Aufgeladene Stimmung, jede Menge Streit: Am Sonntagabend (22. Oktober) ging es bei Anne Will um den Krieg in Israel und die bevorstehende Bodenoffensive. Bestraft Israel die Menschen in Gaza kollektiv? Hat die arabische Welt die Hamas-Angriffe ausreichend verurteilt? Über Fragen wie diese stritt sich die Runde lauthals. An einer Stelle fragte eine Politikwissenschaftlerin den israelischen Botschafter sogar: "Was wollen Sie noch mehr hören?"

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Marie Illner dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Die ganze Weltgemeinschaft schaut nach Israel und auf den Gazastreifen: Noch hat die Bodenoffensive in Reaktion auf den brutalen Terror der Hamas nicht begonnen, doch die humanitäre Lage vor Ort ist bereits dramatisch.

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Hunderttausende sind auf der Flucht, ein Raketeneinschlag vor einem Krankenhaus in Gaza mit vielen Toten hat die Lage weiter zugespitzt.

Das ist das Thema bei "Anne Will"

Rund zwei Wochen nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel überschrieb Anne Will ihre Sendung mit dem Titel "Neuer Krieg in Nahost – Gibt es noch einen Ausweg?".

Unter anderem um über die Versorgungslage des Gazastreifens zu beraten, waren Bundeskanzler Scholz, US-Präsident Biden und der britische Premier Sunak in der vergangenen Woche in Tel Aviv. Auch Anne Will fragte: "Wie lässt sich die Lage verbessern?" Ausserdem ging es um die Frage, was nach einer möglichen israelischen Bodenoffensive kommt.

Das sind die Gäste

  • Ron Prosor: Der Botschafter des Staates Israel in Deutschland sagte über die Pro-Israel Kundgebungen in Deutschland: "Diese Solidarität zeigt, dass viele gute Menschen an der Seite Israels sind." Er hoffe, dass die Solidarität auch in den nächsten Wochen noch da sein werde, wenn Israel zurückschlägt. Die Hamas sei in manchen Medien nur als "Freiheitskämpfer" oder "Militante" bezeichnet worden. "Nicht nur Israel sollte aufwachen, sondern Sie auch hier in Europa, in Deutschland", so Prosor.
  • Norbert Röttgen (CDU): "Für die arabischen Regierungen ist das jetzt ein absoluter Balanceakt", analysierte das Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Sie seien an einer Ausweitung des Krieges nicht interessiert, sondern wollten Annäherung und Aussöhnung, hätten gleichzeitig aber einen enormen Druck von Seiten ihrer Bevölkerungen. Dieser könnte sie in ihrer eigenen Machtposition gefährden. Das sei eine "irrsinnig komplizierte" Lage.
  • Florence Gaub: Die Politikwissenschaftlerin meinte: "Je länger Israel sich jetzt Zeit lässt, diese Offensive umzusetzen, desto grösser ist die Erfolgschance." Es sei aber kompliziert, weil man nicht genau wisse, wie gross die Zahl der Hamas-Kämpfer sei und ob nicht neue hinterherwachsen würden. "Niemand sollte erwarten, dass das jetzt schnell vorbeigeht", sagte Gaub.
  • Yassin Musharbash: Die Stimmung im Nahen Osten sei angespannt, beschrieb der Journalist von "Die Zeit". "Die kann auch kippen, die kann sich auch richten gegen die Machthaber in der Region", sagte er. Es sei alles sehr gefährlich. "Im Moment sehe ich kein realistisches Szenario, wie das von einer Woche auf die andere wieder eingefangen werden sollte", sagte Musharbash.
  • Hoda Salah: Die Politikwissenschaftlerin berichtete von Interviews im Gazastreifen mit Palästinensern: "Frauen haben gesagt, sie haben Angst, wenn wieder Wasser kommt, zu duschen. Sie haben Angst, dass das Haus in dieser Zeit bombardiert wird und dann sterben sie und die Kinder sind Waise." Wenn Deutschland eine feministische Aussenpolitik betreiben wolle, müsse man auch an die Rechte der Frauen dort denken. "Viele Wissenschaftler in Deutschland lehnen ab, zu solchen Talkshows zu kommen, weil Sie sagen: ‚Wenn man herkommt, bekommt man sofort die Keule: Du bist antisemitisch oder du verstehst die Situation nicht‘." Man sollte über die Menschen in Gaza sprechen statt über die Hamas.
  • Arye Sharuz Shalicar: Der Sprecher des israelischen Militärs reagierte auf die Kritik von Politikwissenschaftlerin Salah, Israel bestrafe die Menschen in Gaza kollektiv. "Ich finde es traurig und fast schon skandalös, was ich mir gerade anhören musste, dass tatsächlich Israel die Schuld für diese Situation im Gazastreifen gegeben wird, obwohl wir uns 2005 aus dem Gazastreifen zurückgezogen haben", sagte er. Die Hamas habe 17 Jahre lang nichts für die Zivilbevölkerung getan. Man habe die Menschen aufgefordert, vom Norden in den Süden zu gehen. "Was muss ein jüdischer Staat noch tun, um zu zeigen, dass es uns nicht um Zivilisten und um Kinder und Frauen geht, sondern um Terrorbekämpfung?", fragte er.

