Darf man einen Rechtspopulisten wie AfD-Politiker Björn Höcke in eine Talkshow einladen? Und wie kann ein Moderator auf dessen Provokationen reagieren? Der Populismus-Experte Marcel Lewandowsky findet: Günther Jauch ist in der Sendung am Sonntagabend mit einer schwierigen Situation genau richtig umgegangen.

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Auf den Auftritt vor grossem Publikum schien Björn Höcke schon lange gewartet zu haben. Gleich zu Beginn der Sendung von "Günther Jauch" schmückte der Fraktionsvorsitzende der Thüringer AfD seinen Sessel mit einer Deutschland-Fahne und forderte sofort 50 Prozent der Redezeit – schliesslich seien ohnehin alle in der Runde gegen ihn.

Es ist in den deutschen Medien Konsens, Vertretern radikaler Parteien keine Plattform zu geben. Die Alternative für Deutschland (AfD) äussert sich bisher zwar rechtspopulistisch, bewegt sich aber im Rahmen der Meinungsfreiheit. "Höcke hat sich nicht verfassungsfeindlich geäussert", sagt auch Populismus-Experte Marcel Lewandowsky von der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg.

Einladung von AfD-Politiker Björn Höcke ist "absolut richtig"

Dennoch stellt sich die Frage: Ist es klug, einen Rechtspopulisten in eine politische Talkshow in einem öffentlich-rechtlichem Sender einzuladen und ihm so viel Aufmerksamkeit zu schenken? In einer Demokratie dürfen auch Meinungen wie die von Höcke geäussert werden, betont Lewandowsky.

Zudem werde den Anhängern der AfD oder Pegida (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes), die von einer "Lügenpresse" sprechen und glauben, ohnehin missachtet zu werden, durch solche Einladungen der Wind aus den Segeln genommen. "Deswegen halte ich es absolut richtig, dass dieser Mann eingeladen wird und auch dort sprechen darf", so Politikwissenschaftler Lewandowsky.

Günther Jauch liess Höcke "ins Leere laufen"

Günther Jauch hat jedoch nicht nur für die Einladung, sondern auch für seine Moderation und den Umgang mit Höcke viel Kritik einstecken müssen. Er reagiere einfallslos, warf ihm unter anderem "Süddeutsche.de" vor. Von Anfang an inszenierte sich Höcke als Opfer, der alle anderen gegen sich habe und kaum ausreden dürfe. Das sei ganz typisch für Populisten, sagt Lewandowsky. Als Moderator könne man darauf nur schlecht reagieren: "Egal, was man macht als Moderator, diese Stilisierung der Opferrolle wird bestehen bleiben."

Auch das "Auffallen-Wollen", Provokationen wie das Berufen auf die Deutschlandfahne, sei typisch für Populisten. "Jauch hat dabei lediglich das Gesicht verzogen und ihn ins Leere laufen lassen. Das hat dem Ganzen einen lächerlichen Dreh gegeben", meint der Politikwissenschaftler. "Das war im Grunde genau richtig."

Experte lobt auch Anja Reschke

Die Journalistin Anja Reschke widersprach dagegen dem AfD-Politiker und versuchte es mit sachlicher Argumentation. Anders könne man Vereinfachungen und falschen Behauptungen auch kaum begegnen, meint der Populismus-Experte: "Da müssen sie dagegen halten, ganz klar." Das sei aber auch nicht die Aufgabe des Moderators.

Lewandowsky ist dennoch skeptisch, ob Reschke oder die übrigen Gäste beim Zielpublikum der AfD viel erreichen können. "Man darf nicht vergessen: Für Anhänger solcher Ansichten sind Journalisten wie Anja Reschke oder Politiker wie Heiko Maas Feindbilder", sagt Lewandowsky.

Presseartikel werden von ihnen generell als Lüge gedeutet, Statistiken als Fälschungen gesehen. Die Beispiele aus den Lebenswelten der Menschen - auch wenn es sich um Gerüchte handelt - wird mehr geglaubt als den Fakten der etablierten Medien und der Politik. "Sie kommen an diese Leute gar nicht mehr ran", befürchtet der Experte.

Dr. Marcel Lewandowsky ist seit 2013 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Institutes für Politikwissenschaft an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört Populismus in Westeuropa sowie das Parteiensystem in Deutschland.
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