Der wirtschaftliche Aufstieg Chinas zur Supermacht wird immer wahrscheinlicher, sein Einfluss auch in Europa immer deutlicher. Doch welche Interessen verfolgt das Land? Darüber sprach Sandra Maischberger am Mittwochabend mit ihren Gästen, bei denen sich Investor Frank Thelen einen deftigen Rüffel einholte.

Christian Vock
Eine Kritik

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Während Donald Trump mit einem Handelsstreit Aussenpolitik gegenüber China macht, pflegt die Bundesregierung ein eher unauffälliges Verhältnis nach Fernost. Kalkül? Freundlichkeit? Feigheit? Das wollte Sandra Maischberger am Mittwochabend wissen und fragte dabei ebenso tendenziös wie vage: "Die unheimliche Weltmacht: Wie bedrohlich ist China?"

Mit diesen Gästen diskutierte Sandra Maischberger

  • Frank Thelen Unternehmer und Investor
  • Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses
  • Hao Gui, chinesischer Journalist
  • Kai Strittmatter, langjähriger China-Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung"
  • Bernhard Alscher, Bürgermeister
  • Katja Dofel, Wirtschaftsjournalistin und Moderatorin

Darüber diskutierte die Runde bei "Maischberger"

Werte

Über den Handschlag zwischen Aktivist Joshua Wong und Aussenminister Heiko Maas kommt Sandra Maischberger ins Thema und damit auch gleich zum Streit um Werte. Die Runde ist sich einig, dass dieser Handschlag völlig legitim sei, wie Norbert Röttgen beispielhaft erklärt: "Ich hätte es auch gemacht!"

In Bezug auf eine Einmischung des Westens, beispielsweise bei den Protesten in Hongkong, meint Röttgen: "Es sind universelle Werte und auch im internationalen Recht anerkannte Werte der Bürgerrechte, der Menschenwürde, die auch China in unterschiedlichen Fällen unterzeichnet hat. Darum sind wir aus zwei Gründen verpflichtet einzutreten: Aus unserem eigenen Selbstverständnis. Wenn die Staaten ihre eigenen Bürger nicht schützen, sondern verletzen in ihrer Menschenwürde: Wer soll ihnen dann eigentlich noch beistehen? Zweitens ist es auch eine Frage: Welche Ordnung gilt?"

Düstere Einblicke in chinesische Lebensrealitäten gibt dann Kai Strittmatter, als er über die fortschreitende Überwachung in China spricht. Regierungschef Xi Jinping verfolge dabei eine Doppelstrategie. Einerseits wolle er das Land in eine digitale Vorreiterrolle führen, andererseits gebe es eine klare Tendenz zu noch autoritärere Zeiten: "Die Regierung will sich den Traum aller Autokraten erfüllen."

Wirtschaftsmacht China

Zur Abhängigkeit Deutschlands von China befragt, stellt Katja Dofel gleich zu Beginn fest: "Die wirtschaftliche Abhängigkeit ist enorm, insbesondere in der Autoindustrie und das ist letztendlich unsere wichtigste Industrie. Wenn man mal bedenkt, dass jeder vierte BMW in China verkauft wird. Jeder dritte Audi wird in China verkauft. (…) Wenn das Wachstum in China abnimmt, nimmt es auch bei uns ab. So gross ist die Abhängigkeit inzwischen geworden."

Investor Frank Thelen sieht insbesondere bei den Techkonzernen Deutschland von den USA und China längst abgehängt und wünscht sich hier dringend mehr deutsches, aber auch europäisches Engagement: "Wir müssen als Europa endlich wieder einen Plan haben, uns einen Zehnjahresplan trauen und Gas geben." Für spätere Kanzler werde sonst der Handlungsspielraum zwischen den USA und China immer kleiner.

Ähnlich sieht auch Hao Gui die Stellung deutscher Digitalunternehmen: "Der Zug für 5G ist für Deutschland abgefahren. Wir müssen an 6G denken."

Neue Seidenstrasse

Als die Sprache auf den Plan der chinesischen Regierung einer neuen Seidenstrasse kommt, erklärt Journalistin Dofel erst einmal die Dimensionen: "Die grösste Investition seit dem Marshallplan!", sagt Dofel über das 900-Milliarden-Projekt.

