Die Gäste bei Maybrit Illner waren sich einig, dass die Tage von US-Präsident Joe Biden im Weissen Haus gezählt sind. CDU-Politiker Ruprecht Polenz erwartet im Falls von Trumps Wiederwahl eine "brandgefährliche" Schwächung der Nato. Und Ex-Diplomat Wolfgang Ischinger warnte davor, eine mögliche zweite Trump-Administration im Vorfeld zu dämonisieren.

Eine Kritik
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Das war das Thema

Das gescheiterte Attentat auf Donald Trump und der zunehmend fragile Zustand von US-Präsident Joe Biden haben die Dynamik im US-Präsidentschaftswahlkampf deutlich zugunsten Trumps Republikanern verschoben. Was würde eine erneute Trump-Präsidentschaft für die USA, für Europa und für Deutschland bedeuten? Maybrit Illner diskutierte mit ihren Gästen die möglichen Folgen für die amerikanische Demokratie und den Zusammenhalt der Nato.

Das waren die Gäste

Ruprecht Polenz: Das CDU-Mitglied würde im US-Wahlkampf derzeit "eher nicht auf die Demokraten wetten". Er erinnerte daran, dass das gescheiterte Attentat nichts daran ändert, "dass Trump jemand ist, der Wahlergebnisse nicht anerkennt und den Sturm aufs Kapitol orchestriert hat". Hinzu kommen seine politischen Inhalte. Aussenpolitisch schätzt Polenz eine mögliche Schwächung der Nato als "brandgefährlich" ein, weil der russische Präsident Wladimir Putin die neue Verwundbarkeit des Bündnisses militärisch testen könnte, etwa im Baltikum. Daher erwartet Polenz auch, dass Trumps Politik gegenüber der Ukraine – wo eine Bevorzugung russischer Interessen erwartet wird – Kriege langfristig wahrscheinlicher machen als beenden würde.

Peter Neumann: Der Politikwissenschaftler analysierte das schon jetzt ikonische Trump-Bild nach dem Attentatsversuch mit gereckter Faust und blutverschmiertem Gesicht. Die Botschaft dahinter: "Ich bin der starke Mann, ich räume mit den Problemen auf", so Neumann. "Er ist ein Märtyrer, er leidet. Er ist bereit, sein Leben zu geben für die eigenen Leute." Hinzu komme eine religiöse Komponente, da Gott ihn vor dem Tod beschützt habe, so die Erzählung vieler Trump-Fans. Neumann geht davon aus, dass Biden auf seine Wiederwahl verzichten wird. "Ich bin ziemlich sicher, dass es Kamala Harris wird. Wir können schon in Stunden rechnen."

Annika Brockschmidt: Die Journalistin und Autorin beobachtet bei Biden mit Blick auf seine Zukunft eine "recht intensiv ausgeprägte" Sturheit. Aber sollte er zurücktreten, "dann haben die Demokraten wieder eine Chance". Zur Kür von Trumps Vizepräsidentschaftskandidaten sagte Brockschmidt: "Dass JD Vance ausgewählt wurde, zeigt, wie sicher man sich ist." Vance sei ein Extremist, was Abtreibungen angeht, er wolle sogar, dass Scheidungen erschwert werden und ist folglich niemand, "mit dem man Wechselwähler anspricht".

Wolfgang Ischinger: Der Präsident des Stiftungsrats der Münchner Sicherheitskonferenz sah keinen Grund, eine mögliche zweite Trump-Administration "schon im Vorfeld zu dämonisieren". Es helfe nicht, zu jammern. Man müsse auf die Leute zugehen und eine ernsthafte Diskussion führen. Beispielsweise aufzeigen, dass es Amerika gegenüber China strategisch schwächt, wenn es die Ukraine fallen lässt. Ischinger findet die US-Forderung nach mehr Rüstungsausgaben in Europa, um für die eigene Sicherheit aufzukommen, völlig verständlich. Zu Trumps möglichen Vizepräsidenten JD Vance, der Waffenlieferungen an die Ukraine stoppen will, meinte Ischinger: "Bitte! Keine! Panik! JD Vance wird als Vizepräsident nicht die amerikanische Aussenpolitik führen."

Liana Fix: Die Historikerin und Politikwissenschaftlerin denkt, dass Bidens Tage gezählt sind und es mit Kamala Harris oder einem anderen Demokraten "noch mal knifflig für Trump werden" könnte. Sie kritisierte, dass Deutschland und Europa keine Strategien entwickelt hätten, wie sie mit einer neuen Präsidentschaft Trumps umgehen. Da die Alternativen nur seien, sich wieder an Russland anzubiedern oder sich China zu unterwerfen, bleibe ja gar nichts anderes übrig als "mit diesem Amerika zusammenzuarbeiten, weil wir es nicht geschafft haben, für unsere eigene Sicherheit zu sorgen." Um das zu gewährleisten, müssten schon vier Prozent des Bundeshaushalts für Militärausgaben ausgegeben werden, also etwa das Doppelte des derzeitigen Niveaus.

