Genau ein Jahr nach Angela Merkels "Wir schaffen das!" diskutierte Maybrit Illner mit ihren Gästen über die Folgen der Flüchtlingskrise. Aufreger des Abends waren das Burkaverbot und ein verweigerter Handschlag.
Worum geht's?
Vor einem Jahr sprach
Die Integration von Hunderttausenden Flüchtlingen läuft nicht reibungslos ab, die Ängste in Teilen der Bevölkerung sind gross. Sprache, Tradition, Religion, Werte: Wie deutsch müssen die Flüchtlinge sich verhalten, wie viel Fremdheit soll ihnen zugestanden werden? Muss sogar eine Vollverschleierung toleriert werden? Und ist der Islam tatsächlich das grösste Integrationshindernis?
Bemerkenswert: In der Sendung wurde nicht nur über Migranten gesprochen. Sie stellten sogar die Mehrheit.
Wer sind die Gäste?
Aydan Özoğuz (SPD), Staatsministerin für Integration, stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende
Die deutsch-türkische Politikerin warb ruhig und sachlich für mehr Verständnis für die Zuwanderer und ihre kulturellen und religiösen Hintergründe. Sie weiss aus eigener Erfahrung: Es gibt viele Faktoren, die zu einer gelungenen Integration beitragen. Nicht nur die Herkunft sei entscheidend.
"Die beste Chance auf Integration gibt es, wenn um mich herum viele sind, die Deutsch können und das Land gut kennen", sagte Özoğuz. Sie betonte damit auch die Verantwortung der deutschen Bevölkerung, die ausländischen Mitbürger als vollwertig anzunehmen. "Diskriminierung erleben wir an vielen Stellen. Das muss aufhören, nur dann gibt es auch Loyalität."
Grundsätzlich, erklärte die SPD-Frau, würden Untersuchungen unter Migranten aber ein deutliches Bekenntnis zu Deutschland zeigen.
Paul Ziemiak (CDU), Vorsitzender Junge Union
Der Jungpolitiker musste sofort den Lackmustest ablegen und sich zu dem berühmten Zitat der Kanzlerin äussern. "Ich stehe hinter dem Wort meiner Parteichefin. Was hätte sie auch anderes sagen sollen?", erklärte Ziemiak, der als Kind aus Polen nach Deutschland zog.
Aber er stellte auch schnell klar: "Auf Dauer kann es nicht so sein, dass unbegrenzt Menschen nach Deutschland kommen können."
Zudem nannte er die Integration von so vielen Muslimen "eine der grössten Herausforderungen für die junge Generation." Dafür gab es vorsichtigen Applaus. Es brauche Loyalität von den Migranten und gleichzeitig die Offenheit der Gesellschaft.
Ziemiak gelang der Spagat zwischen der Verteidigung des Merkel-Zitats, das auch in Teilen der CDU auf Ablehnung stösst, und seinen kritischen Einwänden. Mehrfach ging er Integrationsministerin Özoğuz an, etwa als diese gegen ein Burkaverbot argumentierte.
Christian Pundt, Bürgermeister Hatten
Der parteilose Bürgermeister aus Niedersachsen sah die Teilhabe an der Gesellschaft als grösste Herausforderung der Flüchtlingskrise. "Das grösste Problem ist, dass wir Personen bei uns haben, die 16- bis 25-Jährigen, die nicht arbeiten dürfen und Kinder, die in den Schulen und Kindergärten integriert werden müssen."
Reicht der Platz in den Kitas aus? Reicht der Platz in den Schulen aus? Diese Fragen müsse man beantworten, betonte der Pragmatiker, der den Merkel-Satz verteidigte. "Wir müssen es schaffen, es geht gar nicht anders".
Nur mit gelungener Integration, so Pundts Fazit, können die Migranten wirklich in Deutschland ankommen.
Khola Maryam Hübsch, Journalistin und Autorin
Die deutsche Islam-Konvertitin kennt das Unbehagen und die Angst, die Muslimen und anderen Minderheiten als Kopftuchträgerin entgegenschlägt aus eigener Erfahrung. Trotzdem verteidigte sie sogar die Vollverschleierung - mit Nikab und Burka.
