Ein treuer Fusssoldat Erdogans und Cem Özdemir bringen die Staatsbesuch-Nachlese bei "Hart aber fair" sofort auf Hochtouren. Neben mächtig Zoff serviert Frank Plasberg aber auch nachdenkliche Töne und ergreifende Geschichten.

Eine Kritik

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Frank Plasberg brauchte Hilfe. Allein konnte er diese "Hart aber fair"-Sendung nicht zu einem guten Ende bringen, also schaltete er zur "Tagesthemen"-Moderatorin Pinar Atalay und fragte die Streithähne im Studio maliziös: "Wollen Sie es sich mit dieser Frau verscherzen?"

Botschaft angekommen, Hände geschüttelt, auf Wiedersehen. Aber es passte zu diesem denkwürdigen Montagabend, dass sich Plasbergs Gäste selbst beim Auslaufen in der traditionell harmlosen Schlussrunde noch in die Haare bekamen.

Das war das Thema bei "Hart aber fair"

"Er ist wieder weg", sagte Plasberg ganz am Anfang der Sendung, und nur wer die letzten zwei Wochen im Digital-Detox-Urlaub auf einer einsamen Berghütte vebracht hat, wäre vielleicht nicht darauf gekommen, wer gemeint ist: Seit Tagen beherrscht der Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan die Schlagzeilen.

In Talk-Shows, Leitartikeln und Live-Tickern lieferten die Medien die volle Portion Erdogan, und Frank Plasberg reihte sich ein. "Spalten statt einen - Welche Folgen hat der Erdogan-Besuch?" lautete der Titel, der schon eine Bewertung vornimmt, die der Gastgeber aber immerhin noch in Zweifel zog. "Oder sehen wir das alles falsch?"

Und er hatte sich klugerweise einen Gast eingeladen, der diese Frage mit "Ja" beantwortete.

Diese Gäste diskutierten mit Frank Plasberg

Nicht nur aus eigenen Fehlern kann man lernen, auch aus denen von, nur so als Beispiel, Maybrit Illner. Die hatte am Donnerstag eine allzu einträchtige Runde zu ihrem Erdogan-Talk versammelt, heraus kam eine über weite Strecken fade Sendung.

Plasberg griff zu Mustafa Yeneroglu, vielfach bewährt als Erdogans Mann in deutschen TV-Studios und notorischer Unruhestifter. Er beklagte, dass in Deutschland die türkische Sicht völlig fehlt.

"Vielleicht wird manchmal überreagiert, aber wir haben grosse Schwierigkeiten, fast jeden Tag Terroranschläge, was würde Deutschland da tun?" Den Staatsbesuch bewertete er als Erfolg, weil nach drei Jahren des Streits wieder nüchtern über schwierige Themen gesprochen worden sei.

Eine Sichtweise, die der CDU-Aussenpolitiker Jürgen Hardt teilte: "Es war eine Gelegenheit für alle, mit dem Brennglas auf die Probleme zu schauen, die wir haben. Wir sind bei einer ehrlichen Bestandsaufnahme."

Inwieweit die deutsche und die türkische Seite daran jeweils überhaupt interessiert waren, darüber kann man geteilter Meinung sein. Die Fragen der "grossen" Politik liess Plasberg aber immer wieder beiseite, um am ganz konkreten Fall der neuen Moschee in Köln aufzuzeigen, welche Folgen der Besuch Erdogans haben kann.

Der Ex-Oberbürgermeister Fritz Schramma, den manche wegen seiner guten Beziehungen zur deutschtürkischen Community nur den "Türken-Fritz" nennen, sprach über die "unwirkliche und unwirtliche" Erfahrung einer Stadt, die nur Zuschauer sein durfte bei der Inszenierung.

Und die Kölner Integrationsarbeiterin Tugba Tekkal berichtete von den Irritationen in ihrem Fussball-Projekt, in dem plötzlich Fragen von Identität und Wurzeln aufkommen, die vor zehn Jahren noch keine Rolle spielten.

Plasberg holte auch eine besonders starke Zeugin für die türkischen Verhältnisse ins Studio – Zeynep Potente, deren Vater Enver Altayli seit Monaten ohne Anklageschrift in der Türkei im Gefängnis sitzt. Ein 73-Jähriger in Isolationshaft, gesundheitlich angeschlagen, von der Justiz im Dunkeln gelassen, was ihm eigentlich genau vorgeworfen wird.

"Das ist nicht rechtsstaatlich", sagte sie in Richtung des AKP-Manns Yeneroglu. Ein Punkt, den auch der türkischstämmige Ex-Grünen-Chef Cem Özdemir immer wieder betonte. Ins Gesicht gesagt hat er es dem türkischen Präsidenten nicht, in dieser oft gezeigten Szene, als er am Rande des Staatsbanketts auf einen sichtlich verdutzten Erdogan einredet.

