Werden wir jetzt alle unvernünftig, weil die Infektionszahlen sinken? Diese Frage wollte Anne Will am Sonntagabend mit ihren Gästen klären. Eine wirkliche Antwort gab es darauf wenig überraschend nicht. Am Ende der Diskussion bleibt eine ungeduldige Hotel- und Gastro-Vertreterin, ein Wolfgang Kubicki mit gewohnt markigen Sprüchen und eine Ärztin mit einer klaren Ansage.
Die Infektionszahlen sinken, die Zahl der Impfungen steigt und schon gehen sie los, die Träume vom Ende der Pandemie. Doch bis dahin gibt es noch ein paar Fragen zu klären. Das sieht auch
Mit diesen Gästen diskutierte Anne Will:
- Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA Bundesverband)
- Carola Holzner, Fachärztin für Anästhesie und Intensivmedizin
Dietmar Bartsch (Die Linke), Fraktionsvorsitzender im BundestagWolfgang Kubicki (FDP), stellvertretender ParteivorsitzenderPeter Tschentscher (SPD), Erster Bürgermeister von Hamburg
Darüber diskutierte die Runde:
"Beginnt jetzt die grosse Leichtigkeit oder beginnt der grosse Leichtsinn?", fragt Anne Will gleich zu Beginn die ganz grosse Frage, als sie darauf verweist, dass Stand Sonntag der bundesweite Inzidenzwert bei 83 liegt.
"Es ist ja zumindest ein richtiges Signal, den Menschen wieder ein bisschen Mut und Hoffnung zu geben", antwortet Medizinerin Holzner auf Wills Frage, ob man nun schon aus dem Gröbsten raus sei.
Allerdings fährt Holzner fort: "Aber wir müssen jetzt ein bisschen aufpassen. Es ist noch nicht Zeit, jetzt alles fallenzulassen, die Konfetti-Kanonen zu zünden und zu sagen: Die Pandemie ist vorbei. Ganz im Gegenteil." Man dürfe nicht den gleichen Fehler machen wie zu Ostern und zu früh lockern.
Die indische Variante sei "gefährlich und hochansteckend". Auf den Intensivstationen sehe sie eine Entspannung, aber die Menschen seien immer jünger und die Verläufe mitunter schwerer. Zudem sei die Lage auf den Intensivstationen nicht der Massstab, denn: "Die Intensivstation ist glaube nicht das Endziel, wo man gerne sein möchte."
Das will Ingrid Hartges natürlich auch nicht. Geöffnete Restaurants und Hotels aber schon – mit entsprechenden Hygienekonzepten und Tests. Man habe als Branche "ein Sonderopfer" erbracht, deshalb sei es "jetzt wirklich an der Zeit", erklärt Hartges und fährt eine Reihe Argumente auf.
Die Gastronomie sei nie ein Pandemietreiber gewesen, man solle besser jetzt öffnen, damit sich die Betriebe vor der Hauptsaison gut vorbereiten können und die Aussengastronomie sei ohnehin eher ungefährlich. Hartges Fazit: "Es geht um verantwortliche Öffnung, es geht nicht um Öffnen um jeden Preis."
Peter Tschentscher will "zügige Öffnungsschritte gehen, aber kontrolliert." Tschentschers Augenmerk liegt darauf, die Inzidenzen niedrig zu halten und dass eine Verhältnismässigkeit gewahrt wird. Man könne nicht branchenbezogen öffnen, sondern müsse nach Stufen vorgehen.
Wolfgang Kubicki ist von Anfang an auf Konfrontationskurs: "Wir haben dankenswerterweise jetzt eine Situation, in der wir wieder auf's Gesetz gucken müssen. (…) Das Infektionsschutzgesetz schreibt vor, Herr Tschentscher, dass Sie ab unter 35 eigentlich alle Massnahmen fallen lassen müssen, die Sie noch haben", erklärt Kubicki und wird wenig später noch deutlicher: "Das, was Sie in Hamburg machen, halte ich für rechtswidrig."
