Packt der deutsche Sozialstaat die Flüchtlingskrise? Sandra Maischberger macht in ihrer Sendung eine Frage zum Thema, die wohl viele Bürger in der Flüchtlingskrise umtreibt. Die Positionen ihrer Gäste liegen spektakulär weit auseinander.
Was ist das Thema?
Der Flüchtlingsgipfel der EU steht an. Jetzt wird sich zeigen, ob
Oder ob die Kanzlerin tatsächlich allein dasteht und Deutschland weiter die Hauptlast der Flüchtlingskrise trägt. "Wie verkraftet unser Sozialsystem die Zuwanderung?", benennt ARD-Journalistin Sandra Maischberger das Thema. "Gibt es bald Verteilungskämpfe zwischen Flüchtlingen und Hartz-IV-Empfängern?"
Wer sind die Gäste?
Wolfgang Grupp, Unternehmer. Der 73 Jahre alte Textil-Unternehmer setzt sich diesmal nicht nur für den Wirtschaftsstandort Deutschland, sondern auch für Flüchtlinge ein, die willens seien, zu arbeiten. Er schildert von einem pakistanischen Näher, den er anstellte. Und davon, wie schwierig es war, diesen in Anstellung zu bringen, weil der bürokratische Prozess so lange dauerte.
"Wir mussten drei Monate warten", erzählt er. Auch drei Syrer habe er angestellt, schildert er, allesamt seien sie von der Ausbildung her nicht schlechter als seine deutschen Arbeitnehmer. "Das ist eine Chance für die Wirtschaft", meint er, keine Belastung des Sozialsystems. Er habe schon gar nicht erlebt, dass sie jemandem den Job wegnehmen. Grupps Ansatz: "Wir müssen dem Staat sagen: Das muss unkomplizierter gehen."
Roland Tichy, Publizist. Der 60-Jährige ist bekannt für scharfe Kritik an der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Und so führt er Zahlen ins Feld. 300.000 Asylanträge hingen in der Luft, meint er. "400.000 Asylsuchende haben noch nicht mal einen Antrag gestellt. 60 Prozent davon sind Analphabeten."
Seine These: Je mehr Menschen den Sozialstaat beanspruchen, desto grösser die Gefahr, dass dieser kollabiere. "Ich halte das für sehr gefährlich. Wir sind nicht mehr in der Lage, Mittel auf die zu konzentrieren, die es nötig haben", sagt er.
Leni Breymaier, Ver.di-Landeschefin. Vor allem Vermögende sollten den neuen Bedarf in den Sozialkassen mitfinanzieren, meint sie. "Ich finde es mies, die Flüchtlingen gegen die Armen in Deutschland in Stellung zu bringen", sagt sie. "Wir haben Leute in unserem Land, die haben Geld wie Dreck." Als Vertreterin der Arbeitnehmer kritisiert sie teils polemisch und wohl übertrieben einen angeblichen Zerfall des Sozialstaates seit Jahren. Die Frage sei: "Wie können sich die Oberen an dieser Herausforderung beteiligen?" Ihre Lösung: eine Erhöhung der Vermögenssteuer.
Edeltraud Sack, "Tafel"-Leiterin. Sie gibt an einer "Tafel" Lebensmittel für Hilfsbedürftige im niedersächsischen Gifhorn aus, erzählt von drohenden Engpässen durch die neue Situation. "Wenn noch mehr Flüchtlinge kommen, haben wir nicht mehr genug für alle", meint sie. Die Erwartungshaltung sei bei den Asylsuchenden ziemlich hoch, erzählt sie. "Sie möchten versorgt werden. Die Bundeskanzlerin hat es ihnen ja versprochen."
Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen, Wirtschaftswissenschaftler. Ein Mahner. "Wir haben die höchsten Sozialausgaben jemals", erklärt er. Zwar habe es noch nie so viele Steuerzahler gegeben. Raffelhüschen: "Doch das ist das Widerliche dabei. Wir kommen gerade so hin." Seiner Meinung nach sind viele Flüchtlinge – etwa vier Fünftel - unqualifizierte Arbeitskräfte, die schon bald keine Steuern zahlen, umso mehr Sozialhilfe kassieren würden. Der 58-Jährige rechnet vor: "Hartz IV ist nicht nur 400 Euro im Monat, das ist Wohngeld, das sind Sozialleistungen." Wie Tichy malt auch er Schreckensszenarien aus. Schulden müssten gemacht werden, "dann zahlen unsere Kinder die Zinsen dafür. Wer einlädt, der zahlt!"
Prof. Dr. Marcel Fratzscher, Wirtschaftswissenschaftler. Er befürwortet die Zuwanderung als Chance. Seine These: Die Flüchtlinge könnten negativen Effekten des demografischen Wandels entgegenwirken. "Wenn es gelingt, diese Menschen in Arbeit zu bringen, werden sie in die Sozialkasse einzahlen", meint er. "Sie entlasten die Sozialsysteme." Staat und Kommunen könnten einen Anstieg der Sozialausgaben mit Überschüssen aus Steuern kompensieren. "Es muss als Investition verstanden werden", sagt er, schliesslich seien eine Million Stellen nicht besetzt.
Alireza Faghihzadeh, Flüchtling und Lehrling. Der 22-Jährige erzählt, wie er im Sommer 2013 als Flüchtling aus Iran kam, zuerst nicht studieren und arbeiten durfte, Bundesfreiwilligendienst leistete und bei Siemens eine Ausbildung anfing. Er meint: "Ich bin keine Ausnahme."
Was war das Rede-Duell des Abends?
Tichy und Raffelhüschen gegen Breymaier. "Sie meinen, die Kuh steht auf der Wolke und wird auf Erden gemolken", macht sich Tichy über die energische Arbeitnehmervertreterin lustig. Dass die Flüchtlinge kämen, sei "ein Konjunkturprogramm", meint diese, wovon auch die Vermögenden profitierten.
Tichy: "Danke, dass sie endlich mal für die Wohlhabenden sprechen." Er wirft ihr vor, widersprüchlich zu argumentieren: "Wenn viele Arbeitskräfte kommen, werden die Löhne gesenkt." Raffelhüschen setzt noch einen drauf, sagt zu Breymaier: "Sie sind völlig fehlgeleitet."
Was war der Moment des Abends?
Als Faghihzadeh erzählt, wie er jeden Tag auf Suche nach einer sinnvollen Beschäftigung mit dem Fahrrad durch die Stadt fuhr, weil er nicht arbeiten durfte. Es zeigt, wie der offensichtlich langsame und umständliche bürokratische Prozess bei der Registrierung und Beurteilung der Asylsuchenden eine schnellere Integration durch Arbeit bisher behindert.
Wie hat sich Maischberger geschlagen?
Besser als zuletzt. Sie findet zu ihrer souveränen Linie zurück, wirkt gelassener, regelrecht entspannt. Sie setzt sich offensiv mit dem Vorwurf auseinander, ihre Sendung präsentiere immer nur Vorzeigeflüchtlinge und versucht diesen zu entkräften. Ein routinierter Auftritt.
Was ist das Ergebnis?
Dass die Meinungen weit auseinander liegen. Die einen befürchten einen Kollaps des Sozialstaates wegen der Flüchtlinge, die anderen glauben an ein neues Wirtschaftswunder. Aufgabe der Politik wird es nun sein, präventiv Massnahmen einzuleiten, um Druck vom Sozialstaat und damit den Rechtspopulisten ein Argument aus der Hand zu nehmen.
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