Man kann durchaus manchmal den Eindruck haben, über den Ukraine-Krieg sei in Polittalkshows bereits alles gesagt worden. Am Mittwochabend belehrten der Journalist Thomas Roth und der russische Oppositionelle Garri Kasparow den Zuschauer eines Besseren. Getrübt wurde der Abend lediglich durch die Äusserungen eines "Komikers" und durch eine Moderatorin, die ihm nicht genug Paroli bot.
Mit dem Kabarettisten
Mit diesen Gästen diskutierte Sandra Maischberger
Wolfram Weimer: Der Verleger von "The European" sieht das Treffen zwischen Wladimir Putin und dem chinesischen Staatschef Xi Jinping "wie das Bündnistreffen von zwei Mafia-Bossen" und wertet es als schlechtes Zeichen für den Westen. Denn China zeige offen, dass es die Sanktionen nicht mitträgt. Es sei "eine Achsverschiebung und das ist für den Westen eine schlechte Nachricht", meint Weimer. Die Ukraine brauche weiterhin jede Unterstützung, aber es brauche auch eine politische Seite, einen Friedensplan: "Da kommt mir zu wenig", so Weimer. In Bezug auf den Kampf gegen die Klimakrise müsse man die "kleinen Debatten beenden" und gross denken. Die USA hätte es laut Weimer vorgemacht und grüne Technologien massiv gefördert.
Kerstin Palzer: Palzer ist Korrespondentin im ARD-Hauptstadtstudio. Für die Journalistin hat sich das Kräfteverhältnis zwischen Russland und China gewandelt und "für China ist das doch grossartig". China werde aber trotzdem nicht auf den westlichen Markt verzichten, denn "die brauchen uns auch". Zur Lieferung von Kampfjets an die Ukraine sagt Palzer: "Für mich ist das mit den Kampfjets echt gefährlich." Es bestehe die Gefahr, dass die auch die russische Grenze überschreiten. Polen solle man die Weitergabe von Flugzeugen aus der DDR aber nicht verbieten. Dass die Heizungspläne an die Presse durchgestochen wurden, zeige "wie zerstritten die Koalition ist".
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Dieter Nuhr: Der Kabarettist plaudert mit Maischberger über seine Vergangenheit. Er sei in einem klassischen Beamtenhaushalt aufgewachsen, "Umweltfragen gab es bei uns nicht". Über seine Zeit als Messdiener sagt Nuhr: "Damals war die Zeit gläubiger, weil man weniger wusste." Den ersten Brief an
Thomas Roth: Roth war lange Jahre Auslandskorrespondent der ARD in Moskau und sei damals gerne dort gewesen. Doch trotz der aktuellen Entwicklungen möchte er Russland nicht abschreiben, weil er in den 1990ern den Beginn der russischen Demokratie erlebt habe: "Russland kann Demokratie entwickeln und Putin ist nicht Russland", so Roth. Putin führe diesen Krieg mit hohem Risiko, müsse ihn aber beenden, denn er habe keine andere Wahl: "Er muss ihn auf irgendeine Weise zu Ende führen und daran müssen wir ihn hindern." Sonst habe das massive Auswirkungen auf Europa.
Garri Kasparow: Der ehemalige Schachweltmeister und heutige Oppositionelle ist aus Kroatien zugeschaltet. Über Putins Besuch in Mariupol, als sich der Diktator loben lässt, weil er neue Häuser gebaut habe, sagt Kasparow: "Das sind alles KGB-Offiziere, die verkleidet sind als normale Menschen." Verglichen mit den Besuchen Bidens und Selenskyjs sei Putins Auftritt "ein schlechter Witz". Russland sei vor wenigen Jahren noch ein Polizeistaat gewesen, in dem man bei Protest für ein paar Tage ins Gefängnis gekommen sei. "Heute ist es eine faschistische Diktatur", so Kasparow. Man gehe nicht mehr Tage, sondern Jahre ins Gefängnis. Verhandlungen mit Putin solle man vergessen: "Jetzt kann nur noch ein ukrainischer Sieg die Sache verändern."
