Sind Flüchtlinge nun gut oder böse oder doch einfach Menschen mit allen Facetten? Diese Frage sei immer noch nicht genug abgearbeitet, findet offenbar Anne Will. Auf die Hysterie in der öffentlichen Debatte antworten ihre Gäste mit viel Nüchternheit.
Ein angebliches Club-Verbot für Flüchtlinge im als liberal geltenden Freiburg hat in den vergangenen Tagen für Wirbel gesorgt. Die Betreiber des Clubs seien selbst sehr unglücklich mit der Situation, meint der Oberbürgermeister Dieter Salomon (Grüne) bei "
Am runden Tisch seien die Probleme offen besprochen und Massnahmen ergriffen worden. Die Probleme gingen aber nur von einer bestimmten, kleinen Gruppe aus. "Alle anderen dürfen nicht stigmatisiert werden", betont Salomon. Pauschale Hausverbote werde es nicht geben.
Die Verunsicherung in Deutschland ist gross. In anderen Städten wurden Verbote für Flüchtlinge in Schwimmbädern ausgesprochen. CDU-Politiker
Mit einem Vergleich zu Bade-Verboten für Juden unter der NS-Regierung hatte der Anwalt Mehmet Daimagüler in den vergangenen Tagen provoziert. Er will es als Warnung verstanden wissen. Ein Rechtsstaat müsse Menschen als Individuen sehen, nicht als Teil von Gruppen. Er selbst hat es oft genug anders erlebt: "Ich bin damit aufgewachsen. Ich war nicht Mehmet Daimagüler, sondern der Türke."
"Zwei Wochen Integrationskurs reicht nicht"
Junge Männer, allein und ohne Perspektive, machen Schwierigkeiten. Das ist ein Muster, das sich auf der ganzen Welt wiederfindet. Auch Wills Gäste berufen sich darauf. Doch der grösste Streitpunkt unter ihnen ist, welche Rolle die gesellschaftliche Prägung der Flüchtlinge dennoch spielt.
Einige Flüchtlinge seien in ihren Herkunftsländern mit Antisemitismus oder Homophobie gross geworden, sorgt sich Spahn: "Das geben sie nicht an der Grenze ab." Er warnt davor, die "Grösse der Aufgabe" zu unterschätzen: "Zwei Wochen Integrationskurs reicht nicht."
"Die meisten wollen arbeiten, Deutsch lernen, sich integrieren", sagt Bürgermeister Salomon. Probleme gebe es vor allem mit einer kleinen Gruppe von Jugendlichen, meist aus Nordafrika, mit einer langen Fluchtgeschichte und selbst erlebter Gewalterfahrung, die nur das Recht des Stärkeren kennen. "Die muslimische Familie, die nach Deutschland kommt, kann man nicht mit denen in einen Topf werfen", mahnt der Grünen-Politiker.
Die Frauenrechtlerin und Publizistin Anke Domscheit-Berg stört besonders die Einseitigkeit in der Debatte. Sie beobachtet eine "Über-Fokussierung auf eine ganz bestimmte Tätergruppe mit einer ganz bestimmten Straftat". Auch wenn es ein "schwieriges Frauenbild" in mancher Gesellschaft gebe, lasse sich dies nicht "gleichsetzen mit der Bereitschaft, einer Frau gegen deren Willen zu nahe zu kommen".
Auch das deutsche Sexualstrafrecht habe noch erhebliche Lücken und Sexismus gehöre in Deutschland immer noch zum Alltag. Unverständlich ist für sie, warum der Familiennachzug für Flüchtlinge erschwert werden soll – obwohl viele Männer allein nach Deutschland gekommen sind. Dies führe sie in die Vereinsamung und erhöhe damit die Wahrscheinlichkeit von Straftaten.
Viele Flüchtlinge lebten isoliert, warnt auch Daimagüler. "Sie können Deutschland nur kennenlernen, wenn wir mit ihnen sprechen." Ein Verbot des Nachzugs nütze ohnehin nichts: "Die Menschen werden trotzdem kommen."
"Das ist eine der grössten Chancen, die Deutschland je hatte"
Nach wie vor engagieren sich viele Haupt- und Ehrenamtliche in Deutschland unermüdlich für Flüchtlinge. Aber nicht allen Menschen fällt der Kontakt mit den Angekommenen leicht oder wollen ihn überhaupt. Im schlimmsten Fall kommt es zu offenem Hass und Gewalt gegen Asylbewerberheime und fremd aussehenden Menschen.
Gutes Deutschland, böses Deutschland? Auch hier dürfe man nicht pauschalisieren, meint Spahn. Die Deutschen erlebten zum ersten Mal seit vielen Jahren keine "Fernsehkrise", sondern seien selbst betroffen.
Trotz aller Risiken und Nebenwirkungen der Einwanderung von Flüchtlingen gibt es auch Grund zum Optimismus. Die Flüchtlingssituation rückt Engpässe und Schwachstellen ins Licht der Öffentlichkeit. Am Ende könnten davon alle profitieren.
Seit sieben Jahren fordere er schon mehr Polizisten in seinem Freiburg, der "Kriminalitätshauptstadt von Baden-Württemberg", sagt Bürgermeister Salomon. Jetzt könnte es vielleicht klappen. Spahn verspricht sich eine neue Wertschätzung für Polizeiarbeit. Domscheit-Berg und Daimagüler wünschen sich eine Stärkung der Frauenrechte. "Das ist eine der grössten Chancen, die Deutschland je hatte", glaubt Domscheit-Berg.
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