ARD-Moderator Frank Plasberg möchte mit seinen Gästen am Montagabend über unzumutbare Arbeitszustände für Pflegekräfte sprechen. Hitzig wird die Debatte aber vor allem, als es um einen angeblich fahrlässigen Umgang mit alten dementen Menschen geht. Sind die Missstände wirklich so eklatant?

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Patrick Mayer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

"Schichtdienst, schlechte Bezahlung – darüber klagen die Pflegekräfte in den Heimen", sagt Frank Plasberg zu Beginn des Polit-Talks "Hart aber fair". An diesem Montagabend widmete die ARD die gesamte Sendung, untypisch, einem einzelnen Beruf. Nicht zuletzt habe auf Twitter der Hashtag #pflexit in Anlehnung an den Brexit der Briten aus der Europäischen Union die Runde gemacht, wird erklärt.

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Mit #pflexit ist in diesem Fall die regelrechte Flucht von Pflegekräften aus dem Job wegen niedrigen Löhnen trotz harter Arbeit und zahllosen Überstunden gemeint.

Studie zeigt Missstände in Pflegeheimen

"Das sind für mich Helden des Alltags", sagt Mediziner und TV-Moderator Dr. Eckart von Hirschhausen. Doch polarisierend wird es, als es nicht um die Verdienste, sondern um Versäumnisse und Fehler von Pflegekräften geht. Die ARD nennt in einem Einspieler Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage unter leitenden Angestellten von Pflegeheimen für alternde Mitbürger.

Demnach hätten 58 Prozent von diesen mitbekommen, dass eine Pflegekraft über den Willen des zu Pflegenden hinweg gehandelt habe. 59 Prozent gaben an, Fälle zu kennen, in denen den Pflegebedürftigen in hilflosen Situationen keine Hilfe angeboten wurde.

Und 18 Prozent der Befragten erklärten sogar, mitbekommen zu haben, dass alte demente Menschen in Pflegeheimen grob angefasst worden seien.

Enormer Fachkräftemangel im Pflegedienst

Die ARD hält in einem weiteren Einspieler entgegen, dass es laut Bundesagentur für Arbeit 14.500 offene Stellen im Pflegedienst und in Deutschland in keiner anderen Branche solch einen grossen Fachkräftemangel gebe. Bernd Meurer, der Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Berufe, verneint derlei Missstände nicht.

Im Gegenteil: "Es gibt Häuser, die haben das im Griff. Und es gibt Häuser, die haben weniger Qualität und die haben das nicht im Griff", sagt er und stellt einen Vergleich mit einer Fussballmannschaft an. Eine solche könne eben auch nicht einfach zu allen Konditionen die besten Spieler aus London holen oder beliebig in Brasilien einkaufen.

SPD-Politiker fordert Milliarden-Ausgaben

"Wenn sich morgen die Gehälter verdoppeln, glauben Sie denn, dass bei uns im Heim nur ein Bett leer bleibt?", fragt er harsch in die Runde. "Wollen wir diese erheblichen Kosten der Kommune oder der Sozialhilfe zumuten, oder dass Pflegebedürftige das künftig selber zahlen müssen?"

Eben einen höheren Lohn, um darüber mehr Qualität zu sichern, fordert Prof. Dr. Karl Lauterbach, Arzt und SPD-Gesundheitsexperte. Man müsse den Pflegebeitrag um sechs bis zehn Milliarden Euro erhöhen, meint er, "und zwar pro Jahr". Woher das Geld kommen könnte, erklärt der Bundestagsabgeordnete derweil nicht. Es wäre ein mehr als stattlicher Betrag.

Aber "sonst werden wir die jungen Menschen nicht gewinnen", sagt er und meint freilich für den Beruf. Aber selbst er verteidigt das offenbar kränkelnde Pflegesystem. Von Lauterbach: "Ich kann nicht alles kaputt reden, sonst erreiche ich demnächst gar nichts mehr."

Gäste bei Plasberg diskutieren eine Überforderung der Pflegekräfte

Dabei kristallisiert sich aus der Debatte heraus, dass eine permanente Überforderung der Pflegekräfte wohl zu Nachlässigkeiten oder Fehleinschätzungen führe. Stress, Überstunden, harte körperliche Arbeit täten ihr Übriges, darin sind sich die Gäste bei Plasberg einig.

"Überforderung führt zu Gewalt", erklärt Journalistin Anette Dowideit. Bei ihren Recherchen hätte sie viele überarbeitete und gestresste Pflegekräfte kennengelernt, schildert die Reporterin aus dem Investigativteam von "Welt" und "N24".

Plasberg zeigt eklatante Missstände auf

Viele unqualifizierte Betreuungskräfte würden derweil pflegerische Arbeiten mit erledigen, obwohl sie dies gar nicht dürften, erzählt sie. "Das findet so statt." Dass Altenpflege "rekommunalisiert" werde, sei eine Lösungsmöglichkeit, erklärt die Journalistin. "In Skandinavien funktioniert das sehr gut."

In Deutschland gilt das für das Pflegesystem offenbar ganz und gar nicht. Pflegekräfte werden, wie die Sendung zeigt, völlig ausgepowert und wohl auch im Stich gelassen. Die Folge ist demnach auch ein vereinzelt grobes Verhalten gegenüber pflegebedürftigen alten Menschen.

Der Zuschauer leibt nachdenklich zurück: Sind die Missstände wirklich so eklatant?, fragt man sich. Offensichtlich.

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