Das Gespräch des Abends
Auch wenn Garri Kasparow nur zugeschaltet war und so kein wirkliches Gespräch zwischen Roth, Maischberger und ihm zustande kam, waren diese Minuten doch die erhellendsten des Abends. Vor allem, als beide Gäste ihre Eindrücke von Wladimir Putin schildern. Roth hatte, wie Maischberger einspielt, 2008 ein Interview mit Putin geführt und ihn gefragt, ob nach Georgien nun die Krim das nächste Ziel sei. Putin habe das zurückgewiesen und die Frage als Provokation empfunden. Dazu sagt Roth am Dienstagabend: "Das war natürlich keine Provokation, das war einfach die Schlussfolgerung aus den Handlungen, die er vollzogen hat. […] Dass er diese Frage so als Provokation sieht, heisst einfach: Er ist ertappt worden."
Seit wann Putin die Idee von einem grossrussischen Reich hat, können weder Roth noch Kasparow genau einschätzen. Bis zum Auftritt Putins im Deutschen Bundestag 2001 habe Roth das so noch nicht wahrgenommen, eine Kollegin von ihm aber schon: "Der hat alles erzählt, aber irgendwie stimmte das nicht", erinnert sich Roth an die Worte seiner Kollegin.
Kasparow habe hingegen Putin nie getroffen, ihm aber zugehört. 1999 habe Putin als Premierminister seine ehemaligen KGB-Kollegen getroffen und zu diesen gesagt: "Einmal KGB, immer KGB." Es habe Zeit gebraucht, bis Putin erkannt habe, wie weit er gehen kann, meint Kasparow und ergänzt: "Das ist immer so mit Diktatoren. Sie fragen nicht 'Warum?', sie fragen 'Warum nicht?'" Putin sei immer einen Schritt weiter gegangen, bis er gesagt habe, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion die grösste geopolitische Katastrophe des Jahrhunderts gewesen sei. Das Zögern der freien Welt habe Putin immer ermutigt, den nächsten Schritt zu gehen.
So schlug sich Sandra Maischberger
Mit Licht und Schatten. Den Moment des Lichts hatte Maischberger, als es um den Gesetzesentwurf zu Öl- und Gasheizungen geht. Da ergeht sich besonders Wolfram Weimer in als Wahrheit verkaufte Spekulationen. Robert Habeck habe "grobe handwerkliche Fehler auf offener Bühne" begangen, behauptet Weimer und sieht den Vizekanzler "emotional angefasst", weil der merke, dass er einbricht. Weimer vergleicht in seinem Eifer Habeck sogar mit einem "Ehemann beim Scheidungsanwalt".
Doch Maischberger lässt kurz nach Weimers Tirade die Luft aus dessen Worten und erinnert daran, dass es sich lediglich um einen Referentenentwurf gehandelt habe, der natürlich noch gar nicht fertig gewesen ist und einfach vorab an die "Bild"-Zeitung durchgestochen wurde. Trotzdem hätte Maischberger hier Weimer noch einmal konkret fragen können, welchen handwerklichen Fehler genau er nun bei Robert Habecks Entwurf sieht.
Unbedingt deutlicher, und damit wären wir beim Schatten, hätte Maischberger mit Dieter Nuhr umgehen müssen. Denn der Comedian durfte in aller Ruhe und unwidersprochen seine Thesen ausbreiten. Aber offenbar schien Maischberger hier Nuhrs Rolle anders interpretiert zu haben, denn offenbar ging sie davon aus, dass ihre Sendung der verlängerte Arm von Nuhrs Kabarett ist. Als sie etwa Nuhr fragt, was ihn denn so an den Grünen störe, verweist Nuhr darauf, dass Wolfram Weimer das bereits gesagt habe. Da hakt Maischberger sofort ein: "Aber er ist kein Kabarettist!"