Zwei Sachen habe er ihm in der Kürze mitgegeben: Erstens gebe es noch viel zu besprechen, und zweitens sei nichts mehr vom alten Erdogan übrig, der so viel versprochen hatte, als er die Macht übernahm im Land. "Das hat ihm wohl lange keiner mehr gesagt", sagte Özdemir. "Er hat mich angeschaut wie ein Ausserirdischer."

Bemerkenswert: Der Grüne erzählte, dass er zwei Leibwächter an die Seite gestellt bekam, weil Erdogans Leibgarde als wenig zimperlich gilt. Ein deutscher Abgeordneter, geschützt vor der Entourage eines Staatsgastes. Bei einem Festessen, veranstaltet vom deutschen Bundespräsidenten. "Das zeigt, dass das Verhältnis alles andere als normal ist."

Das war der Schlagabtausch des Abends

Man darf annehmen, dass die Redaktion Yeneroglu und Özdemir nicht zufällig so weit auseinander platziert hatte, wie nur irgend möglich. Bei der erstbesten, der letztbesten und jeder anderen Gelegenheit rasselten die beiden aneinander, nicht immer auf hohem Niveau: Özdemir behauptete, er könne nicht mehr in die Türkei einreisen, Yeneroglu ätzte später, er könne es ja mal probieren, "und dann schauen wir was passiert".

"Jetzt verkaufen Sie uns für naiv", schimpfte der Grüne an anderer Stelle, als Yeneroglu erklärte, in der Türkei werde man nicht weggesperrt, nur weil man Erdogan nicht mag. "Sorry, aber das ist kein Rechtsstaat", legte Özdemir nach.

"Sie schalten die Gerichte gleich, die Polizei gleich, die Armee gleich, die Presse gleich. Schlimm genug, dass sie das in der Türkei machen können. Aber nicht hier."

So hat sich Frank Plasberg geschlagen

So sehr Störenfried Yeneroglu die Debatte um die AKP-Sicht erweiterte und damit belebte, Plasberg nahm ihn sich vorsichtshalber zur Brust, als er sich mal wieder in "Whataboutism" übte: Sechs Monate ohne Anklageschrift in Haft, dass gebe es nicht nur in der Türkei, sondern auch in Deutschland, sagte Yeneroglu.

"Sie behaupten immer so Dinge, die ich nicht aus der Hüfte widerlegen kann"; entgegnete Plasberg. "Aber dafür haben wir den Faktencheck." Ein guter Hinweis zur richtigen Zeit.

Ansonsten gab er sich Mühe, dem Einzelkämpfer getreu dem Sendungsmotto zu begegnen, so schwer es ihm sichtlich fiel. Umso genüsslicher hakte er nach, als Yeneroglu dann doch mal kleinlaut wurde, bei der Frage nämlich, warum kein Kölner Verantwortlicher bei der Einweihung der Ehrenfelder Moschee reden durfte.

"Wer hat’s verbockt?", fragte Plasberg scharf, und gleich noch einmal: "Wer hat’s verbockt?" – "Wir alle haben’s verbockt."

Das sind die Erkenntnisse

Ein bemerkenswerter Moment, auch weil Yeneroglu den Ex-Oberbürgermeister Fritz Schramma für sein Engagement für die Moschee überschwänglich lobte, als einen, zu dem "die Kölner Muslime hinaufblicken".

Der Islam-Dachverband Ditib müsse nun die Fehler aufarbeiten und sich in die Kölner Stadtgemeinschaft integrieren. Früher habe es mit Ditib keine Probleme gegeben, schilderte Schramma, aber seit Erdogan bildeten sich im Verband die Verhältnisse in der Türkei ab.

Und statt ein Volksfest für alle Kölner zu veranstalten, machte Ditib aus der Eröffnung eine AKP-Show. "Eine verpasste Chance", meinte Schramma, der einen Appell an Yeneroglu richtete: "Sie sind doch auch Kölner, merken Sie das nicht, reden sie nicht mit den Leute, die haben Angst, lassen Sie die in Ruhe mit ihrer AKP".

Schramma muss sich in Mails als "nützlicher Idiot" beschimpfen lassen, Plasberg liest es vor. Er war bei der Grundsteinlegung, bei der Eröffnung durfte er nicht dabei sein. Und trotzdem hält der Ex-Bürgermeister den Bau der Moschee nach wie vor für eine gute Idee: "Sie wird den Herrn Erdogan überleben."

SO gibt Schramma nebenbei eine Idee davon, wie das gehen könnte, einen statt spalten: Ohne den Fokus auf Erdogan. Mit den Mitbürgern, in Köln und anderswo. In den Worten von Cem Özdemir: "Wir müssen jetzt die Aufmerksamkeit der Deutschtürken darauf lenken, dass kein Problem in der Türkei gelöst wird. Nicht Rassismus, nicht Benachteiligung, nicht Bildung und Aufstieg."

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