Maybrit Illners Gäste stritten über religiöse Gewalt und den Sinn des Glaubens. Ein Religionskritiker holte dabei zum Rundumschlag aus, während Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime Religionen pauschal als friedfertig bezeichnete.
Was war das Thema bei Maybrit Illner?
Die Selbstmordanschläge von Islamisten auf christliche Kirchen in Sri Lanka könnten eine Racheaktion für die Ermordung von Muslimen durch einen rechtsradikalen Attentäter im neuseeländischen Christchurch gewesen sein.
Droht jetzt eine Spirale der Gewalt? Wie lassen sich Radikale stoppen? Und wäre die Welt ohne Religionen friedlicher? Das Thema bei
Wer waren die Gäste?
Wolfgang Bosbach (CDU): Der langjährige Bundestagsabgeordnete betonte den Wert von Prävention und Deradikalisierung. "Es wird ja niemand als Terrorist geboren", sagte er. Ansonsten zeigte er oft mit dem Finger auf andere, statt Lösungen vorzuschlagen. Bosbach wies darauf hin, dass Christen in muslimischen Ländern ihre Religion nicht so frei ausüben können wie Muslime hierzulande und kritisierte den Einfluss der türkischen Religionsbehörde Ditib in Deutschland. Das klang manchmal ein wenig wie: Die anderen sind aber viel böser.- Aiman A. Mazyek: Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD) versuchte Religionsgemeinschaften als grundsätzlich friedliebende Gruppen darzustellen. Gewalt gehe immer von Einzelnen aus, nicht von Religionen an sich. Zudem sagte er, man dürfe den Islam nicht alleine für Probleme in islamisch geprägten Gesellschaften verantwortlich machen. Auch in Armut oder mangelnder Bildung sieht er Ursachen für religiösen Fanatismus.
- Mürvet Öztürk: Die Islamwissenschaftlerin sprach von einer zunehmend konservativen Prägung des deutschen Islam (was Mazyek bestritt). Um Menschen vor Scharfmachern zu schützen, die einen "Kampf der Religionen" befeuern, braucht es in ihren Augen mehr Aufklärung, Bildung und ein friedliches Miteinander. "Vielfalt ist das Beste in einer Gesellschaft, nicht Einfalt."
- Philipp Möller: Der Religionskritiker und Autor ("Gottlos glücklich: Warum wir ohne Religion besser dran wären") holte zum Rundumschlag aus. Ein Freund-Feind-Schema oder die Überhöhung des eigenen Glaubens sei in allen Religionsgemeinschaften zu finden – und höchst problematisch. Die aktuellen Tendenzen zur Radikalisierung innerhalb der Religionen sieht er als eine Folge ihrer weltweit sinkenden Bedeutung, als eine Art "Rückzugsgefecht".
- Peter R. Neumann: Der Terrorismus-Experte vom King's College London zitierte den amerikanischen Soziologen Mark Juergensmeyer: "Religion ist nicht das Problem, aber Religion kann problematisch sein." Zudem stellte er die These infrage, dass Christen die weltweit am meisten verfolgte religiöse Gruppe seien. 90 Prozent der Opfer der IS-Terrormiliz seien andere Muslime, so Neumann. Seine spannendste Feststellung: Alle Terroristen, ob rechts oder islamistisch, verbindet eine ähnlich engstirnige Denkweise – und damit weit mehr als ihnen lieb sein dürfte.
Was war das Rededuell des Abends?
Aiman Mazyek nannte es eine Lüge, dass Religionen Gewalt suchen. Das wollte Religionskritiker Möller so nicht stehen lassen.
Religion sei mehrsprachig, argumentierte er. "Sie spricht nicht nur die Sprache der Liebe. Sie spricht auch die Sprache des Hasses. Und sie spricht auch die Sprache der Rache." Für diese Erwiderung gab es Applaus.
Mazyek konterte: "Menschen sprechen die Sprache des Hasses, die Religionen nicht. Menschen machen Hass. Menschen predigen den Zwiespalt, aber nicht die Religion als solche. Wir müssen sie richtig begreifen."
Daraufhin empfahl Möller den Zuschauern die Lektüre von Bibel und Koran. Dort werde explizit zu Gewalt aufgerufen, was manchen bis heute als Rechtfertigung für Mord und Totschlag diene.
Was war der Moment des Abends?
Als sich Wolfgang Bosbach über die grossen Probleme bei der Trennung von Kirche und Staat in islamischen Ländern erregte, konterte Möller, das sei auch in Deutschland ein "riesiges Problem". Bosbachs Augen wurden grösser und grösser. "Ich könnte aus dem Stand drei Gesetze aufzählen, die natürlich im höchstem Masse religiös beeinflusst sind", behauptete Möller. Ein spannender Punkt, den Maybrit Illner leider nicht weiter vertiefte.
Wie hat sich Maybrit Illner geschlagen?
In Sendungen mit einem besonders facettenreichen Thema ist die Gefahr gross, durch die verschiedenen Unterpunkte zu hetzen. So auch in diesem Religions-Talk.
Die Gastgeberin mühte sich, ihre Stichworte abzuarbeiten, statt in die Tiefe zu gehen, wie das Beispiel der Trennung von Kirche und Staat in Deutschland zeigt. Das hatte vermutlich nicht auf dem Zettel gestanden.
Pluspunkte sammelte Illner aber, als sie den "Kreuzzug gegen das Böse" thematisierte, wie der frühere US-Präsident George W. Bush den Kampf gegen Terroristen genannt hatte. Sogar Wolfgang Bosbach entlockte sie damit ein Eingeständnis. Die Aussage Bushs war in seinen Augen ein "Fehler, den man nicht machen darf".
Was ist das Ergebnis?
Mürvet Öztürk forderte von den Religionsgemeinschaften, dass sie nicht nur ihre Rechte einfordern, wenn sie selbst in einem Land in der Minderheit sind, sondern auch Minderheiten schützen und Toleranz zeigen, wenn sie in einem Land die Mehrheit stellen.
Dass dies eine gute Idee wäre, dürfte ähnlich unstrittig sein wie Bosbachs Aussage, Religionen sollten "nicht Liebe zur Macht, sondern Macht der Liebe" in den Mittelpunkt stellen.
Illner fand ein salomonisches Schlusswort: "Es bleibt auf allen Seiten für die Gesellschaft viel zu tun."
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