Keine Veränderung an der Staatsspitze der Türkei: Der religiös-konservative türkische Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan setzte sich in der Stichwahl gegen seinen sozialdemokratischen Herausforderer Kemal Kilicdaroglu durch.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Natascha Wittmann dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Während Erdoğans Rivale von der "ungerechtesten Wahl" überhaupt sprach, warnte Grünen-Politiker Cem Özdemir von einer "Art des Schönredens einer Situation, die von Jahr zu Jahr extremer wird". Auch bei "Markus Lanz" diskutierten die Gäste, darunter CSU-Politiker Manfred Weber, über die Bedeutung von Erdoğans Wiederwahl.

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Das ist das Thema bei "Markus Lanz"

In der Stichwahl am Sonntag (28. Mai) wurde Recep Tayyip Erdoğan für weitere fünf Jahre zum türkischen Präsidenten wiedergewählt. Mit 52 Prozent der Stimmen setzte er sich gegen seinen Kontrahenten Kemal Kilicdaroglu durch, der immerhin 48 Prozent der türkischen Wähler hinter sich hatte.

Kurz nach Erdoğans Wiederwahl meldeten sich deutsche Politiker wie Landwirtschaftsminister Cem Özdemir zu Wort und forderte einen neuen Umgang - eine "Zeitenwende" - in der deutschen Türkei-Politik. Auch bei "Markus Lanz" äusserten sich Gäste wie CSU-Politiker Manfred Weber oder Ex-VW-Vorstand Herbert Diess zur türkischen Stichwahl und debattierten über einen künftigen EU-Beitritt des Landes.

Das sind die Gäste

  • Manfred Weber, CSU-Politiker: "Ich hoffe, wir können jetzt ein neues Kapitel öffnen - mit Erdoğan wiedergewählt."
  • Herbert Diess, Ex-VW-Vorstand: "Die Türkei gehört für mich zu Europa."
  • Carolina Drüten, "WELT"-Korrespondentin für die Türkei, Griechenland und den Balkan: "Erdoğan hat trotz aller Probleme kaum an Zustimmung verloren."
  • Felix Lee, Autor und deutsch-chinesischer Wirtschaftsexperte: "Wir müssen uns davon verabschieden, dass alle nur darauf hoffen, irgendwie in die EU zu kommen."

Das ist der Moment des Abends bei "Markus Lanz"

Zu Beginn der Sendung wollte Markus Lanz von CSU-Politiker Manfred Weber wissen, was er von dem knappen Wahlergebnis in der Türkei halte. Der Europapolitiker antwortete nüchtern: "Zunächst einmal ist es angesichts der hohen Wahlbeteiligung ein demokratisches Ergebnis, das die Türkinnen und Türken gegeben haben. Das gilt es auch zu respektieren."

Weber sprach daraufhin über die Hintergründe, die zu einem erneuten Sieg Erdogans geführt haben könnten. Unter anderem Themen wie "Identität" und "Religion" sollen im türkischen Wahlkampf eine übergeordnete Rolle gespielt haben, wie der Politiker erklärte.

Auch der Umgang "mit dem Westen", "mit den USA, Schweden, NATO" soll laut Weber für viele türkischen Wähler eine Rolle gespielt haben. Erdoğan sei es gelungen, seine Wählerbasis zu halten und zu stabilisieren "und insofern ist das Land zerrissen. Das ist das, was wir sehen."

Dem stimmte Türkei-Korrespondentin Carolina Drüten weitestgehend zu. Gleichzeitig ergänzte sie, dass "die Unterstützer der Opposition" dennoch bis zum Schluss nicht mit fünf weiteren Jahren Erdoğan gerechnet hätten. Die Ernüchterung und Enttäuschung bei den Anhängern von Erdoğans Rivale Kilicdaroglu sei dementsprechend gross.

Drüten sprach mit Blick auf Lanz von zwei "starren Lagern", die sich in der Stichwahl gezeigt hätten: "Für beide Lager war es eigentlich eine Schicksalswahl." Es gehe laut Drüten nicht nur um Politik, sondern "um den Kern der Menschen". Trotz einer Vielzahl von Krisen, wie etwa das tragische Erdbeben im Februar dieses Jahres, seien die Türken laut Drüten nicht bereit gewesen, ihre Position in der Wahl zu ändern. Im Gegenteil: "Erdoğan hat trotz aller Probleme kaum an Zustimmung verloren." Die Journalistin ergänzte mit ernstem Blick: "Die Wirtschaft ist eigentlich in einem schlechten Zustand, aber Erdogan beharrt auf seinem Kurs."

