Bei Maybrit Illner stritten sich die Gäste um die Frage, welche Auswirkungen Waffenlieferungen an die Ukraine auf das Kriegsgeschehen haben. Ein Ex-Militär sprach sich vehement gegen eine militärische Lösung aus. Und der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel stritt ab, ein "Kriegsverbrecher" zu sein.
Das war das Thema bei "Maybrit Illner"
Soll Deutschland Panzer und schweres Gerät an die Ukraine liefern, damit das Land dem Angriff Russlands weiter stand halten kann? Die Kritik aus dem In- wie Ausland an der Bundesregierung, die das bisher verweigert, wächst. Nicht nur CDU/CSU werfen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor, mitverantwortlich für die Wehrlosigkeit der Ukraine zu sein. Das Thema bei Maybrit Illner: "Putins Offensive – Deutschland weiter defensiv?"
Das waren die Gäste
Schliesslich verteidigte er sich und andere Parteigenossen wie Bundespräsident
Marina Weisband: Die in Kiew geborene Publizistin und Grünen-Politikerin warf der Bundesregierung vor, nicht alles zu tun, was sie könne, um die Ukraine zu unterstützen. "Die europäischen Verbündeten sind sauer auf uns", sagte Weisband, die viele Verwandte in der Ukraine hat, die laut ihren Angaben ebenfalls sehr wütend auf Deutschland sind. "Ich will Frieden, für meine Familie in der Ukraine und meine Familie in Deutschland", sagte sie sichtlich bewegt. Auch die Hunderten ermordeten Menschen in dem Kiewer Vorort Butscha und die zahlreichen Vergewaltigungen prangerte Weisband scharf an.
Claudia Major: Die Sicherheits- und Verteidigungsexpertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sagte, dass die Ukraine mehr schwere Waffen benötige, um die russische Offensive auf die Ostukraine abzuwehren. Der Grund: Sollte Russland den Krieg gewinnen, dann wäre die Eskalationsgefahr in Zukunft auch für Nato-Staaten grösser. Es sei folglich "in unserem Interesse sicherzustellen, dass Russland diesen Angriffskrieg nicht gewinnt". Man müsse den Krieg daher schon jetzt "vom Ende her denken", so Major.
Erich Vad: Der Brigadegeneral a. D. und frühere militärische Berater von Altbundeskanzlerin
Die Lieferung von Kampfpanzern durch Deutschland – die Amerikaner und Briten liefern selbst keine Panzer – erhöhe ausserdem die Wahrscheinlichkeit, "dass man in der Wahrnehmung und auch faktisch stark in die Rolle der Kriegspartei rutscht". Abschliessend kritisierte Vad den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk für seine teils scharfe Kritik an führenden deutschen Politikern für ihren vermeintlich zu russlandfreundlichen Kurs.
Roderich Kiesewetter (CDU): Der Bundestagsabgeordnete und frühere Oberst der Bundeswehr widersprach Gabriel und Vad entschieden. Er forderte die Lieferung von Artilleriegeschossen und entsprechender Munition an die Ukraine. Die Regierung müsse sich einen Ruck geben, denn "nach der Ukraine fällt Georgien, fällt Moldau, fällt vielleicht auch das Baltikum".
Harter Vorwurf in Richtung SPD: "Ich habe den Eindruck, dass Teile der Sozialdemokratie die Ukraine schon aufgegeben haben", sagte Kiesewetter. Der CDU-Mann übte auch Kritik an Angela Merkel, die die inzwischen gestoppte Gaspipeline Nordstream 2 viele Jahre als "privatwirtschaftliches Projekt" bezeichnet hatte.
Das war der Moment des Abends
Erich Vad teilte gegen Entscheidungsträger aus, die sich aktuell berufen fühlen, sich zu militärischen Themen zu äussern - ohne von der Materie gross Ahnung zu haben. "Mich stört es, wenn Politiker von den Grünen die militärische Lösung als ultimatives Ziel darstellen. Das ist doch verrückt", polterte der Brigadegeneral a. D. "Und das machen Politiker, die mit Militär nichts am Hut hatten, die den Wehrdienst verweigert haben, die von der Bundeswehr nichts wissen."
Womöglich meinte er damit den Grünen-Politiker Anton Hofreiter, der gefordert hatte, Marder-Schützenpanzer aus Bundeswehr-Beständen sowie von der Rheinmetall AG ausgemusterte Panzer an die Ukraine zu liefern.
Das war das Rededuell des Abends
Es war ausgerechnet ein Militär, der eine militärische Lösung im Ukraine-Krieg heftig kritisierte. Den Konflikt vom Ende her zu denken, "heisst für mich nicht ein militärischer Sieg einer Seite", so Erick Vad, sondern ein "baldiges Ende dieses Konfliktes". Man müsse schnellstmöglich eine Verhandlungslösung erreichen. Um zu einem Waffenstillstand zu kommen, müsse man den Krieg schnell beenden und "nicht auf Sieg setzen". Vad: "Das ist eine Rhetorik, die nicht geht".
Beim Vorwurf, Kriegsrhetorik zu betreiben, fühlte sich offensichtlich auch CDU-Mann Kiesewetter angesprochen. Er nannte die Zahl von 12 Millionen ukrainischen Flüchtlingen "und wir sprechen davon, dass die Ukraine militärisch nicht gewinnen soll. Das halte ich für fatal", empörte er sich. Kiesewetters Überzeugung: "Der Krieg kann nur militärisch gewonnen werden." Denn nur durch starke militärische Unterstützung der Ukraine könne Russland zu einer politischen Lösung gezwungen werden.
So hat sich Maybrit Illner geschlagen
Trotz erheblicher inhaltlicher Differenzen – siehe Vad und Kiesewetter – gingen
Das ist das Fazit
Tut Deutschland genug, um die Ukraine zu unterstützen? Bei der Frage der Fragen kamen die Gäste bei Maybrit Illner am Donnerstagabend auf keinen gemeinsamen Nenner. Während die eine Fraktion (Kiesewetter, Weisband, Major) der Überzeugung war, dass die Lieferung schwerer Waffen dazu beitragen wird Frieden zu schaffen, warnten Vad und Gabriel genau vor diesem Schritt.
Weisband und Major äusserten die Überzeugung, dass der Konflikt nach dem 8. Mai einfrieren wird. An dem Tag feiert Russland den Sieg über den Nationalsozialismus im Zweiten Weltkrieg. Es wird erwartet, dass Putin genau dann auch einen (Teil-)Sieg über die Ukraine verkünden will, etwa die vollständige Eroberung des Donbass.
In diesem Punkt war Sigmar Gabriel ganz anderer Meinung. "Das, was wir dann erleben werden, ist ja kein Frieden. Mit Glück vielleicht ein Waffenstillstand." Die Ukraine könne ja nicht einfach einen Teil ihres Territoriums an Russland verschenken. Gabriel glaubt an einen "immer wieder aufbrechenden Frozen Conflict", wie er das nannte. Eine Art Dauerkrieg im Herzen von Europa? Keine guten Aussichten für die kommenden Jahre, sollte der frühere SPD-Chef recht behalten. Vor allem nicht für die Menschen in der Ukraine.
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