Flüchtlinge, Autonomiebestrebungen, Reformpläne: Europa steht vor grossen Herausforderungen – und in Berlin lässt man sich mit der Regierungsbildung Zeit. Maybrit Illner sprach mit ihren Gästen über den Zustand der EU und versuchte, ihnen nebenbei Neuigkeiten über die Koalitionsverhandlungen zu entlocken.

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Wer sind nun die wahren Europäer? Die Katalanen, die auf Unabhängigkeit setzen und trotzdem Teil Europas sein wollen? Oder die spanische Zentralregierung, die den Erhalt ihres Nationalstaats notfalls auch gewaltsam durchsetzen würde und damit Absetzungsbewegungen in anderen Ländern ein warnendes Beispiel gibt?

Gleich die komplizierte Auftaktfrage von Maybrit Illner zeigte, vor welchen enormen Herausforderungen die Europäische Union derzeit steht.

Nationalstaaten - bleiben oder verschwinden?

Bergsteigerlegende Reinhold Messner kommt aus der autonomen, italienischen Region Südtirol. Er sass einige Jahre als Parteiloser für die Grünen im EU-Parlament und glaubt, dass die Nationalstaaten irgendwann verschwinden werden – aber nicht so schnell: "Die Regionalisierung kommt zu früh, wir brauchen die Nationalstaaten, um zum gemeinsamen Ganzen zu kommen."

Der Historiker Heinrich August Winkler ist dagegen von der Zukunft der Nationalstaaten überzeugt: "Gegen die Nation lässt sich Europa nicht vereinigen" sagte er.
Jede Region müsse ihren eigenen Weg finden, meint Grünen-Chef Cem Özdemir. Einig war man sich zumindest, dass die Regionalisierung ihre Grenzen hat und sich die Interessen gegenüber China, Russland oder den USA auf EU-Ebene bestmöglich vertreten lassen. "Es gibt Probleme, die kann man nur mit Europa lösen", sagte FDP-Chef Christian Lindner.

Linder wird uncharmant

Ein Einspieler legte nah, dass auch im wirtschaftsstarken Bayern – eine Parallele zu Katalonien – immer mal wieder mit einer grösseren Unabhängigkeit geliebäugelt wurde. Schliesslich sind die enormen Zahlungen im Rahmen des Länderfinanzausgleichs dort schon mehrfach Anlass gewesen, vor Gericht gegen die Regelung zu klagen.

Hier wäre es spannend gewesen, was CSU-Politiker wie Horst Seehofer oder Markus Söder entgegnet hätten. Doch aus dem Freistaat sass niemand in der Runde.
Da hatte Christian Linder mehr Zeit, um sich zum aktuellen Stand der Koalitionsverhandlungen zu äussern.

Auf das Thema Familiennachzug bei Flüchtlingen angesprochen, einer der grossen Streitpunkte, wurde er gegenüber der Gastgeberin uncharmant. "Wir verhandeln über die Zusammenarbeit nicht vor laufenden Fernsehkameras. Deswegen bin ich ihnen auch keine Antwort schuldig", sagte er zu Maybrit Illner. Die nahm es sportlich und sagte leicht irritiert "Danke!".

Auch Özdemir liess sich hier nicht in die Karten blicken, die geschäftsführende Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen schon gar nicht. Die CDU-Politikerin machte sich für den Ausbau einer gemeinsamen, europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik stark. Auch für Winkler "ein wichtiger Gedanke für die Weiterentwicklung der EU".

Im Bereich Wirtschaft und Finanzen müsse es ebenfalls mehr Zusammenarbeit geben, so von der Leyen. "Da ist Leben in Europa, da ist Zukunft in Europa", sagte sie vor dem Hintergrund pro-europäischer Initiativen aus Frankreich fast beschwörend.

Wie mit den Flüchtlingen umgehen?

Einer der wenigen echten Diskussionspunkte in einer insgesamt sehr harmonischen Runde war das Thema Flüchtlingspolitik. Historiker Winkler erinnerte daran, dass zwischen der humanitären Hilfe für politisch Verfolgte und der Einwanderung aus Arbeitsmarktgründen unterschieden werden müsse.

Für Letzteres brauche Deutschland ein Einwanderungsgesetz – da herrschte Einigkeit unter Grünen und FDP. Bergsteigerlegende Messner erinnerte zugleich an die europäische Mitverantwortung für die Flucht aus Afrika, durch eine Politik, die zum Klimawandel beigetragen habe, und zeigte Verständnis für die Geflüchteten.

FDP-Chef Lindner machte klar, dass Deutschland beispielsweise in den Schulen an der Belastungsgrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen angekommen sei. "Wir müssen die Akzeptanz, was die Menschen zu leisten bereit sind, wieder verstärkt beachten", sagte er.

Auf den Bürgerwillen bezog sich indirekt auch Winkler, als er über die Milliardenzahlungen Berlins nach Brüssel meckerte. "Wir zahlen dafür, dass andere unbequeme Reformen vor sich her schieben." Dies könne keine Lösung sein. Der Historiker plädierte für "Hilfe zur Selbsthilfe". Ein Seitenhieb auf die südeuropäischen Staaten?

Lästern über die EU

Die haben jedenfalls besonders mit einer hohen Jugendarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit bei jungen Leuten zu kämpfen. Dagegen müsse dringend etwas unternommen werden, mahnte Özdemir, das sei auch ein deutsches Problem.

Aber er stellte umgehend klar: "Es ist nicht die Lösung, dass alle zu uns kommen." Ein Satz, den ein Grünen-Chef vor einigen Jahren noch nicht so leicht über die Lippen bekommen hätte.
Wo gerade über die EU gelästert wurde, mischte sich auch Reinhold Messner, ansonsten ein überzeugter Europäer, noch einmal ein. Europa müsse endlich "die Korruption in den Griff bekommen", es habe viel Vertrauen verspielt. "Wie es das zurückgewinnen kann, ist die grosse Frage."

Nach 60 Minuten "Maybrit Illner" war so viel sicher: Europa steht vor grossen Herausforderungen, aber es gibt durchaus Grund zur Zuversicht. Doch bevor keine neue deutsche Regierung im Amt ist, passiert erst einmal gar nichts. Achja, Christian Lindner und Cem Özdemir duzen sich. Vielleicht ein kleines Signal, dass die Jamaica-Verhandlungen doch auf einem guten Weg sind.

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