Sind die Schlagzeilen über die kriminellen Clans gerechtfertigt oder nur aufgebauscht? Wird die Diskussion am Ende rassistisch geführt? Über diese Fragen diskutierte Frank Plasberg mit seinen Gästen bei "Hart aber fair" - mit unbefriedigendem Ergebnis.

Eine Kritik

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Die Welt gedenkt dem Ende der Urkatastrophe Erster Weltkrieg, Deutschland feiert 100 Jahre Frauenwahlrecht – und Frank Plasberg diskutiert mitten in der "Themenwoche Gerechtigkeit" der ARD über kriminelle Grossfamilien. Herzlich willkommen im Ersten Deutschen Boulevardfernsehen.

Das war das Thema

Zu einem solchen Schwerpunkt gehört natürlich ein suggestiver Sendungstitel in klassischer Plasberg-Manier: "Das kriminelle Netz der Clans – sind Justiz und Polizei machtlos?"

Nun könnte der Talkmaster ja spasseshalber mal versuchen, seine nur halbherzig versteckte These zu falsifizieren, wie es Erkenntnistheoretiker empfehlen, also den Gegenbeweis zu führen – es könnte am Ende sogar zu so etwas wie einer Erkenntnis oder wenigstens einem Wissensgewinn führen.

Aber Plasberg ist halt doch eher Entertainer, wenn auch zum Glück gar kein so schlechter.

Diese Gäste diskutierten mit Frank Plasberg

Warum er sich jemanden wie den Security-Mann Michael Kuhr in die Sendung holt, sollte Plasberg dringend in ruhiger Runde mit der Redaktion nachbesprechen.

Mit dem Unterhaltungsfaktor lässt sich die Entscheidung jedenfalls nicht rechtfertigen. Hat sich im Vorfeld niemand Kuhrs YouTube-Ergüsse über "das Land, das sich auflöst" angeschaut, die auch schon mal mit einem "Gute Nacht, Deutschland" enden?

Wer es getan hat, durfte sich nicht über den Tourette-Anfall Kuhrs wundern, in dem er immer wieder "Abschieben" rief, als wäre er an diesem Montagabend lieber in Dresden auf der Strasse statt im "Hart aber fair"-Studio gewesen. Wer diesen Mann einlädt, kann auch den Boykott gegen Gauland beenden.

Ansonsten bewies die Redaktion ein glückliches Händchen bei der Auswahl der Gäste. Für den Ruch des Verbotenen holte sich Plasberg Burkhard Benecken, den Anwalt von Bushidos Ex-Buddy Arafat Abou-Chaker - einen berüchtigten, nun ja, Geschäftsmann, der laut Benecken "eine weisse Weste" hat - in die Runde.

Der Anwalt verwahrte sich gegen die angebliche "mediale Hetzjagd" und den "Generalverdacht" gegen arabische Grossfamilien.

Ahmat Omeirat stammt selbst aus einer libanesischen Familie, die im Bürgerkrieg nach Deutschland floh. Heute sitzt er für die Grünen im Essener Stadtrat. Für ihn schwingt in der Fokussierung auf die "Clans" ein rassistischer Unterton mit: "Ist ein bestimmter Familienname jetzt schon verdächtig?"

Gegen diesen Vorwurf verwahrte sich die Berliner Oberstaatsanwältin Petra Leister mit der Nüchternheit einer Frau, die in Jahrzehnten im Kampf gegen die organisierte Kriminalität schon alles gesehen hat. Die Polemik von Anwalt Burkhard Benecken, einige Fälle würden aufgebauscht, konterte sie schlagfertig: "Wir sind wirklich extrem überarbeitet. Mir liegt nichts daran, Fälle zu erfinden."

Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) lieferte sich immer wieder einen Kleinkrieg mit dem Grünen-Politiker Ahmat Omeirat und bestand darauf, "das Problem beim Namen zu nennen". Wie er es lösen will, blieb im Vagen.

Immer wieder betonte er aber, er wolle Menschen beim Ausstieg aus kriminellen Strukturen helfen.
"Darauf bin ich sehr gespannt", sagte der Journalist Olaf Sundermeyer skeptisch. Er recherchiert seit Jahren zu kriminellen Grossfamilien und gab Einsichten in eine "Parallelgesellschaft".

Sundermeyer erweiterte den Fokus auch auf das Umfeld der Clans, auf die Menschen, die wissentlich für und mit den Kriminellen zusammenarbeiten. "Die dulden das, die arbeiten in Shisha-Bars, die von schmutzigem Geld gekauft werden, die distanzieren sich nicht."

Das war der Schlagabtausch des Abends

Das muss man in diesen Zeiten des tief verwurzelten Misstrauens gegen Journalismus erst einmal schaffen: Mit Medienschelte auf breites Unverständnis stossen.

Der aufgekratzte Anwalt Burkhart Benecke unterstellte Olaf Sundermeyer erst, einen "Generalverdacht" gegen alle Arabischstämmigen zu schüren. Wenige Minuten später landete er dann bei "Medienhetze", weil Sundermeyer bei der Beerdigung von Nidal R. In Berlin das "Who is Who der organisierten Kriminalität" geortet hatte. "Sie wissen doch gar nicht wer da war, sie behaupten irgendwas, ohne Belege", sagte Benecke.

