Bei Markus Lanz ging es am Dienstagabend um die Bestechungsaffäre im Zusammenhang mit der EU-Politikerin Eva Kaili und um die "Reichsbürger"-Razzia der vergangenen Woche. Wie gross ist der Schaden für unsere Demokratie? Während SPD-Chef Lars Klingbeil (SPD) sich geschockt zeigte, sah Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel Vorurteile nachhaltig bestätigt.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Marie Illner dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Die griechische Politikerin Eva Kaili ist in der Bestechungsaffäre als Vize-Präsidentin des EU-Parlaments abgesetzt worden. Das entschieden die Abgeordneten am Dienstag in Strassburg. Die Sozialdemokratin sieht sich Korruptionsvorwürfen ausgesetzt und sitzt in Untersuchungshaft. Der Verdacht steht im Raum, dass WM-Gastgeber Katar versucht hat, mit umfangreichen Geld- und Sachgeschenken Einfluss auf politische Entscheidungen im Europaparlament zu nehmen.

Mehr aktuelle News

Das ist das Thema bei "Markus Lanz"

Bunte Tüte bei Markus Lanz: Es ging vor allem um den Skandal um die Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments und die Razzien in der "Reichsbürger"-Szene. Daran aufgehangen wollte Lanz ergründen: "Warum vertrauen immer weniger Menschen der Politik?". Ebenso ging es um die Rolle von Justiz und Polizei und die Frage, wie sich das Milieu zusammensetzt.

Das sind die Gäste

  • Lars Klingbeil (SPD): "Das klingt wie ein schlechter Krimi, aber es ist ein schwer kriminelles Handeln", sagte der SPD-Chef über den Skandal um die Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments. Er sei geschockt gewesen, als er erstmals davon erfahren habe. Der Skandal schade der Institution der Europäischen Union. Zur Razzia äusserte Klingbeil: "Wenn in diesen Tagen mehr darüber geredet wird, warum ein paar Journalisten davon gewusst haben, als über das Netzwerk an sich, dann frage ich mich, welche Debatten führen wir eigentlich?"
  • Helene Bubrowski: Zu den Razzien sagte die Parlamentskorrespondentin der FAZ: "Wenn ein Schlag gelungen ist, wie jetzt, dann freuen wir uns alle. Wenn wir die Debatten führen: Welche Kompetenzen braucht der Verfassungsschutz? Welche Kompetenz braucht die Bundespolizei? Welche Kompetenzen brauchen die Polizeibehörden? Dann schreien alle Massenüberwachung." Es sei wichtig, die Behörden gut auszustatten.
  • Wolfgang Merkel: "Dass das ein Putschversuch gegen die demokratische Ordnung unseres Landes hätte sein können, kann kein Mensch ernsthaft glauben", sagte der Politikwissenschaftler. Er attestierte Deutschland eine "Zwei-Drittel-Demokratie". Das untere Drittel fühle sich durch eine links-liberale Arroganz ausgegrenzt und sei nicht mehr erreichbar. "Es ist aber ein sehr heterogenes Drittel", erklärte er.
  • Tobias Ginsburg: "Sie glauben alle an eine rechtsextreme Verschwörungstheorie. Ich glaube aber, dass viele Leute da rein stolpern", sagte der Investigativ-Autor über die "Reichsbürger"-Szene. Gleichzeitig warnte er davor, zu pauschalisieren. Es gebe ganz unterschiedliche Ausprägungen.

Das ist der Moment des Abends

Zwar ging es über grosse Strecken der Sendung um die Razzien am vergangenen Mittwoch. Einen wichtigen Moment stellte aber Wolfgang Merkels Statement zum Skandal um die EU-Politikerin Eva Kaili dar. Er sagte: "Das Erste, was eigentlich hätte passieren müssen ist, dass andere Parlamentarier und Parlamentarierinnen aufstehen und dagegen Position beziehen. Und das hat offensichtlich nicht stattgefunden. Und so bleibt es nicht nur ein Schlag gegen die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union, sondern auch gegen das Parlament." Wolfgang Merkel sah Vorurteile über die EU deshalb nachhaltig bestätigt.

Das ist das Rede-Duell des Abends

Bubrowski sprach über die Rolle der Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit dem geplanten Putsch: "Der Verfassungsschutz hat schon gar keine Kategorie mehr, in der er die Menschen richtig einordnen kann." Ausserdem sei die Gefahr, die von den Menschen ausgehe, sehr unterschiedlich zu bewerten. Es sei aus staatlicher Sicht sehr schwer, einen Pflock einzuschlagen und zu sagen: "Diese Leute nehmen wir jetzt fest, die sind nämlich wirklich gefährlich und die beobachten wir. Und die sind zwar echt schauerliche Figuren, mit denen man nichts zu tun haben möchte, aber die sind letztlich harmlos."

"Aber dafür müsste halt etwas Wichtiges passieren", wand Ginsburg ein. "Dafür müsste man aufhören zu sprechen von "Reichsbürgern", Neonazis als fast schon ästhetische Kategorie. Diese Beschreibung an der Oberfläche, da sind sicherlich auch wir Medienschaffende mit dran schuld", sagte er weiter. Es sei einfacher, einen Beitrag über den kuriosesten und schrillsten Typen mit dem blödesten Hut zu machen, während die wirklich gefährlichen Leute extrem bürgerlich vorkämen.

So hat sich Markus Lanz geschlagen

Die zu Beginn der Sendung aufgeworfene Frage "Warum vertrauen immer weniger Menschen in die Politik?" war etwas zu sehr "Doktorarbeit Sozialwissenschaften" und etwas zu wenig "Diskussionsvorlage Dienstagabend".

Wenig verwunderlich, dass am Ende der Sendung darauf auch keine klare Antwort stand. Insgesamt waren die Fragen von Lanz an diesem Abend nicht sonderlich kreativ: "Wie gefährlich sind die Leute?" und "Sind das Menschen mit Bruch in der Biographie?" klangen altbekannt und trieben die Debatte nicht wirklich voran.

Das ist das Ergebnis

Irgendwie kam die Sendung nicht wirklich voran. Es fehlte an der lösungsorientierten Dimension, zu der Fragen gehört hätten wie: "Wie kann man das verlorene Drittel wieder erreichen?", "Was lernen wir aus der Razzia?", "Kann die EU ihr Vertrauen wiederherstellen und wenn ja, wie?". Stattdessen sprang die Sendung von "Reichsbürgern" zu Bildungschancen und von Bürgergeld zu Donald Trump.

Als relevante Ergebnisse liess sich indes nur festhalten: Ein weiter Weg wird vor der EU liegen, ihr korrumpiertes Ansehen wieder aufzubessern, die Medien müssen ihre Hausaufgaben in Sachen "differenzierte Berichterstattung im Bereich Extremismus" machen und Diskussionen über Vorab-Informationen an Journalisten über die Razzien dürfen nicht von den eigentlichen Debatten ablenken.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.