"Die grosse Zeit der Pandemie ist vorbei", sagte Karl Lauterbach dieser Tage. Eigenwillige Wortwahl, frohe Botschaft: Tschüss Ausgangssperre, hallo Strand, hallo Cocktailbar!
Aber
Das ist das Thema
Bis zur magischen 50-Prozent-Impfquote ist es noch ein weiter Weg, der EU-weite Impfpass lässt auf sich warten, die Regeln für Gastronomie und Hotels sind noch unklar. "Der Sommer wird gut - aber gilt das schon für alle?", fragt
Das sind die Gäste bei "Hart aber fair"
"Jetzt ist es noch nicht vorbei", sagt Deutschlands parlamentarischer Epidemiologe Karl Lauterbach (SPD). Deswegen sollten die Politik, aber auch die Bürger "nichts überstürzen". Draussen feiern geht, aber drinnen? "Das wäre unvernünftig."
"Zeit"-Redakteurin Anna Mayr findet Debatten über Urlaub und Partys "surreal": "Lassen Sie uns über niedrige Inzidenzen reden – das heisst Freiheit für alle. (…) Je mehr Leute denken, alles ist gut, desto verantwortungsloser verhalten sie sich."
"Wir haben alles getan", meint TV-Köchin Cornelia Poletto, die in Hamburg ein Restaurant betreibt. Mit einem guten Hygienekonzept und Gäste-Registrierung will sie auch ihre Innenräume für Kunden öffnen.
ARD-Korrespondentin Natalia Bachmayer meldet sich mit ausgelassenen Party-Bildern aus Madrid und empfiehlt: "Mehr Spanien wagen!" Obwohl das Land hart von der ersten Welle getroffen wurde und lange im Ausnahmezustand verharrte, seien alte Menschen und Risikogruppen konsequent geschützt worden - und die Schulen offen gehalten.
In Deutschland geht es dagegen, nun ja, sehr deutsch zu: Feiern ja, aber bitte mit "einer sehr konsequenten Strategie", fordert Medizinethikerin Christiane Woopen.
Optimistisch blickt Ute Dallmeier vom Deutschen Reise-Verband der Sommersaison entgegen: "Wir sind froh, dass die Stigmatisierung aufgehört hat. Das Reisen stand als Buhmann da (…). Aber wir gehen ja nicht leichtfertig mit der Sicherheit der Reisenden um."
Das ist der Moment des Abends
Die glücklichen Geimpften schlemmen an den Tischen, die Jungen stehen Schlange um den Kaffee to go - so könnte es bald in den Innenstädten aussehen. Christiane Woopen, Vorsitzende des Europäischen Ethikrates, hat für dieses Dilemma eine scheinbar einfache Lösung parat: Gleiche Freiheiten, unterschiedliches Ticket - Geimpfte, Genesene und Getestete geniessen gleichermassen Zugang zu Restaurants, Kinos und Museen. Wenn da nicht ein Problem wäre: "Die Wissenschaft ist noch nicht so weit."
Wer etwa vor einem Jahr schon an COVID erkrankt war, wegen hoher Antikörper-Konzentration aber noch nicht geimpft werden kann, fällt durchs Raster. Welche Tests wo und wie lange gelten, ist auch noch nicht klar.
Dieses "Gerechtigkeitsproblem", so Woopen, führe zu einem Unmut in der Bevölkerung, der gefährlich wird, wenn sich ganze Gruppen ausgeschlossen fühlen. Die nächste Unwägbarkeit wartet beim Impfausweis - den Woopen nicht so nennen will, weil alle drei Gs (Geimpft, Genesen, Getestet) erfasst werden.
Ihr Vorschlag, ausgeliehen vom EU-Parlament: COVID-19-Zertifikat. "Der Begriff Impfpass führt nur zu dieser Neiddebatte, was auch ein falscher Begriff ist: Es ist eine Gerechtigkeitsdebatte."
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Das ist das Rede-Duell des Abends
Die Hausaufgaben sind schon seit dem Sommer 2020 fertig, heisst es immer wieder aus Tourismus, Kultur und Gastronomie. Kein Talkshow-Auftritt eines Branchenvertreters ohne Hinweis auf quasi keimfreie Hygienekonzepte und angebliche Null-Infektions-Statistiken.
