Die Stimmung in Deutschland ist aufgeheizt. Seit dem 7. Oktober häufen sich antisemitische Vorfälle. Markus Lanz debattierte am Donnerstag über die Hintergründe des wachsenden Judenhasses. Zwischen Historiker Michael Wolffsohn und Schriftstellerin Deborah Feldman krachte es dabei ordentlich.
Der Kampf gegen den Antisemitismus in Deutschland ist plötzlich wieder allgegenwärtig. Bei "
Das ist das Thema bei "Markus Lanz"
Die Zahl der antisemitischen Vorfälle ist im vergangenen Jahr massiv angestiegen. 2023 wurden in Deutschland insgesamt 4.782 antisemitische Vorfälle dokumentiert. Dabei handelt es sich um einen unglaublichen Anstieg von fast 83 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Markus Lanz nahm das am Donnerstag zum Anlass, über das jüdische Leben in Deutschland und die Hintergründe des anscheinend wachsenden Antisemitismus zu sprechen.
Das sind die Gäste
- Deborah Feldman, Schriftstellerin: "Wenn ich angegriffen werde, dann so gut wie immer aus ultrarechten jüdischen Kreisen."
- Adriana Altaras, Schauspielerin: "Ich war immer eine öffentliche Jüdin, bin damit vielleicht sogar hausieren gegangen."
- Michael Wolffsohn, Historiker: "Jüdische Existenz ist seit 3.000 Jahren Existenz auf Widerruf."
- Michael Fürst, Jurist: "In meiner Wahrnehmung hat sich für uns eigentlich nichts verändert."
Das ist der Moment des Abends bei "Markus Lanz"
Zu Beginn der Sendung wollte Markus Lanz von seinen Gästen wissen: "Was bedeutet es, heute in Deutschland jüdisch zu sein?" Knapp neun Monate nach dem Terrorangriff der Hamas musste Schauspielerin Adriana Altaras zugeben, dass sich das Leben für Juden in Deutschland massgeblich verändert hat: "Es ist wie so ein ganz feiner Riss." Altaras fügte hinzu, dass sie mittlerweile darüber nachdenke, ob sie auf der Strasse in Berlin überhaupt noch Hebräisch sprechen könne oder dann "zusammengeschlagen" werde. Sie ergänzte: "Über sowas habe ich nie nachgedacht. Ich war immer eine öffentliche Jüdin, bin damit vielleicht sogar hausieren gegangen." Mittlerweile sei sie in der Öffentlichkeit "vorsichtiger" geworden.
Schriftstellerin Deborah Feldman machte derweil unter Tränen deutlich, wie sehr der 7. Oktober ihr Leben ganz persönlich auf den Kopf gestellt hat: "Die letzten neun Monate waren für mich und für viele meiner Freundinnen und Bekannten ein unendlicher, lebendiger Albtraum. Ich kann das nicht anders beschreiben." Feldman weiter: "Ich habe jedes Bild, jedes Video gesehen, was am 7. Oktober passiert ist." Auch die Bilder aus Gaza könne laut Feldman "kein Mensch aushalten".
"Wir scheinen keine Macht zu haben, Einfluss auf diese Situation auszuüben", so die Schriftstellerin, die weiter warnte: "Ich sehe ein Zerbröseln der jüdischen Welt (...). Ich weiss nicht, wie wir wieder zusammenkommen können. Ich weiss nicht, wie wir uns heilen können. (...) Ich bin verzweifelt, entsetzt, aber entschlossen. Trotz allem!" Dennoch fügte sie mit Blick auf Adriana Altaras hinzu: "Frau Altaras, Sie reden von einem feinen Riss. Ich sehe eher eine Kluft!"
Dem stimmte Historiker Michael Wolffsohn teilweise zu und sagte: "Im Prinzip ist die Geschichte Gegenwart geworden." Dabei warnte der Historiker besonders vor den verschiedenen Auswüchsen des Antisemitismus und sagte: "Das ist eine Gefahr: der alt-rechtsextremistische, der (...) linksextremistische und der muslimische." Aufgrund der "geographischen und ideologischen Verflechtung mit dem Nahen Osten" sei Europa "immer mehr ein Nebenschauplatz der Nahostkonflikte geworden" und deshalb gebe es "hier in Westeuropa auch tatsächlich historisch eine völlig neue Situation".
Dennoch gab Wolffsohn an, dass der Antisemitismus als solcher schon lange ein Teil der Gesellschaft sei. "Jetzt ist sozusagen der Damm gebrochen. Und es kann nur ein Damm brechen, wenn eben genug Wasser schon dagegen ist", so der Historiker. Mit strengem Blick fügte er hinzu: "Es ist eine Tendenz da, die Juden insgesamt anzugreifen - egal, ob sie mit Israel verbunden sind oder nicht."
