften gut, wenn es ums Handeln gehe, ginge es nur mit den Grünen. Wie man dieses Handeln gut mache, habe man beim Atomausstieg gesehen.

Den habe Rot-Grün zusammen mit der Wirtschaft durchgezogen, ehe dann die schwarz-gelbe Koalition ihn zunächst rückgängig gemacht und die Laufzeiten verlängert habe - nur, um dann nach Fukushima wieder einen wesentlich teureren Rückzieher zu machen.

Und, um am Beispiel Mobilität zu bleiben: Für Özdemir müsse schneller und entschiedener etwas passieren, denn gerade ein zögerlicher Kurs schade der Wirtschaft.

Dass die Elektroautos kämen, sei für Özdemir keine Frage. Für ihn sei nur wichtig, dass die Autos dann eben aus Deutschland kommen und nicht aus China oder den USA. Wirtschaft und Umweltschutz würden sich laut Özdemir eben nicht ausschliessen.

Es war genau diese Frage nach der Art, wie man seine politischen Ziele am besten umsetzt, die den gestrigen Abend so interessant macht.

Wo der inhaltliche Unterschied zwischen den beiden Parteien ist, das kann man schliesslich im Wahlprogramm nachlesen und ob grüne Inhalte im Programm der Union nur wegen der Grünen stehen - diese Beweisführung ist in beide Richtungen müssig.

Ob die Union ohne Fukushima den Atomausstieg beschlossen hätte, den sie kurz zuvor erst rückgängig gemacht hat, darf jedenfalls bezweifelt werden.

Muss man die Menschen mitnehmen?

Interessanter war deshalb der Streit zwischen Schäuble und Özdemir, wie man die grossen Zukunftsfragen - und um die ging es inhaltlich gestern - denn am besten beantworte. Muss man tatsächlich die Menschen mitnehmen, wie es Schäuble fordert und was bedeutet das überhaupt?

Hat man angesichts der riesigen Herausforderungen überhaupt die Zeit und den Raum, Menschen mitzunehmen und damit eventuell kleinere Brötchen zu backen als möglich wäre?

Bestes Beispiel für Entschiedenheit ist die Hysterie bei der Einführung des Sicherheitsgurtes 1976. Allen war klar, dass der Gurt Leben rettet, aber Anschnallen wollte sich niemand. Trotzdem wurde es beschlossen und heute schnallt man sich wie selbstverständlich an.

Diplomatisch, konsensorientiert und viele Entscheidungen nur freiwillig

Funktioniert das auch beim Klimaschutz? Muss mehr von Seiten der Politik passieren, weil sonst nichts passiert und die Folgen dann umso schlimmer sind? Oder ist der Unionsweg à la Schäuble besser: Diplomatisch, konsensorientiert und viele Entscheidungen nur freiwillig?

Und: Wer sagt, dass man die Menschen nicht auch bei einem entschiedeneren Kurs mitnehmen kann? Wichtige Fragen, die sich der Zuschauer selbst beantworten muss.

Nach gestern Abend weiss man aber immerhin: Ja, es steckt schon einiges Grün in Schwarz. Wie man dieses Grün aber in Politik umsetzt, da ist es dann doch nicht egal, wen man wählt.

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