Eine schwache Abwehr, die Sundermeyer mit einem flotten Spruch zerlegte: "Wir brauchen doch nicht so tun, als seien das alles Lämmer, die da hingehen zum Streuselkuchen essen."

So hat sich Frank Plasberg geschlagen

In der Gesprächsführung wie immer souverän, moderierte Plasberg die zahlreichen kleinen und die wenigen grossen Unstimmigkeiten, auch wenn es im Fall von Reul und Omeirat eine ausführliche Rüge brauchte, weil sich die beiden Streithähne in den Untiefen der NRW-Politik verloren. "Abrechnungen haben vielleicht Wert für Historiker, aber nicht für die Zuschauer."

So lebendig Plasberg Diskussionen gestalten kann, so schwerfällt es ihm, den Zuschauern ein solides Wissen zum Thema zu vermitteln. In 75 Minuten "Hart aber fair" fiel nicht eine einzige Zahl, die ansatzweise die Dimensionen der Clans erhellen würde.

Wenn Statistiken zur Sprache kamen, dann solche: 22 Prozent der Ermittlungen zu organisierter Kriminalität in Berlin laufen gegen arabische Grossfamilien. Aha.

Stattdessen zeigte Plasberg zur Einstimmung Szenen von Raubüberfällen. Das grossspurige Statement irgendeines unbekannten Rappers über die angeblich laschen Gesetze in Deutschland muss als Beweis für mangelnde Integration herhalten – Spektakel und Effekthascherei ersetzen Aufklärung.

Das sind die Erkenntnisse

Die Grossstädte sind fest in der Hand von Clans und wir haben alle verloren - diesen Eindruck dürften nicht wenige Zuschauer bei dieser Sendung gewonnen haben.

Auch wenn der mit Abstand klügste Gast, die Berliner Oberstaatsanwältin Petra Leister, sich dagegen verwahrte. "Ich glaube nicht, dass der Staat verloren hat. Und so eine Haltung führt ja auch nicht weiter."

Der Essener Stadtrat Ahmat Omeirat brachte einen Blick in die Debatte, der oft verloren geht: den eines Migranten, der selbst aus dem Libanon stammt und deswegen die Besonderheiten dieser Gruppe besser versteht. Und der erklären kann, was es bedeutet, ständig in Sippenhaft genommen zu werden, nur weil man den falschen Namen trägt. Der aus eigener Erfahrung benennen kann, was schiefgelaufen ist bei der Integration von Libanesen, die vor Bürgerkrieg in die Bundesrepublik flohen: Es gab keine. Auch keine Schulpflicht. Und keinen sicheren Aufenthaltsstatus.

"Vom Bürgerkrieg in den Papierkrieg", so beschreibt Omeirat diese Zeit. Der Weg in die Kriminalität habe vielen als der einzige in Richtung Wohlstand erschienen und mittlerweile hätten sich die Strukturen etabliert.

Der Grünen-Politiker weiss das - und trotzdem wehrt er sich gegen den Begriff des Clans an sich. "Mit solchen Wordings vergraulen sie die Leute, das sind pauschale Verurteilungen."

Während sein CDU-Kollege Reul eine harte Hand versprach, hält Omeirat das für ein falsches Rezept: "Sie haben mit ihren Razzien gerade in Essen viele soziale Beziehungen kaputt gemacht. Auch die der Familien zur Essener Polizei. Ausserdem trauen sich wegen der negativen Berichterstattung keine Lehrer mehr nach Duisburg-Marxloh oder Essen-Altenessen."

Der Journalist Olaf Sundermeyer entgegnete, dass sich die Menschen "bewusst für eine Parallelgesellschaft entscheiden, die die organisierte Kriminalität erst ermöglichen". Ein merkwürdiger Befund, wenn es um Grossfamilien geht, für die man sich in vielen Fällen nicht entscheidet – man wird hineingeboren.

Der Berliner Lokalpolitiker Falko Liecke forderte deswegen sogar, Kinder aus solchen Familien herauszunehmen - ein problematischer Vorschlag, den er nicht unterstütze, sagte Sundermeyer: "Aber es ist ein Ausdruck der Hilflosigkeit."

Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Ratlosigkeit – ein Eindruck, dem Petra Leister so gern entgegengewirkt hätte. Aber dafür hätte es mehr Inhalt und weniger Unterhaltung gebraucht. Dabei ginge beides zusammen, beinahe hätte Plasberg es geschafft, als er ein Foto von Leisters Büro zeigt, in dem sich die Akten stapeln. "Bei ihnen ist die Digitalisierung auch noch ein Zukunftsprojekt?", frotzelt er und fragt Halbwelt-Anwalt Benecken, ob er gern in so einem Raum arbeiten würde.

"Ganz ehrlich: Nein."

Plasberg könnte jetzt nachhaken: Ist die Justiz wirklich so dramatisch unterfinanziert? Und wenn ja, warum? Entlarvt das nicht die Law-and-Order-Rhetorik von NRW-Innenminister Herbert Reul als reines Lippenbekenntnis? Aber er tut es nicht.

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