Das ist das Rede-Duell des Abends
Hitziger wurde die Debatte, als Deborah Feldman die Politik für den Antisemitismus im Land mitverantwortlich machte: "Die Erinnerungskultur ist zu einem Machtsystem geworden, worin die Politik seit Jahrzehnten investiert", sagte sie. "Damit werden innenpolitische Machtkämpfe ausgefochten, die nichts mit Juden zutun haben." Als Beispiel nannte sie den Brief mehrerer Uni-Lehrkräfte, die sich für das Recht Studierender auf friedlichen Protest aussprachen, woraufhin Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger mit öffentlichem Entsetzen reagierte. "Wir werden ausgenutzt und danach werden wir dafür auch für schuldig gehalten", so Feldman.
Michael Wolffsohn reagierte irritiert: "Nein, wir werden geschützt!" Feldman konterte: "Ach, wir werden geschützt? Alles klar!" Wolffsohn blieb jedoch bei seiner Meinung: "Es ging darum, die jüdischen Studenten zu schützen." Ein Argument, das Feldman nicht akzeptieren wollte: "Dieser Staat schützt alle, die sich für die Staatsräson einsetzen - Juden wie Nicht-Juden. Jeder, der die Staatsräson ein klein wenig hinterfragt, (...) die werden nicht geschützt - Juden inklusive."
Wolffsohn schoss zurück: "Also leben wir in einer Diktatur, das finde ich interessant. Das ist doch die Schlussfolgerung dessen, was Sie sagen!" Als Feldman weiter auf ihrer Meinung beharrte, sagte der Historiker: "Es ist nicht meine Aufgabe, als Staatsbürger mich zu schützen. Das ist die Aufgabe des Staates!"
Der Streit eskalierte weiter, als Feldman von deutscher Polizeigewalt gegen Juden sprach: "Inzwischen kriege ich einen Herzinfarkt, wenn ich einen Polizisten sehe." Laut der Schriftstellerin gebe es ein Rechtsextremismus-Problem in der Polizei. Michael Fürst sagte dazu empört: "Herr Lanz, das ist wirklich nicht mehr auszuhalten jetzt!"
Deborah Feldman wetterte weiter: "Die Faktenlage ist klar (...): Juden werden von Polizisten auf Demos verhaftet, weil sie sich für ein Ende des Krieges einsetzen." Sowohl Michael Fürst als auch Michael Wolffsohn reagierten fassungslos und sagten, Feldman würde so tun, als lebe sie in einem Polizeistaat. Die Schrifstellerin konterte beleidigt: "Sie wollen meine Perspektive entwerten!" Wolffsohn liess sich davon jedoch nicht beirren und sagte ruhig: "Die Gesellschaft kann nicht schützen. (...) Die Schutzfuntkion obliegt dem Staat, sprich der Polizei - nämlich Schutz nach innen."
Als in der Runde immer wieder der Ruf nach Frieden laut wurde, sagte Feldman energisch: "Den Frieden, den Sie wollen, (...) der wird in Deutschland aktiv verhindert." Laut Feldman werde "Druck" ausgeübt, "dass Friedensveranstaltungen abgesagt werden". Eine Aussage, die Michael Wolffsohn an die Decke gehen liess. "Nein! Stopp! Frau Feldman!", rief der Historiker und sprang auf. "Ich gehe weg! Es geht nicht!"
Lanz versuchte, ihn zu beschwichtigten. "Herr Wolffsohn, bitte bleiben Sie hier. Bitte tun Sie mir den Gefallen." Wolffsohn beruhigte sich zwar, forderte jedoch: "Wir müssen sachlich reden und nicht schreien."
So hat sich Markus Lanz geschlagen
Markus Lanz hatte am Donnerstag grosse Mühe, seine Gäste im Zaum zu halten und einen roten Faden durch die Sendung laufen zu lassen. Am Ende versuchte er, den Streit zu schlichten, indem er sagte, dass er bei allen "eine Bereitschaft zum Dialog" spüre. Dennoch gab er zu: "Keine einfache Diskussion - es war ein Versuch."
Das ist das Fazit bei "Markus Lanz"
In der Sendung wurde deutlich, dass alle Gäste unterschiedliche Formen des Antisemitismus erlebt haben. Sie alle eint jedoch die "grosse Sorge" vor der Zukunft der israelischen Gesellschaft. "Uns allen ist jüdische Sicherheit sehr wichtig", so Deborah Feldman, die dazu ergänzte, dass sie sich auch um "die Palästinenser" sorge.
Adriana Altaras stimmte zu: "Wir brauchen einen Frieden und darüber müssen wir nachdenken." Die Schauspielerin erklärte weiter, dass sie trotz ihrer Ängste nicht vorhabe, Deutschland zu verlassen. Mehrmals stellte sie die Frage in den Raum: "Wie kommen wir zu Frieden?" Eine Antwort konnte in der Sendung nicht gefunden werden. © 1&1 Mail & Media/teleschau
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