Der Hype ist dem Verdruss gewichen: Kanzlerkandidat Martin Schulz musste in den vergangenen Wochen Wahlniederlagen und sinkende Umfragewerte seiner SPD verkraften. Bei Sandra Maischberger wollte der Sozialdemokrat erklären, wie die Wende noch gelingen soll. Sonderlich mitreissend wirkte er dabei nur selten.
Schon als die Gastgeberin ihn vorstellte, blickte
Schulz ist kein grosser Charismatiker. Der Rheinländer versuchte durch seine Fachkompetenz zu punkten, sprach über Gerechtigkeit, Europa, Steuer- und Finanzpolitik.
Nur zwischenzeitlich menschelte es, nämlich als Schulz über seine überwundene Alkoholsucht und die Rolle seiner Familie sprach.
Privatmensch Martin Schulz
Der wohl interessanteste Teil des Interviews. Zwischen seinem 18. und 24. Lebensjahr war Schulz Alkoholiker. "Ich gehe damit offen um, weil das ist ein Teil meines Lebens", sagte er.
Das soll auch anderen Betroffenen und deren Angehörigen Mut machen. "Ich bin Anhänger der zweiten Chance", so Schulz.
Soviel Ehrlichkeit gegenüber den eigene Schattenseiten ist in der Politik selten. Dies dürfte vielen Zuschauern imponiert haben.
Heute ist Schulz trocken. Zum legendären Spruch des früheren Aussenministers Joschka Fischer, der Bundestag sei "eine unglaubliche Alkoholikerversammlung, die teilweise ganz ordinär nach Schnaps stinkt", sagte er, so etwas sei ihm in der Politik nie aufgefallen.
Die Entscheidung seiner Ehefrau gegen eine öffentliche Rolle erklärte Schulz warmherzig und verständnisvoll.
Sollte er Kanzler werden, würde sich seine Frau aus der Öffentlichkeit wie
Gerechtigkeit
Das grosse Wahlkampfthema der SPD könnte auch zum grossen Problem werden. Denn irgendwie nimmt den vorsichtigen Kurswechsel jener Partei, die das gegenwärtige Hartz-IV-System eingeführt hat, kaum jemand ab.
Auch nicht der in die Sendung geholte Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke. Schulz verteidigte die Agenda 2010, gab aber zu, es seien bei den Hartz-Reformen Fehler gemacht worden.
Das Schonvermögen müsse dringend erhöht werden, forderte der SPD-Vorsitzende. Zudem warb er vehement für mehr Generationengerechtigkeit, für mehr Investitionen in Forschung, Entwicklung und Infrastruktur sowie für bundesweit kostenlose Kita-Plätze.
Als Maischberger fragte, ob das nicht populistisch sei, weil diese Entscheidung in den Händen der Länder läge, begann ein kleines verbales Scharmützel. "Ich finde, dass sie mich ziemlich hart ran nehmen im Moment", sagte Schulz bestimmt, aber freundlich.
Steuer- und Finanzpolitik
Privat gibt Martin Schulz das meiste Geld für Bücher aus, er fährt kein grosses Auto, wie er Sandra Maischberger verriet. Aber wie hält er es mit staatlichen Steuern und Abgaben?
Neben der Forderung nach einer Begrenzung von Managergehältern und dem Kampf gegen Steuerflucht auf europäischer Ebene gab es hier wenig Konkretes.
Warum gibt es im vorläufigen SPD-Wahlprogramm keine Zahlen zu Steuerplänen? "Ich will ein seriös durchgerechnetes Konzept vorlegen", erklärte Schulz.
Darüber hinaus brauche es mehr staatliche Ausgaben, meinte der frühere EU-Parlamentspräsident. "Der Wohlstand ist bedroht, weil in diesem Land nicht genug investiert wird."
Europa
In Zeiten weit verbreiteter EU-Skepsis plädierte Martin Schulz leidenschaftlich für mehr Europa, etwa für eine Vereinheitlichung der Finanz- und Steuerpolitik der EU-Länder.
Der europäische Markt sei gut beraten, sich weiter zu vertiefen. "Macron geht auch in diese Richtung", sagte Schulz. Selbst Merkel denke über Reformen im EU-Vertrag nach.
Gerade gegenüber Donald Trump, der sich wiederholt geringschätzig gegenüber Europa geäussert hatte, forderte er Einigkeit. "Die EU läuft Gefahr zu scheitern, wenn wir gegen diesen Präsidenten nicht geschlossen auftreten." Das gelte in der Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie in der Sicherheitspolitik.
Zur Frage, ob Trump noch bis Ende des Jahres US-Präsident bleiben werde, entgegnete er: "Ich fürchte ja."
Fazit
Martin Schulz gab sich redlich Mühe, für seine Positionen zu werben und konterte die Kritik der eingeladenen Experten sachlich und weitgehend gelassen.
Sein grosses Problem ist, dass keine richtige Wechselstimmung aufkommen will: Deutschland geht es wirtschaftlich gut und die SPD war seit 1998 bis auf vier Jahre stets an der Regierung beteiligt.
"Warum soll Deutschland eine erfolgreiche Kanzlerin abwählen?", stellte Sandra Maischberger die Frage aller Fragen. Schulz antwortete mit dem etwas schiefen Satz: "Ich glaube nicht, dass die Kanzlerin erfolgreich ist, das Land ist erfolgreich."
Um Bundeskanzler zu werden, wird das als Erklärung nicht reichen. Doch noch, das wurde in der Sendung deutlich, will sich Schulz nicht geschlagen geben.
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