Frank Plasberg sprach mit seinen Gästen über den Amoklauf in München. Die Runde traf eher die leisen Töne, verzettelte sich aber in einer Debatte um die Ursachen solcher Gewalttaten - anders als der Titel der Sendung versprach.

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Worum geht’s?

Das Internet? Ballerspiele? Mobbing? Die Ursachenforschung und Seelenerkundung bei Frank Plasberg lieferte zwei Tage nach den Schüssen von München, wo ein 18-Jähriger neun Menschen und sich selbst tötete, nichts wirklich Neues. Irgendwie hatte man das Gefühl, die Argumente alle schon mal gehört zu haben. Nach Erfurt 2002, nach Winnenden 2009. Anstatt intensiver über die Veränderungen zu sprechen, die die Gewalt in unserer Gesellschaft bewirken könnte, sahen die TV-Zuschauer eine Mischung aus Amok-Analyse und persönlichen Gefühlsberichten.

Wer sind die Gäste?

Joachim Herrmann, Bayerischer Staatsminister des Innern

Der CSU-Politiker, der auch die scharfe Klinge führen kann, legte einen besonnenen und unaufgeregten Auftritt hin. Er betonte auf Plasbergs Frage fast ungläubig, es sei natürlich wichtig, zwischen Terror und Amok zu unterscheiden. Weil sich dadurch für die Sicherheitsbehörden ganz andere Konsequenzen ergäben. Hermann vermied es weitgehend, die Tat politisch zu instrumentalisieren: Nur gegen Ende der Sendung forderte er mehr Kompetenzen für die Polizei bei der Überwachung des Internets, in dem es rechtsfreie Räume gebe. "Davor dürfen wir nicht kapitulieren." Hier wechselte sein milder Ton ins Harte, aber es gab Applaus. Der Täter von München hatte die illegale Tatwaffe im verschlüsselten Darknet bestellt.

Marcus da Gloria Martins, Leiter der Polizeipressestelle München
Der Polizeirat hatte durch seine souveräne, unaufgeregte und Spekulationen vermeidende Pressearbeit nach dem Amoklauf viel Lob erfahren. Ein Mann, dem man ein politisches Amt zutrauen würde. Auch bei Plasberg wurden seine gut durchdachten Redebeiträge mehrfach durch lautes Klatschen honoriert. Wie für seinen Hinweis auf die Verantwortung des Elternhauses zur Prävention von Gewalttaten. "Es fängt schon zuhause an, dass Kinder und Eltern ein gutes Verhältnis haben. Vertrauen muss zuhause bestehen. Das Elternhaus ist zuständig. Da lege ich die Wurzeln."

Christian Pfeiffer, ehemaliger Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen
Der Kriminologe analysierte nüchtern, wies auf Parallelen zwischen den Amokläufen in Winnenden und München hin. Es habe viel Wut und Hass auf Gleichaltrige gegeben. "Dann reift der Entschluss: Denen zeige ich es mal." Sie wollen einmal "die Panik in den Augen der anderen sehen" und Macht verspüren. Pfeifer gestand, er sei selbst erleichtert gewesen, als schnell festgestanden hatte, dass es sich nur um einen Täter handelte und der nicht mehr handlungsfähig war.

Annette Ramelsberger, Gerichtsreporterin "Süddeutsche Zeitung"

So beschrieb auch die Journalistin aus München ihre Gefühle. "Bei mir kam sofort das Szenario Paris. Jetzt kommen die Täter vom Einkaufszentrum alle in die Stadt. Das lief bei mir im Kopf ab. Als ich gehört habe, ein Täter, ein Amoktäter, dann habe ich gedacht: wenigstens nicht der IS." Ramelsberger formulierte, was nach der Tat wohl fast alle Münchener so oder so ähnlich empfanden.

Björn Staschen, Reporter Norddeutscher Rundfunk

Der Journalist legte wie seine Kollegin einen eher unauffälligen Auftritt hin. Er stimmte da Gloria Martins zu, dass die Prävention solcher Taten schon im Elternhaus beginnen müsse. "Man kann nicht das Internet verantwortlich machen." Zudem plädierte er dafür, die strikte Trennung von Terror und Amok zu überdenken.

Der Moment des Abends?

Das war der emotionale Auftritt der zugeschalteten Barbara Nalepa, deren Tochter 2009 in Winnenden ermordet wurde. Die Frau hat noch heute unter den Folgen zu leiden, kann keine Nacht durchschlafen. Die schlimmen Bilder von München haben ihr sehr zu schaffen gemacht. "Die alten Erinnerungen, die sind alle zurückgekehrt." Hier bekommt man einen beklemmenden Eindruck, was ein solch sinnloser Verlust eines Menschen für die Betroffenen bedeutet. An CSU-Mann Herrmann gerichtet, forderte Nalepa sichtlich erregt ein strengeres Waffenrecht und eine schärfere Kontrolle des Internets. Sie ermahnte die Politik, nicht nur Blasen zu produzieren. Herrmann, der einzige Politiker in der Runde, nahm die emotionale Kritik gefasst auf. Aber er wies die Forderung nach einer Waffenrechts-Verschärfung deutlich zurück.

Das Rededuell des Abends?

Ein richtiges Rededuell gab es in der sehr besonnenen Runde nicht. Aber die Medienschelte von da Gloria Martins gegen Plasberg stach hervor. Nach einem Einspieler über die kürzlich erfolgte Festnahme eines Mitwissers der Tat, sagte er sichtlich irritiert: "Was mich stört, ist der Trend, Dinge zu schnell in die Welt zu pusten. Nicht spekulieren, nicht voneinander abschreiben, nicht raten. Lasst uns unsere Arbeit machen." Dafür gab es den wohl grössten Applaus des Abends. Die schwache Antwort des Moderators: "Die Öffentlichkeit giert nach Informationen."

Was ist das Ergebnis?

Plasberg stellte in Deutschland eine gewisse Abstumpfung fest. Die Menschen würden sich fast freuen, dass München "nur" ein Amoklauf gewesen sei und kein Terroranschlag. Der Grund: die ständigen Schreckensmeldungen der letzen Wochen und Monate. Ein grosses Problem - darin waren sich alle einig - ist die Hysterie im Internet. "Sachbotschaften dringen in solchen Situation nicht mehr durch", sagte da Gloria Martins. Der Moderator nannte das Internet gar "einen schnellen Brüter der Angst."

Ob die Gewalttaten der letzten Monate Vorurteile gegen Muslime weiter verschärfen, ob sich die politische Lage in Deutschland weiter zuspitzt, ob die AfD von München profitiert (der Täter war ein Deutsch-Iraner), ob Menschen aus Angst nun öffentliche Plätze meiden und ihr Sozialverhalten ändern: Zu all diesen ebenfalls diskussionswerten Punkten gab die Sendung keine Antworten. Stattdessen verstiegen sich die Gäste etwas zu lange in eine Debatte über Amok und seine Ursachen.

Das wurde zwar der Tat von München, nicht aber dem Titel der Sendung gerecht.

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