Nicht nur der russische Angriffskrieg in der Ukraine verschärft die Flüchtlingssituation in Deutschland. Bei "Markus Lanz" kritisierte CDU-Politiker Jens Spahn am Donnerstagabend die fehlende Kontrolle an den europäischen Aussengrenzen und warb für eine Kontingente-Lösung.
Die Belastungssituation in deutschen Ländern und Kommunen wird immer beunruhigender. Wie
Am Donnerstagabend plädierte CDU-Politiker
Das ist das Thema bei "Markus Lanz"
Auch nach dem Flüchtlingsgipfel bleibt die Stimmung in den Ländern und Kommunen äusserst angespannt. Zwar wurde im Kanzleramt über mehr Geld vom Bund, schnellere Asylverfahren und eine allgemein bessere Steuerung der Migration gesprochen, doch einen grossen Durchbruch gab es beim Gipfel nicht wirklich.
Dass seit Jahren die Lage in deutschen Flüchtlingsunterkünften immer brenzliger wird und eine Chance auf vollständige Integration aller Asylsuchenden aussichtslos erscheint, teilen dabei die meisten Beobachter. Bei "Markus Lanz" warb CDU-Politiker Jens Spahn daher offen für schärfere Grenzkontrollen und ein "Kontingent für Flüchtlinge".
Das sind die Gäste
- Jens Spahn, CDU-Politiker, klagte: "Aktuell entscheiden Schleuser und Schlepper darüber, wer Europa betritt."
- Kristin Helberg, Nahost-Expertin, hielt dagegen: "Wir müssen anfangen, Migration zu gestalten, um sie in unserem Interesse praktikabel zu machen."
- Gerald Knaus, Migrationsforscher und Politikberater, konstatierte: "Die EU ist derzeit total verwirrt und hilflos."
- Wolfram Weimer, Publizist und Verleger ("The European"), hielt fest: "Die Flüchtlingslage ist wirklich dramatisch im Moment."
Das ist der Moment des Abends bei "Markus Lanz"
Markus Lanz startete am Donnerstagabend mit den Worten in die Sendung: "Wir reden über ein Jahrhundertthema, das jetzt endlich zur Chefsache werden soll. Es geht um restlos überforderte Städte und Gemeinden, und es geht um sehr viel Geld."
Nach dem Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt bat der ZDF-Moderator zunächst CDU-Politiker Jens Spahn um eine Stellungnahme zu den migrationspolitischen Herausforderungen Deutschlands.
"Ich beginne, den Glauben daran zu verlieren, dass die europäische Lösung gelingt", gab der ehemalige Gesundheitsminister zu Protokoll. Lanz bemühte die Statistik: "Laut aktuellen Zahlen nimmt Deutschland mit Abstand die meisten Flüchtlinge auf. Ist das die europäische Lösung?"
Spahn: "Wir sollten an der EU-Aussengrenze die Kontrolle haben, wer warum Europa betritt." Zu so einem Prozedere sei es bisher nie wirklich gekommen.
"Es gibt geradezu einen Sog hinein nach Deutschland", so der Unionspolitiker. Die Attraktivität Deutschlands habe zu tun "mit den sozialen Leistungen, die es hier gibt".
Spahn weiter: "Solange es keine europäische Einheit gibt, wird es immer diese unfaire Verteilung geben." Dazu hielt er fest: "Wir können viel leisten, aber wir können nicht die Probleme Europas und der Welt hier in Deutschland lösen."
Das Gefühl der kollektiven Überforderung sieht auch Nahost-Expertin Kristin Helberg. Sie warnte jedoch vor einer "Argumentation, in der wir Migration als etwas Gefährliches und als Bedrohung sehen".
Vielmehr gehe es darum, "dass wir anfangen, Migration zu gestalten, um sie in unserem Interesse auch in diesem Land praktikabel zu machen. Wir müssen einen Weg für legale Einwanderung bieten", argumentierte Helberg.
Der CDU-Mann erwiderte: "Es geht erst mal um Kontrolle über das, was da an den Grenzen passiert. Es ist wichtig, Kontrolle über Migration zu haben und zu wissen, wer warum unser Land und die Europäische Union betritt. Es geht nicht darum, keinen aufzunehmen. Aber wir sehen in den Städten und Gemeinden, dass es Grenzen gibt."
Markus Lanz hakte kritisch nach: "Das heisst, wir versuchen jetzt das, was wir jahrelang schon versucht haben?" Der ehemalige Bundesgesundheitsminister antwortete knapp: "Aber es ist ja nie richtig versucht worden! Aktuell entscheiden Schleuser und Schlepper darüber, wer Europa betritt."
Spahn plädierte deshalb innerhalb der Sendung unter anderem für mehr Rückführungen und Asylverfahren an den EU-Aussengrenzen. "Sind sie für Zäune?", wollte Lanz wissen. Die Antwort des CDU-Politikers: "An den Stellen, wo es Sinn macht, ja."
Das ist das Rede-Duell des Abends
Als Lanz beim Thema Zäune von einer allgemeinen "Abschottung" sprach, platzte Jens Spahn der Kragen. Der Politiker sagte energisch: "Es ist doch normaler Grenzschutz! Wenn es nach der Rechtslage geht, dürfte eigentlich gar niemand in Deutschland ankommen."
