Nahost statt Populismus: Caren Miosga änderte kurzfristig das Thema ihrer Sendung und liess ein Experten-Trio über den iranischen Angriff auf Israel und die Folgen debattieren.
Ein Islamwissenschaftler sah Iran nah an der Atombombe und attestierte den USA, keine Supermacht mehr zu sein. Der FDP-Generalsekretär kritisierte die "komplett verfehlte Iran-Strategie" der letzten Jahre.
Das war das Thema
Eigentlich wollte
Das waren die Gäste
- Bijan Djir-Sarai: Der in Teheran geborene Generalsekretär der FDP war der Meinung, dass uns die "komplett verfehlte Iran-Strategie" der vergangenen Jahre jetzt auf die Füsse fällt. So habe man das Sponsoring von Terrorismus, die Expansion des Irans in der Region und die Entwicklung seines Raketenprogramms zugelassen – ohne harte Konsequenzen für das erzkonservative Mullah-Regime. Djir-Sarai sah im direkten Angriff auf Israel eine "neue Dimension" des Konflikts. Er hält es für möglich, dass die Stellvertreter des Irans wie die Hisbollah im Libanon den Krieg nun fortführen werden.
Natalie Amiri : Die deutsch-iranische Journalistin sprach von einem "Tabubruch" durch den Iran, der in den eigenen Staatsmedien gross gefeiert, nach aussen hingegen heruntergespielt wurde. Für den Iran sei der Vergeltungsschlag auf den israelischen Angriff auf das iranische Konsulat in Syrien nun abgeschlossen, "wenn Israel nicht darauf reagiert". Denn das oberste Ziel des iranischen Regimes sei es, weiterzuexistieren und kein grosser Krieg mit Israel mit unabsehbaren Folgen. Das habe sich auch daran gezeigt, dass die USA offenbar vor dem Angriff gewarnt wurden und Iran zivile Opfer in Israel vermieden hat.- Guido Steinberg: Auch nach Analyse des Nahost-Experten und Islamwissenschaftlers bei der Stiftung Wissenschaft und Politik scheut der Iran die ganz grosse Konfrontation mit Israel, das laut Steinberg seit 2017 weit mehr als 1.000 Luftangriffe auf iranische und mit Iran verbündete Ziele im Iran und im Libanon geflogen ist. Wenn Iran wirklich grösseren Schaden anrichten wollte, dann hätte es die Hisbollah im Libanon in Bewegung gesetzt. Der Experte ist sich nicht sicher, wie Israel jetzt reagieren wird. Angekündigt hatte ein israelischer Armeesprecher eine Antwort mit Taten statt Worten. Doch laut Steinberg haben die Iraner mit ihrem Angriff nichts so Schwerwiegendes unternommen, was Israel zum Eingreifen zwingt.
Das war der Moment des Abends
Seit dem Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran im Jahr 2018 ist grösstenteils unklar, wie es um das Atomprogramm bestellt ist. Guido Steinberg sagte dazu: "Wir müssen davon ausgehen, dass Iran ein nuklearer Schwellenstaat ist." Das bedeutet, dass das Land innerhalb von etwa einem Jahr Atomwaffen bauen könnte. Steinberg warnte davor und ist überzeugt, dass das künftig auch geschieht. "Meiner Meinung nach wird sich Iran nuklear bewaffnen."
Das war das Rededuell des Abends
Für Guido Steinberg zeigen die aktuellen Konflikte in Nahost auch eines: "Wir können beobachten, was passiert, wenn eine Supermacht keine Supermacht mehr ist." So würde Israel im Krieg gegen die Hamas in Gaza nicht auf US-Präsident Biden hören. Genau wie der Iran die Warnungen aus Washington vor einem Angriff auf Israel in den Wind geschlagen hat. "Ganz viele Regionalstaaten tun, was sie wollen", so Steinbergs Analyse. Das sei ein Zeichen, dass die "Epoche der amerikanischen Hegemonie im Nahen Osten" zu Ende geht.
Bijan Djir-Sarai widersprach. "Für mich sind die Amerikaner weiter eine Supermacht." Er sah im Rückzug aus Nahost kein Zeichen von Schwäche, sondern eher strategische Gründe. "Die Amerikaner werden sich jetzt auf Asien fokussieren", sagte er Richtung Steinberg, und weniger auf den Nahen Osten und Europa. "Das bedeutet, dass die Europäer sich künftig mehr engagieren müssen." Das wiederum wäre ein Thema für eine eigene Sendung.
So hat sich Caren Miosga geschlagen
In einer Sendung, in der die Experten die Lage weitgehend ähnlich beurteilten und hitzköpfige Rededuelle ausblieben, war die Gastgeberin kaum gefordert. Das war schade, weil schon das Vier-Augen-Interview zum Beginn der Sendung, das zu einem Markenzeichen Miosgas geworden ist, dieses Mal ausfallen musste. Einziger Kritikpunkt: Auf Steinbergs These, dass sich der Iran in Zukunft nuklear bewaffnen wird, hätte die Gastgeberin mehr Anschlussfragen stellen müssen. Was folgt daraus für die USA, für Israel, für Deutschland, für die Verbündeten des Irans?
Das ist das Fazit
Was sind die Konsequenzen aus dem bisher beispiellosen Angriff Irans auf Israel? Guido Steinberg hält nun einen israelischen Präventivschlag gegen die mit dem Iran verbündete Hisbollah-Miliz im Libanon für möglich, weil nicht klar sei, ob die USA in der Zukunft Israel noch so aktiv unterstützen oder zumindest den Rücken frei halten. Daher nutzen sie vielleicht die Gelegenheit, lieber jetzt zuzuschlagen.
Für Steinberg führt kein Weg an einer "ganz entschlossenen Eindämmungspolitik" gegenüber Iran vorbei. Amerikaner, Briten, Deutschland, Israel und viele Regionalmächte des Nahen Ostens müssten sich dafür zusammenschliessen. Aber vielleicht sei es heute dafür schon zu spät, weil der Iran kein isolierter politischer Akteur mehr ist, sondern von Russland und China unterstützt wird.
Auch Natalie Amiri wünscht sich mehr als nur Worthülsen gegenüber dem Iran. "Ist es der politische Wille, dass dieses Regime eingedämmt wird oder nicht?", fragte sie. Sie forderte eine konsequente Iranpolitik. In den letzten Jahren habe Deutschland weiter munter mit dem Iran Handel getrieben, so ihre Kritik, obwohl die Menschenrechtslage im Land katastrophal sei und mehrere Deutsche als "Geiseln" im Iran inhaftiert seien.
Bijan Djir-Sarai ist davon überzeugt, "dass das System der Islamischen Republik auf Dauer nicht erfolgreich sein wird". Vor allem, weil es einen Grossteil der eigenen Bevölkerung gegen sich hat. Der Europäischen Union schlug er vor, die iranischen Revolutionswächter (Pasdaran) auf die Terrorliste zu setzen. "Dann würden wir dieses Regime massiv unter Druck setzen." Fazit des Experten-Trios: Dass der Konflikt im Nahen Osten nun eskaliert, ist keineswegs ausgemacht. Aber es ist auch noch viel zu früh, um Entwarnung zu geben.
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