Offenbar hat sich Maischberger von Nuhrs Auftritt ein paar Lacher erhofft. Nuhr selbst schätzt seine Rolle hingegen seriöser ein: "Ich bin ja auch nicht als Kabarettist gefragt worden." Das hindert ihn freilich nicht daran, dennoch den einen oder anderen "Kalauer" an diesem Abend zu bemühen.
Das Fazit
Es war ein wirklich durchwachsener Abend bei "Maischberger". Interessant war vor allem das Gespräch mit Garri Kasparow und Thomas Roth, weil beide intensivere und vor allem bisher ungehörte Perspektiven einbringen konnten. Dass sich dieses Niveau nicht über den ganzen Abend erstreckte, daran hatte Sandra Maischberger einen nicht unerheblichen Anteil. Maischberger ist eigentlich niemand, der vehement dazwischen grätscht, sondern eher sanft, ruhig und intelligent nachhakt, wenn sie eine Antwort nicht zufriedenstellt.
Diesmal liess die Moderatorin aber ihre Gesprächspartner zu oft mit Behauptungen davonkommen. Zum Beispiel Wolfram Weimer. Der suhlte sich erneut im Märchen von der grünen Verbotspartei, forderte beim Klimaschutz lieber Lösungen durch Förderung von Innovationen. Da hätte Maischberger gerne einmal klarstellen können, dass es hier kein "entweder oder" geben muss, man ja beides machen kann. Wenn ein Abfluss verstopft ist und die Wanne überläuft, kann man natürlich neue Rohreinigungstechniken fördern. Man kann aber auch gleichzeitig den laufenden Hahn zudrehen. Verbote und Innovationen funktionieren nebeneinander.
Unangenehm auf einer persönlichen Ebene wurde es, als Maischberger Dieter Nuhr mit seiner Äusserung konfrontiert, Ernährungstipps der Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang würden ihm Angst machen. Nuhr meint, er habe noch nie einen Witz über die "Körperfülle von Ricarda Lang" gemacht, "aber wenn sich Ricarda Lang hinstellt und uns versucht als Volk in Ernährungsfragen pädagogisch zu betreuen, da bekomme ich Zweifel, ob ich's mit einem Experten zu tun habe." "Gibt's ne Grenze für Sie? Es gibt ja Leute, die sagen: Wir machen über offensichtliche körperliche Merkmale nicht, wir machen über religiöse Merkmale auf keinen Fall Witze", fragt Maischberger sanft und sich hinter "Leuten" versteckend.
Doch genau hier hätte die Moderatorin eine Menge besserer und unangenehmerer Fragen stellen können. Zum Beispiel: Herr Nuhr, was genau hat Langs "Körperfülle" mit dem Inhalt ihrer Äusserungen zu tun? An welchen Stellen liegt die Politikerin falsch? Können Sie nicht zwischen dem Aussehen einer Person und ihren Aussagen trennen? Haben Sie sich einmal über die vielen Gründe schlau gemacht, warum es Menschen mit unterschiedlicher "Körperfülle" gibt? Finden Sie es richtig, sich über den Körper anderer Menschen lustig zu machen, denn nur darum geht es Ihnen? Sie hätten sich ja auch über den Inhalt lustig machen können.
So aber hat Nuhr die Gelegenheit, seine Äusserung damit zu rechtfertigen, dass sich seine persönliche Geschmacksgrenze offensichtlich mit der eines sehr, sehr grossen Teils der Bevölkerung decke. Das sei nur ein Glaube, aber er habe das Gefühl, das zeichne sich an Zuschauerzahlen ab. Übersetzt heisst das: So lange genügend Leute klatschen, darf man sich über den Körper anderer Menschen lustig machen. Da darf man ruhig mal fragen, ob Nuhr das bei anderen körperlichen oder sonstigen Merkmalen wie etwa der Hautfarbe, Herkunft oder Religion genauso sieht. Maischberger hätte genau das klarstellen müssen.
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