Dementsprechend irritiert ist Norbert Röttgen, mit welchen Begriffen hier operiert wird "Einem geopolitischen Mega-Projekt wird hier ein sehr putziger Begriff verliehen. (…) Das ist nicht mehr Marco Polo!"

Chinesischer Einfluss und Sicherheit

Von solchen Mega-Projekten ist es ein kurzer Weg zu der Frage, welche Auswirkungen der immer grösser werdende Einfluss Chinas haben wird. Hier ist sich Kai Strittmatter sicher: "China will nicht die Welt erobern, das ist Quatsch. Aber sie wollen ihre Interessen durchsetzen."

Insbesondere beim Ausbau kritischer Infrastruktur durch chinesische Unternehmen sei daher Vorsicht geboten, wie Kai Strittmatter warnt: "Viele Leute stellen die falsche Frage. Die fragen: 'Können wir Huawei vertrauen?' Das ist nicht die entscheidende Frage. Die entscheidende Frage bei jedem chinesischen Unternehmen ist: Kannst du der Kommunistischen Partei Chinas vertrauen und möchtest du das?"

Ähnlich sieht es auch Norbert Röttgen: "Es gibt kein Unternehmen in China und schon gar nicht ein Unternehmen in dieser Bedeutung und Grössenordnung wie Huawei, das sich dem staatlichen Einfluss – und der Staat ist die kommunistische Partei – entziehen kann."

Warum er gegen einen zu grossen Einfluss chinesischer Firmen – und damit des chinesischen Staates – bei kritischer digitaler Infrastruktur ist, erklärt Röttgen so: "Das halte ich für unvertretbar in Hinblick auf die deutsche und europäische Souveränität. (…) Ich fürchte nicht den Blackout, aber was ich fürchte ist, dass in kritischen Situationen China sagt: Aber ihr wisst doch, dass wir bei eurem 5G die entscheidenden Leute sind? Das wisst ihr wohl?"

So schlug sich Sandra Maischberger

Es war sicher nicht das Thema, bei dem Sandra Maischberger bisher am besten vorbereitet war, wie sie am Ende selbst erkennt: "Ich habe einen Einblick bekommen in Fragestellungen, die ich mir so nicht hätte träumen lassen." Dementsprechend war Maischberger diesmal lediglich Stichwortgeberin, die Diskussion steuerten ihre Gäste weitgehend selbst.

Der Schlagabtausch des Abends

Den lieferten sich Frank Thelen und Kai Strittmatter. Thelen bewunderte, dass Chinesen die Interessen der Allgemeinheit über die eigenen Interessen stellen würden. Das sah Kai Strittmatter völlig anders: "Was ich auf keinen Fall stehen lassen möchte, ist, was Herr Thelen gerade gesagt hat. Was 'im Chinesen drin steckt' an Kollektivgeist, wofür er sich dann opfert, das ist mit Verlaub grosser Unsinn. (…) In Hongkong und Taiwan sehen sie, wie 30 Millionen Menschen leben, denken, fühlen, handeln, die nicht unter der Gehirnwäsche der Kommunistischen Partei Chinas aufgewachsen sind. Und so etwas zu sagen, ist ganz einfach die Propaganda der Kommunistischen Partei nachgeplappert."

Was nicht gesagt wurde

"Wir müssen besser sein", erklärte Frank Thelen, als die Leistungsbereitschaft von Chinesen zur Sprache kommt. Zuvor lobte Thelen die Fünf-Jahres-Pläne der Kommunistischen Partei und deren Umsetzung: "Das finde ich einfach grossartig."

Was Thelen dabei vergisst: Diktaturen profitieren von jeher von den kulturellen, intellektuellen und technischen Leistungen, die aber nur in freiheitlichen Ländern mit Presse-, Meinungs- und anderen Freiheiten überhaupt erst entstehen können. Eine Welt, in der es nur Diktaturen gibt, würde überhaupt nicht funktionieren, hätte keinerlei Fortschritt.

Das Fazit

Es war eine interessante, aber teilweise auch ein wenig wilde Diskussion, die viele Punkte ansprach, ohne allzu sehr in die Tiefe zu gehen. Wie bedrohlich China nun tatsächlich ist, konnte jedenfalls nicht geklärt werden, warum China eine "unheimliche Weltmacht" ist, erst recht nicht. Aber immerhin gab es ein paar Einblicke in ein Thema, das in der Tat in Deutschland nicht allzu intensiv diskutiert wird.

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