Kein Münsteraner "Tatort" hat Deutschland je so bewegt wie die 53 Videos, die Jan Josef Liefers und Kolleginnen unter dem Hashtag #allesdichtmachen veröffentlicht haben. Bei "Maybrit Illner" erläutert der Schauspieler seine Beweggründe und trifft auf heftige Kritik, aber auch euphorische Zustimmung.
Das sind die Gäste bei Maybrit Illner
"Tatort"-Schauspieler
"Unglücklich" findet Wissenschaftsjournalistin
Hamburgs Erster Bürgermeister
Beistand bekommt Liefers von Tübingens Oberbürgermeister
Der Applaus von rechts für #allesdichtmachen würde FDP-Mann
Das ist das Rede-Duell des Abends
Egal, was man von #allesdichtmachen hält – Aufmerksamkeit hat die Aktion generiert. "So richtig einen raushauen", so umschreibt Liefers den Ansatz, und der Erfolg gibt ihm recht: "Sonst sässe ich jetzt nicht hier."
Wo er schon mal da war, hätte er über inhaltliche Anliegen reden können, Hilfen für Kulturschaffende, Hygeniekonzepte, die Situation der Pflegekräfte. Alles pflichtschuldigst angerissen, auch ein Projekt für sicheren Sport für Jugendliche stellt der Schauspieler in einem Satz vor. Hauptthema aber: die Befindlichkeiten von Jan Josef Liefers.
Ein "Fanboy von Drostens Podcast" sei er gewesen, ein manischer Alles-Leser, aber plötzlich "immer kirrer im Kopf", also kündigte er Abos und bestellte die Newsfeeds ab. Ein lustiges Geständnis, nebenbei bemerkt, weil er in seinem Video ja die Medien kritisiert, die er nicht mehr verfolgt hat.
Aber er habe "nicht differenzieren wollen", weil ja auch die Regierung mit ihren Massnahmen nicht mehr differenziere - durchaus einleuchtend, auf einen groben Keil gehört manchmal ein grober Klotz.
Zu dem greift auch
An dem Punkt mischt sich Mai Thi Nguyen-Kim ein: "Was Sie im Video gesagt haben, passt nicht dazu, was Sie jetzt sagen." Was Liefers auch einräumt, aber höfliche Bitten hätten eben nicht weitergeholfen: "Der Knall hat was Disruptives."
"Aber haben Sie damit den Künstlern geholfen?", hakt Nguyen-Kim nach, Liefers kann nur vermuten, "viele Hilfen sind ja noch nicht angekommen, vielleicht haben wir da Impulse gesetzt". Für den Beifall von rechts könne er jedenfalls nichts, "wir haben ja nicht gesagt, wir stürmen den Reichstag."
Was Nguyen-Kim weiterhin nicht versteht: Warum Liefers nicht bewusst war, dass er Narrative der Querdenker bedient. "Wenn Sie mir das Video gezeigt hätten vorher, hätte ich gesagt: Das können Sie nicht machen."
Es anders machen, oder gar nicht – das war aber offensichtlich für Liefers keine Option. Genauso wenig wie echtes Bedauern: "Wenn es jemanden gäbe, der sich wirklich persönlich verletzt fühlt und keine Interessen hat, würde ich mich entschuldigen." So etwas nennt sich "Non-Pology": Eine Entschuldigung, die keine ist.
Das ist der Moment des Abends
Wolfgang Kubicki ist Jurist, spezialisiert auf Steuerstrafsachen, er betreut zum Beispiel Hanno Berger, der mit Cum-Ex-Geschäften einen dreistelligen Millionenbetrag hinterzogen haben soll. Wer solche Klienten hat, muss was drauf haben.
Umso verwunderlicher, welche Schwächen Kubicki im Umgang mit dem Grundgesetz offenbart: Den Kritikern von #allesdichtmachen unterstellt er, "den Wert von Artikel 5" nicht zu kennen.