Einer lässt sich davon nicht beeindrucken: "Hygiene, das klingt immer nach Hände waschen", sagt Karl Lauterbach. Dabei gehe es letztlich darum, ob in einem Innenraum ein Infizierter sitzt. "Da kann die Hygiene noch so gut sein, dann gibt es Infektionsketten."
"Aber die Wahrscheinlichkeit ist doch minimal", entgegnet TV-Köchin Cornelia Poletto. Kommt darauf an, wie man minimal definiert - bei Symptomfreien schlägt der Antigen-Test in vier von zehn Fällen nicht an, erinnert Lauterbach. "Die stecken dann trotzdem an. Das ist ein neues Problem, das sich für die Gastronomie stellt."
Medizinethikerin Christiane Woopen hält es für lösbar, mit einer Kombination aus Tests und Corona-App: "Dann reduziert sich das Risiko." Aber, und daran ändert der schönste Sommer nichts: Ein Restrisiko bleibt.
So hat sich Frank Plasberg geschlagen
Das muss man erst einmal so elegant und galant lösen: Ute Dallmeier stolpert nach ihrem Auftritt durch die Requisite, Frank Plasberg rettet die peinlich berührte Tourismus-Lobbyistin mit einer eilig nachgeschobenen Frage nach ihren Urlaubsplänen. Schnell noch versichert, ob Dallmeier auch nicht verletzt ist, schon ist die Situation gerettet.
Eine Rettungsaktion in eigener Sache gerät nicht so souverän: Als Christiane Woopen über die Tücken der Tests spricht, grätscht der Gastgeber dazwischen und will das Wort an Karl Lauterbach geben. "Was sagt der Mediziner?"
Woopen reagiert säuerlich: "Medizinerin bin ich auch." Plasberg löst die Situation auf Lauterbachs Kosten: "Sie sind für mich die europäische Ethik-Päpstin, Sie gucken aus der Loge drauf, während Herr Lauterbach noch im Kohlenkeller arbeitet." Lauterbach, ganz Gentleman, überlässt Woopen das Wort: "Ladies first."
Das ist das Ergebnis bei "Hart aber fair"
Bei allem Respekt vor Karl Lauterbach: Es wäre schön, wenn der Mann im Sommer mal eine verlängerte TV-Pause machen dürfte. Frank Plasberg will dem SPD-Gesundheitssprecher sogar eine Kreuzfahrt spendieren, aber Lauterbach mag nicht - schlecht für die Umwelt, und überhaupt: "Ich hätte das Gefühl, mir rennt die Zeit davon."
Witzige Vorstellung eigentlich: Lauterbach, gefangen auf einem Schiff, ohne Handy, ohne Zugang zu den neusten Corona-Studien, der wie das Weisse Kaninchen in "Alice im Wunderland" hektisch durch die Gegend rennt.
Zurück zum Ernst des Lebens für einen Politiker in der Pandemie: Könnte es sein, dass sein Image als Mahner ihn Stimmen kostet, will Plasberg wissen: "Es gäbe schlimmere Gründe, für die ich abgewählt werde", sagt Lauterbach. "Ich habe als Wissenschaftler in der Politik agiert, nicht als Politiker, ich muss mit den Konsequenzen leben."
Vorsicht hält er weiter für richtig, auch in Zeiten, in denen unter dem Hashtag #divigate behauptet wird, die Situation auf den Intensivstationen sei in Wahrheit nie wirklich dramatisch gewesen. "Eine zynische Diskussion", findet Lauterbach. "Klar hätten wir uns mehr Intensivpatienten leisten können, dann wären noch mehr gestorben."
Die Regierungsparteien würden jedenfalls auf einen guten Sommer hoffen, vermutet "Zeit"-Journalistin Anna Mayr: "Sie kalkulieren damit, dass wir alle vergessen, dass wir auch im November schon hätten dicht machen müssen und wie schrecklich und unangenehm das letzte Jahr war." Ob dafür wirklich ein schöner Sommer reicht?
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