Eine Prognose konnte Carolina Drüten auf Nachfrage von Lanz nicht geben: "Wie das jetzt weitergeht, wird man sehen." Einfach werde es laut der "WELT"-Korrespondentin jedenfalls nicht. Der ZDF-Moderator wollte deshalb von seinen Gästen wissen: "Haben wir nicht manchmal ein schräges Bild auf die Türkei?" Ex-VW-Vorstand Herbert Diess schaltete sich daraufhin in die Debatte mit ein und sagte selbstsicher: "Wir müssen die Türkei ein bisschen ernster nehmen." Der Grund? Für den Unternehmer sei die Türkei "ein europäisches Land."

Das ist das Rede-Duell des Abends

Daraufhin entbrannte bei "Markus Lanz" eine Grundsatzdebatte. Herbert Diess stellte innerhalb der Sendung mehrmals klar, dass er durchaus dafür wäre, die Türkei wieder näher an Europa heranzuführen, denn: "Die Türkei gehört für mich zu Europa." Journalistin Carolina Drüten reagierte darauf kritisch und mahnte: "Damit würde man die Politik Erdogans belohnen." Zunächst stellte sich CSU-Politiker Manfred Weber auf die Seite von Diess und nannte die Türkei einen "extrem wichtigen Partner". Er fügte hinzu: "Ich hoffe, wir können jetzt auch ein neues Kapitel öffnen - mit Erdogan wiedergewählt." Gleichzeitig machte er deutlich, dass er nicht von einer EU-Mitgliedschaft der Türkei ausgehe, denn: "Ich glaube, dass es das auf Dauer nicht geben wird und auch nicht geben soll."

Während sich Unternehmer Diess mehr Flexibilität seitens der Europäischen Union wünschte, stellte Wirtschaftsexperte Felix Lee klar: "Ich glaube, der Zug ist längst abgefahren im Fall der Türkei."

Lee warnte zudem vor wachsenden Mächten wie Zentral-Asien und China und "einer Weltordnung, die Richtung Multipolarität" gehe: "Wir sind nicht mehr diejenigen, die die Weltwirtschaft bestimmen." Er sah das Bestreben einer türkischen EU-Mitgliedschaft kritisch und erklärte: "Wir müssen uns davon verabschieden, dass alle nur darauf hoffen, irgendwie in die EU zu kommen." Lee weiter: "Es ist im Grunde eine Schlappe der westlichen, der liberalen Demokratie."

Dem stimmte Lanz zu und ergänzte, dass Europa künftig nur "sechs Prozent der Weltbevölkerung stellen" werde. "Wollen die Türken überhaupt in die EU?", wollte der ZDF-Moderator wissen. Carolina Drüten konnte darauf keine klare Antwort geben, machte aber deutlich, dass Erdoğan "mit den Russen" klarkomme, aber auch "mit den Chinesen, mit den Europäern, mit den Amerikanern." Drüten weiter: "Das ist die Position, die er hat. Seine Anhänger finden das auch gut." Dennoch warnte die Korrespondentin vor einer kategorischen Ablehnung eines türkischen EU-Beitritts, die Erdoğan in die Karten spielen und die Türkei "noch weiter entfernen" würde. Herbert Diess mahnte deshalb abschliessend: "Als Europa werden wir nur überzeugen, wenn wir die bessere Gesellschaft sind (...), wenn wir technologisch vorne sind, (...) aber auch wirtschaftlich intakt sind."

So hat sich Markus Lanz geschlagen

Markus Lanz gelang es am Dienstagabend, jeden seiner Gäste ausführlich zu Wort kommen zu lassen. Vor allem, als es um einen möglichen EU-Beitritt der Türkei ging, hakte der ZDF-Moderator mehrmals interessiert nach und entlockte so unter anderem dem Ex-VW-Vorstand Herbert Diess sowie CSU-Politiker Manfred Weber die eine oder andere überraschende Aussage.

Das ist das Fazit bei "Markus Lanz"

Der Wahlsieg des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan hinterliess bei türkischen Oppositionellen Frust, auch in Deutschland wird fragt, woran es lag, dass der Amtsinhaber sich durchsetzen konnte.

Bei "Markus Lanz" diskutierten die Gäste über die Bedeutung seiner Wiederwahl - vor allem mit Blick auf einen möglichen EU-Beitritt der Türkei. Während sich Gäste wie Herbert Diess für ein enges Verhältnis zwischen Europa und der Türkei stark machte, stellten Experten wie Felix Lee und Carolina Drüten innerhalb der Sendung klar, warum sie nicht davon ausgehen, dass das Land Mitglied der Europäischen Union wird.  © 1&1 Mail & Media/teleschau

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