70 Jahre nach Kriegsende wird einem Helfer des NS-Regimes der Prozess gemacht. Ergibt das Verfahren gegen den 93-jährigen Oskar Gröning überhaupt noch Sinn? Der Abend bei "Günther Jauch" zeigt, dass Auschwitz noch lange nicht abgehandelt ist. Besonders beeindruckt die unglaubliche Haltung einer Überlebenden.

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Was ist das Thema?

Es ist einer der letzten grossen Prozesse in der Akte Auschwitz: Oskar Gröning war Mitglied der SS und Buchhalter in dem Konzentrations- und Vernichtungslager. Auch bei der Selektion eintreffender Juden kam er zum Einsatz. Im aktuell gegen ihn laufenden Verfahren wird ihm Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen vorgeworfen. Beim Prozessbeginn am Dienstag gab der 93-Jährige seine "moralische Mitschuld" an der "millionenfachen Ermordung von Menschen" zu.

Was bedeutet dieser Prozess? Für die letzten noch lebenden NS-Täter, für ihre Opfer und deren Nachkommen – aber auch für die deutsche Gesellschaft? Dieser Frage geht Günther Jauch in seiner Sendung nach.

Wer sind die Gäste?

Eva Mozes Kor kam 1944 als zehnjähriges Mädchen nach Auschwitz und wurde dort zusammen mit ihrer Zwillingschwester den medizinischen Experimenten des berüchtigten KZ-Arztes Josef Mengele unterzogen. Im Verfahren gegen Oskar Gröning tritt sie als Nebenklägerin auf.

Die Rechtsanwältin Susanne Frangenberg vertritt derzeit Gröning vor Gericht. Gisela Friedrichsen ist eine bekannte Gerichtsreporterin und berichtet für das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" vom Prozess gegen den früheren SS-Mann.

Zur Runde gehören ausserdem der Historiker und Israel-Experte Michael Wolffsohn und der Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD).

Wer war die Person des Abends?

Die Nationalsozialisten töteten ihre Eltern und missbrauchten ihre Schwester und sie selbst für Experimente. Doch Eva Mozes Kor will keine Rache. Im Gerichtssaal umarmte die Auschwitz-Überlebende den ehemaligen SS-Mann Gröning. Eine "unglaubliche Geste", staunt nicht nur Justizminister Maas.

Dabei hat Kor allen Grund, Gröning zu hassen. "Innerhalb von 30 Minuten war meine ganze Familie weg", berichtet sie von ihrer Ankunft in Auschwitz. "Es ist absolut unmöglich, dafür Gerechtigkeit zu erteilen." Doch die 81-Jährige will nicht anklagen, sie will die Welt verbessern. "Wir müssen zusammenkommen und miteinander reden", ist sie überzeugt. "Wenn sich Menschen die Hand reichen, dann können wir was verändern!"

Von anderen Holocaust-Überlebenden wird Kor dafür aber auch kritisiert. Sie versteht das, lässt sich von ihrer Haltung aber nicht abbringen. "Die Überlebenden müssen sprechen, um ihre Geschichten, ihren Schmerz zu teilen", meint sie.

Was ist das Ergebnis des Abends?

Viele Jahre hat die deutsche Justiz bei der Aufklärung und Verurteilung von NS-Verbrechen "kollektiv versagt", sagte Bundesjustizminister Maas. Von den bei Kriegsende noch lebenden 6.500 Mitarbeitern des NS-Apparats in Auschwitz wurden nur knapp 60 verurteilt. Umso wichtiger, dass der Rechtsstaat endlich nachholt, was er lange versäumt hat, findet Maas: "Für Gerechtigkeit darf es nie zu spät sein." Das gelte auch für den Fall Oskar Gröning.

Der Historiker Wolffsohn sieht das Verfahren dagegen als "Alibi". "Ich bin sehr skeptisch, dass wir durch Recht Gerechtigkeit erlangen werden", meint er. "Wir stellen fest, dass wir keine angemessene Strafe für diese Schrecklichkeiten haben." Das Ausmass der Verbrechen dürfe aber nicht dazu führen, dass der Rechtsstaat davor kapituliert, widerspricht ihm die Journalistin Friedrichsen.

Für die Auschwitz-Überlebende Eva Mozes Kor ist die Strafe jedoch nicht entscheidend. "Es interessiert mich nicht, einen alten Mann ins Gefängnis zu bringen", sagt Kor. Für sie ist Gröning vor allem als NS-Täter, der sich zu den Verbrechen bekennt, eine bedeutende Stütze im Kampf gegen Neonazis. "Es ist wichtig, weil er einer ist, der als Täter Holocaust-Leugnern entgegentritt und sagt: So war es", meint auch Wolffsohn.

Spielt Gröning nur eine Rolle oder sieht er wirklich seine Verantwortung? "Gröning hat sich mit dieser Zeit und seiner Rolle damals stark auseinandergesetzt in den vergangenen 30, 40 Jahren", glaubt seine Anwältin Frangenberg. Friedrichsen ist dagegen misstrauisch, Gröning verberge seine wahren Taten. Die Gerichtsreporterin bezweifelt, dass er "nur dreimal an der Rampe" war, wie er ausgesagt hat.

Der Jauch-Talk zeigt, welch grosse Bedeutung die Aufarbeitung des Nationalsozialismus weiterhin hat. Bis heute gibt es viele offene Fragen. "Ich weiss immer noch nicht, was meinem Körper injiziert wurde", sagt Kor. Die Dokumente zu Mengeles Experimenten sind verschwunden. Die 81-Jährige hofft noch immer, dass die Akten eines Tages wieder auftauchen und sie endlich Gewissheit erfährt.

Die Bestialität des Holocausts war so gewaltig, dass er auch 70 Jahre später in den Überlebenden und ihren Angehörigen nachwirkt. Ihr Leid nicht zu vergessen und aus ihrem Schicksal zu lernen, das ist die Aufgabe der Nachgeborenen.

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