Katharina Nocun: Die Politikwissenschaftlerin hat beobachtet, dass die Zweifel an demokratischen Institutionen wie Gerichten in der Republikanischen Partei inzwischen fast zum guten Ton gehören. Ihre Schlussfolgerung: "Amerika ist gefährdet, weiter eine stabile Demokratie zu sein." Nocun erwartet nach einem Sieg Trumps auch Auswirkungen auf die "Machtbalance innerhalb der EU". Trump würde Länder wie Ungarn vermutlich bevorzugt behandeln.

Das war der Moment des Abends

Liana Fix machte deutlich, worum es Trump bei seinen grossspurigen Ankündigungen, er könne in der Ukraine in 24 Stunden Frieden schaffen, in Wahrheit geht: um sein eigenes Ego. "Trump möchte einen Gipfel haben, auf dem er zwischen Selenskyj und Putin steht, die sich die Hände geben. Und daraufhin möchte er den Friedensnobelpreis gewinnen." Bei dieser sarkastischen Beschreibung musste Peter Neumann schmunzeln. Aber Fix sieht auch eine Chance von 30 bis 40 Prozent, dass Trump stärkeren Druck auf Putin ausübt, wenn der ihn in der Ukraine provozieren sollte. Und dann Dinge tut, die die vorsichtig agierende Biden-Regierung nicht erlaubt hätte. Wolfgang Ischinger stimmt dieser Einschätzung zu.

Das war das Rededuell des Abends

Project 2025 ist ein radikaler Plan der Heritage Foundation, einer nationalistisch-konservativen US-Denkfabrik, zur Umgestaltung der US-Regierung. Brockschmidt warnte vor den Plänen, die von manchen als Blaupause für eine erneute Trump-Administration gesehen werden. Checks and Balances der Regierung, also die Kontrolle durch die anderen Verfassungsorgane, würden damit aufgehoben. Es sei "Zeit für Alarmismus", so Brockschmidt.

Liana Fix widersprach. Project 2025 sei nur "einer von verschiedenen ideologischen Versuchen, Trump zu nutzen und mit Trump die Agenda von verschiedenen radikalen, republikanischen Kräften umzusetzen. Das heisst nicht, dass es genauso kommen wird".

Brockschmidt konterte, dass dieser Flügel der Repubikaner mittlerweile von einer Randerscheinung zur dominanten Fraktion der Partei geworden sei. Und während Trump 2016 nicht wirklich auf die Amtsübernahme mit Tausenden vakanten Stellen im Regierungsapparat vorbereitet gewesen sei, habe er nun viele Leute gefunden, die seine Politik loyal umsetzen wollen. Die Folge: "Wenn er jetzt dran kommt, kann er viele Positionen mit Leuten besetzen, die tatsächlich diese Ideologie symbolisieren."

So hat sich Maybrit Illner geschlagen

In einer Sendung, die ohne Kontroversen, Provokationen und Schuldzuweisungen auskam, war die Moderatorin wenig gefordert. Illner konnte ihre Themenschwerpunkte locker abarbeiten, nur ab und zu musste sie einen der Gäste ermahnen, doch bitte die Frage zu beantworten. Wie Ruprecht Polenz, der gerne mal abschweifte. Beste Frage des Abends: "Wie macht man eine Wahlkampagne gegen einen Märtyrer, der noch lebt?"

Das ist das Fazit

Nach Ansicht von Liana Fix müssen die Europäer in Zukunft das, was Trump möchte, taktisch beeinflussen. "Damit es zwar schlimm wird, aber nicht das Allerschlimmste wird". Für sie geht das durch eine Strategie des Schmeichelns in aussenpolitischen Fragen. Indem man ihm ein paar schöne Bilder ermöglicht und gleichzeitig versucht, Einfluss zu nehmen. Etwa darauf, dass die Amerikaner nicht ihre Truppen aus Europa zurückziehen. Es klang ein wenig wie Eltern, die ihr bockiges Kind mit Süssigkeiten manipulieren wollen. Das kann auch nach hinten losgehen.

Für Peter Neumann gibt es nach den US-Wahlen zwei ganz entscheidende Fragen: Hält Trump das System in den USA, wie wir es kennen, aufrecht? Und was wird aus der Nato? Ihn beunruhigt, dass Trump anders als mit Mike Pence 2016 nun mit JD Vance einen möglichen Vizepräsidenten auserkoren hat, der von Nato und Westbindung nicht viel hält. Die Glaubwürdigkeit der Nato könnte "schnell dahin sein", so Neumann. Ruprecht Polenz plädierte in dieser ungewissen Lage für die Aufhebung der Schuldenbremse, um deutlich mehr für Militärausgaben zu investieren. Eine extrem seltene Forderung aus konservativen Kreisen.

Um eine zweite Trump-Präsidentschaft noch zu verhindern, müssen die Demokraten dringend ihr "Messenging ändern", bilanzierte Annika Brockschmidt. Und einen klaren Gegenentwurf zu den Plänen Trumps aufzeigen. Das sei bisher nicht geschehen. Gut möglich aber, dass sich das bald ändert, weil Biden zurückzieht. In ihrer nächsten Sendung diskutiert Maybrit Illner mit ihren Gästen womöglich schon die Pläne von Kamala Harris und wie sie den siegessicheren Trump doch noch vom Weissen Haus fern halten will.

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