Das ist der Moment des Abends bei "Anne Will"

Es ging um das zynische Operieren der Terrororganisation Hamas, die beispielsweise Zivilisten als Schutzschilde nutzt, oder Fluchtbewegungen im Gazastreifen in sicherere Gebiete verhindert. Militärsprecher Shalicar sagte: "Wenn die Hamas die Geiseln heute rauslässt – 212, es sind wahrscheinlich mehr, darunter 30 Kinder, ein 9 Monate altes Baby, sehr viele junge Mädchen, ich weiss nicht, was denen dort angetan wird – und diejenigen, die 1.400 Menschen hier ermordet, verbrannt und exekutiert haben, wenn die sich in unsere Hände begeben, dann kann sich die Situation zwischen Israel und dem Gazastreifen heute noch beruhigen." Es liege in den Händen der Hamas.

Die Politikwissenschaftlerin Salah sagte, die meisten arabischen Staaten hätten den Hamas-Angriff verurteilt. "Viele Menschen sterben jetzt in Gaza. Das ist diese kollektive Strafe, die Israel jetzt begeht. Das ärgert die Leute, das berührt sie", sagte Salah. Die Menschen in Gaza hätten selbst unter der Hamas gelitten und würden nun bestraft. In den ersten vier Tagen habe es viel Solidarität mit der Bevölkerung in Israel gegeben. "Aber dann diese Aggression", sagte Salah. Die Menschen in Gaza würden von einem Tag auf den anderen ihr Haus, ihre Familie, ihr Leben verlieren. "Das ist, was die arabischen Strassen bewegt hat", so Salah.

Botschafter Prosor widersprach wütend. "Die haben es ganz klar nicht verurteilt", sagte er über die arabischen Regierungen. Das sei die Verharmlosung, die man versprochen habe, nie wieder zu haben. "Sie versuchen eine muslimische Bruderschaft wie einen Tiger zu reiten. Sie erzählen Geschichten aus 1001 Nacht, warum arabische Staaten dieses und jenes nicht machen können", sagte Prosor. "Es ist kaum zu fassen", beschwerte er sich. "Hier höre ich wieder Verharmlosungen! Das kann nicht wiederholt werden." Hamas sei eine Terrororganisation. Salah dazu: "Natürlich, und wir stehen zu Ihnen. Was wollen Sie noch mehr hören?"

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fliessen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäss dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

So hat sich Anne Will geschlagen

Das war eine ziemlich hitzige Sendung, in der Anne Will mehrmals deeskalierend eingreifen musste. Mit Fragen wie "Hat die arabische Welt überhaupt ein Interesse an einem echten Frieden?" leistete sie der angespannten Stimmung aber auch Vorschub.

Wie gewohnt war Will wachsam, als Prosor ausweichend auf die Frage antwortet, was das politische Endziel Israels in Bezug auf Gaza sei. Eine Antwort bekam sie aus ihm leider dennoch nicht heraus.

Das ist das Ergebnis bei "Anne Will"

Einig war sich die Runde darüber, dass Antisemitismus keinen Platz hat und der Angriff der Hamas ein brutaler Terrorakt war. Ob die Verurteilung in der Welt, besonders der arabischen, klar genug war, darüber gab es unterschiedliche Auffassungen. Militärexpertin Gaub hielt an einer Stelle fest: "Das ist die grosse Frage".

Konkret ging es dabei um die Frage, wie der Gazastreifen in Zukunft aussehen soll. "Es gibt eine militärische Antwort, aber das ist nicht die Lösung auf das grosse Problem", beschrieb sie. Botschafter Prosor hatte darauf in dieser Sendung keine eindeutige Antwort. Er sagte nur: "Israel wird nie wieder so sein wie vor dem 7. Oktober."

Verwendete Quelle:

  • ARD: Sendung "Anne Will" vom 22.10.2023
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