"Wenn ich die Taliban-Burka sehe, die es hier nicht gibt, spüre ich selbst ein Unbehagen", erklärte Hübsch. "Wir können aber nicht alles verbieten. Wir müssen uns als aufgeklärte, liberale Gesellschaft mit unseren Werten verteidigen, aber nicht durch Gesetze." Deutschland könne unterschiedliche Kleidungsstile aushalten.
Die Journalistin wies zudem auf die deutsche Mitverantwortung für die Flüchtlingskrise hin, aus der sie eine moralische Verpflichtung ableitete, sich zu kümmern. Wer billige Kleidung und billiges Öl kaufen wolle, müsse sich nicht wundern, wenn Menschen aus armen Ländern zu uns kämen.
Güner Yasemin Balcı, Autorin und Filmemacherin
Die in Berlin aufgewachsene Autorin wies neben CDU-Mann Ziemiak als einzige in der Runde auf grössere Probleme der Massenzuwanderung hin. "Es gibt berechtigte und begründete Ängste, über die man auch reden darf", betonte die 41-Jährige.
Die Frage sei doch, welches Weltbild die Flüchtlinge mitbrächten. "Ob jemand aus Polen oder aus Pakistan kommt, das ist ein Unterschied. Das muss man thematisieren, um irgendwann auf eine gemeinsame Basis zu kommen."
Sie plädierte dafür, gegenüber einem orthodoxen Islamverständnis keine Zugeständnisse zu machen.
Balcı warb zugleich für mehr Miteinander und kritisierte Pauschalurteile gegenüber dem angeblich "ultrakriminellen Flüchtling, der nur den Staat ausbeuten will".
Applaus gab es für ihre Bemerkung, dass nicht nur manche Deutsch-Türken, sondern auch "viele Pegida-Anhänger" ein Problem mit ihrer Loyalität zu Bundespräsident Joachim Gauck hätten.
Der Moment des Abends?
Hitzig wurde es, als Christdemokrat Ziemiak der offenbar streng religiösen Hübsch vorhielt, ihm vor der Sendung den Handschlag verweigert zu haben.
"Ich kann es nicht verstehen, wenn Männer Frauen nicht die Hand geben dürfen." Man sei hier in Deutschland, das sei Teil unserer Kultur, so Ziemiak.
Das brachte wiederum die Muslima auf die Palme. Sichtlich erregt beklagte sie, warum es so schwer sei, andere religiöse Vorschriften zu respektieren. "Das tut keinem weh und verletzt nicht das Grundgesetz."
Das Rededuell des Abends?
Auch hier war Ziemiak beteiligt - beim Thema Burkaverbot. In der ansonsten eher gelassen diskutierenden Runde ging es plötzlich wild durcheinander. "Die Burka hat hier nichts verloren", sagte der CDU-Mann in Richtung der SPD-Integrationsministerin. Dafür gab es Applaus.
"Ich bin gegen jedes Verbot, aber es gibt Grenzen - wenn Frauen voll verhüllt sind", erklärte der JU-Vorsitzende weiter. Dann schob er hinterher: "Kümmern Sie sich um Ihre Integration!"
Özoğuz lächelte nur milde. "Ich lehne die Burka total ab", sagte sie, "aber ich meine, dass jede Frau das Recht hat, sich so zu bekleiden, wie sie will."
Was ist das Ergebnis?
Bei diesem brisanten Thema wären wirklich gegensätzliche Meinungen spannend gewesen. Die gab es nur zum Teil. Irgendwie fehlte ein richtig überzeugender Merkel-Kritiker, z.B. von der CSU, um etwas Feuer zu entfachen. Daher liess die Dramaturgie der Sendung zu wünschen übrig.
Nur beim Burkaverbot wurden die Trennlinien wirklich deutlich. Die einen sind für Verbote, die anderen für Toleranz. Die einen wollen von den Migranten mehr fordern, die anderen mehr fördern. Fazit: wenig Neues. Erkenntnisgewinn: gering.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.