Der Schlagabtausch des Abends bei "Anne Will":
Bartsch und Kubicki gegen Teschentscher. Als es um seinen Wunsch nach Wegfall der Impfpriorisierung ging, lässt Dietmar Bartsch als Argument fallen, dass "Impfdosen letztlich verfallen, vernichtet werden müssen." Das will Peter Tschentscher so nicht stehen lassen, handelt sich aber nur den konkreten Vorwurf Bartschs ein, dass das in Hamburg der Fall sei.
"Definitiv nicht", widerspricht Teschentscher und wird noch deutlicher: "Da verfällt gar nichts." Es folgt ein Hin- und her, irgendwann mischt sich auch Wolfgang Kubicki ein, ehe Anne Will das Durcheinander beendet: "Wir machen auch den Faktencheck, stellen es auf die Homepage. Kriegen wir raus."
Der Seitenhieb des Abends:
Man kann gar nicht so genau ausmachen, woher dieser Seitenhieb eigentlich kam, denn eigentlich ging es um die Aussagekraft von Antigentests und den Umstand, dass in Nordrhein-Westfalen in Schulen PCR-Tests eingesetzt würden.
Doch als Will feststellt, dass das doch vorbildlich sei, legt Kubicki plötzlich in Richtung München los: "Vielleicht sollte sich Herr Söder daran ein Beispiel nehmen, der ja immer schon zu den Schlechtesten in der Republik gehört, obwohl er immer die grössten Worte gefunden hat."
Die Ansage des Abends:
Carola Holzner übernimmt den ganzen Abend die Rolle der Vernunft, mahnt und warnt, insbesondere mit Blick auf die indische Mutation. Daher hält Holzner Freigaben wie zum Beispiel von Privatfeiern mit 50 Menschen in Innenräumen "für höchst risikobehaftet".
Auch Innengastronomie und Reisebewegungen hält Holzner für problematisch. "Fällt der Urlaub im Sommer jetzt aus für Sie?", fragt Anne Will und Holzner antwortet eindeutig: "Für mich fällt der Urlaub aus, tatsächlich. Ich fahre nicht. Ich bleibe mit meinem Hintern zu Hause."
So schlug sich Anne Will:
Solide bis schlagfertig. Als Dietmar Bartsch für eine sofortige Aufhebung der Impfpriorisierung Stellung bezieht, obwohl noch nicht alle Menschen mit höherem Risiko geimpft worden sind, bringt Will soziale Gerechtigkeit, ein linkes Kernthema, ins Spiel.
"Ich wundere mich, Herr Bartsch, weil Sie hätten auch argumentieren können, wie das auch verschiedentlich gemacht wird in Köln zu Beispiel, wo Impfmobile in Stadtteile fahren, wo Menschen sehr beengt leben, die auch im Zweifel in Jobs arbeiten, wo sie nicht einfach ins Homeoffice wechseln können, wo sie auch Kontakte haben."
Das Fazit:
Der Erkenntnisgewinn des Abends hätte dünner nicht sein können. Die Frage, was denn nun beginnt, die grosse Leichtigkeit oder grosser Leichtsinn, konnte jedenfalls nicht beantwortet werden – wie auch?
Stattdessen gab es viele Fragen, die bereits mehrfach diskutiert worden sind: Dass die Schnelltests eine trügerische Sicherheit vermitteln, dass die Gastronomie so schnell wie möglich öffnen soll, dass es immer noch einen Mangel an Impfstoff gibt, dass auch die Aufhebung einer Priorisierung das Ganze nicht schneller macht, dass einzelne Bundesländer ihren eigenen Weg gehen und so weiter.
Dass Gäste wie Wolfgang Kubicki offenbar bereits im Wahlkampfmodus sind und deshalb der eine oder andere Spruch ein wenig drüber war ("Wenn wir zu dieser Kleinstaaterei zurückkehren, dann Gnade uns wirklich Gott!"), half der Diskussion nur bedingt weiter. Insgesamt also eine eher enttäuschende Runde.
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