Spahn brachte darauf einen kontroversen Vorschlag, der "wieder 1.000 Shitstorms bringt" ins Spiel. "Vielleicht müssen wir tatsächlich darüber nachdenken, ob die Flüchtlingskonventionen, die europäische Menschenrechtskonvention, so noch funktionieren. Ich meine die Flüchtlingskonvention kommt aus den 50er-Jahren."
Sie sei laut Spahn unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges entstanden und die Frage sei, "macht das im Jahr 2023 so, mit diesen individuellen Verfahren, monatelang, ohne Klarheit für alle Beteiligten und den Botschaften, die sie sendet, Sinn?"
Es gebe "kaum ein Land auf der Welt und in Europa", das so viel tue wie Deutschland, fand Spahn. Aber "lasst es uns mit Kontingenten machen! Es geht nicht darum, nicht der Verantwortung gerecht zu werden. Aber wenn man es einfach so weiter passieren lässt, wird es einen Punkt geben, an dem die Bevölkerung so nicht mehr weitermachen will."
Ein Vorschlag, der vor allem bei Kristin Helberg für Unmut sorgte: "Ein Mensch, der individuell verfolgt wird, hat immer ein Recht auf Asyl. Da können Sie nicht sagen, wir nehmen nur 20.000 Asylbewerber!"
Helberg ergänzte: "Wir wollen eine Grundsatzdiskussion führen. Illegale Migration darf sich nicht mehr lohnen. Was wir bislang versucht haben, ist, uns mit Gewalt und Zäunen abzuschotten. Das erhöht nur die Raten der Toten und das stärkt das Geschäftsmodell der Schlepper. Die EU-Abschottungspolitik hat nur zu mehr Toten geführt. Wir müssen legale Wege für Einwanderung schaffen, aber die gibt es zum jetzigen Zeitpunkt nicht."
Ein Vorwurf, den Jens Spahn nicht unkommentiert lassen wollte. Er konterte: "Jetzt lassen wir mal das Einwanderungsrecht weg. Wir haben in der Grossen Koalition das Einwanderungsgesetz gemacht. Das ist eine völlig andere Debatte! Wir werden uns eingestehen müssen, dass wir nicht jeden in die EU kommen lassen können. Wir müssen bereit sein zu sagen: Hier geht's nicht für jeden weiter. Wir werden nicht jeden Bewerber nehmen können."
Markus Lanz reagierte daraufhin patzig: "Das funktioniert ja gerade nicht." Auch Publizist Wolfram Weimer warnte vor einer sich verschlimmernden Flüchtlingskrise: "Wir haben in einem Jahr Europa-Wahlen, und es sieht gerade danach aus, dass die AfD in Deutschland die zweitstärkste Partei wird. Diese Frage der Migration ist der grosse AfD-Elefant im Raum."
Weimer weiter: "Wir befinden uns inzwischen in einem globalen Kulturkampf der Systeme. Unsere Verfahren sind zu kompliziert und wir sind zu bürokratisiert. Es ist wie die Reform des Steuerrechts. Wir reden darüber seit 20 Jahren und ich fürchte, dass es auch in diesem Prozess keine Änderung geben wird. Das macht mich sorgenvoll. Es braucht jetzt einen Kanzler, der agiert!"
Die Sorgen teilte auch Migrationsforscher Gerald Knaus, der bei "Markus Lanz" sagte: "Die EU ist derzeit total verwirrt und hilflos. Sie betreibt gerade Theaterpolitik!" Kristin Helberg fügte abschliessend hinzu: "Ich bin ziemlich pessimistisch, was eine gemeinsame EU-Politik in der Migrationsfrage angeht."
So hat sich Markus Lanz geschlagen
Markus Lanz nahm sich am Donnerstagabend vor allem Zeit für die Missstände, die allem Anschein nach seit 2015 in der deutschen Migrationspolitik vorherrschen.
Während er Gäste wie Wolfram Weimer oder Kristin Helberg länger zu Wort kommen liess, fiel der ZDF-Moderator vor allem CDU-Mann Jens Spahn auffällig oft ins Wort und versuchte, ihn mit spitzen Nachfragen aus der Reserve zu locken - jedoch nur mit mässigem Erfolg. Mehrmals in der Sendung ermahnte Spahn den Moderator und bat darum, "endlich auch mal ausreden" zu dürfen.
Das ist das Fazit bei "Markus Lanz"
Immer mehr Geflüchtete suchen Schutz und die Chance auf ein neues Leben in Europa. Was aber wären Lösungen, um die enorme Belastung der Länder und Kommunen in den Griff zu kriegen? Klarheit brachte die "Markus Lanz"-Runde hier nur bedingt.
Besonders beim Thema Grenzkontrollen wurde die Stimmung unter den Gästen hitziger, woraufhin der ZDF-Moderator mit ernster Miene erklärte: "Manche sagen, dass die Lage heute härter ist als 2015, weil die Dimension der Geflüchteten eine völlig andere ist." © 1&1 Mail & Media/teleschau
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