"Man kann die Meinungsfreiheit nicht einschränken." Das ist aber auch nicht passiert, schon gar nicht im Sinne von Artikel 5 GG, das müsste ein Jurist wissen.
Weil auch Nicht-Juristen häufig dieser Fehlinterpretation anhängen, hier der erste Satz des Artikels, der Kubicki heilig, aber nicht geläufig zu sein scheint: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äussern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten."
Von "widerspruchsfrei" steht dort nichts, und zwar deswegen, weil der Rechtsstaat seine Bürger und Bürgerinnen mit dieser Bestimmung vor Zugriffen des Staates schützt - nicht vor Kritik in Zeitungen, TV-Studios oder Kommentarspalten.
Dass ausgerechnet ein Jurist wie Kubicki einen anderen Eindruck erweckt, ist vielleicht von der Meinungsfreiheit gedeckt, für die Debattenkultur im Land aber wenig hilfreich.
So hat sich Maybrit Illner geschlagen
Menschen, die beruflich mit Sprache arbeiten, sind naturgemäss sensibel für Begriffe, Schlagwörter, Semantik. Aber wenn eine Talkshow unter dem Motto "Freiheit, Solidarität, Widerspruch – spaltet Corona das Land?" diskutiert, sollte man vielleicht nicht nur die Ohren spitzen und Diskurse analysieren, sondern auch auf Fakten blicken.
Natürlich ist Deutschland gespalten. Zwischen denen, die ohne existenzielle Sorgen durch die Pandemie kommen, und denen, die am Ende des Dispos noch eine Menge Monat übrig haben.
Zwischen denen, die mit Peter Altmaier ihren persönlichen Servicebeauftragten im Kabinett wissen, und denen, die keine Lobby haben. Zwischen denen, die im brandenburgischen Zweitwohnsitz Homeoffice machen, und denen, die im überfüllten Bus von der Schicht nach Hause zur Grossfamilie in die Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung fahren.
Es gibt Statistiken dazu, es gibt Forscherinnen, es gibt Betroffene. Und es gibt Jan Josef Liefers.
Das ist das Ergebnis
Liefers ist übrigens in der DDR aufgewachsen, und von Gesprächen auf der Strasse berichtet er nun, er höre immer öfter einen Satz, den er "aus dem Osten" kenne: Das darf man nicht mehr sagen. "Klar darf man", sagt Liefers dazu, "aber ungestraft nicht."
Nun mag es für manche eine Strafe sein, bei "Maybrit Illner" zu sitzen, Mai Thi Nguyen-Kim blickte zeitweise so drein. Aber müsste die sagenumwobene "Cancel Culture", von der Boris Palmer spricht, nicht anders aussehen? Müsste Jan Josef Liefers nicht schon lange aus dem "Tatort" retuschiert worden sein? Wenigstens gefeuert? Nein?
Das wird alles zum Glück nicht passieren, und zwar deswegen, weil es, wie Nguyen-Kim ausdrückt, "total Banane ist", Berufsverbot für Liefers zu fordern. "Wir sollten solchen extremen Positionen gerade nicht so viel Aufmerksamkeit schenken."
Inhaltlich gibt es genug wichtige Themen: Tschentscher und Kubicki streiten sich besonders über die Ausgangssperre, die der FDP-Mann für "verfassungswidrig" hält.
Tschentscher wirft seinem Kollegen vor, die "Akzeptanz für Massnahmen, die wir dringend brauchen" zu untergraben. Boris Palmer wiederum hält das Tübinger Modell trotz Inzidenzen über 100 für nicht gescheitert – ob es aber übertragbar ist, darüber herrscht keine Einigkeit.
Die Aussichten in der Pandemie, das ist die wichtigste Nachricht, sind leicht positiv - und wie Peter Tschentscher es formuliert: “Jetzt gilt es nochmal die Nerven zu behalten."
Thomas Gottschalk verteidigt #allesdichtmachen
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