Angela Merkel will eine europäische Lösung für die Flüchtlingssituation. Nur: Europa will das nicht – so scheint es jedenfalls. Der Druck in der Politik ist gross. Das zeigt sich auch bei "Maybrit Illner", deren Gäste sich beim Thema "Auf verlorenem Posten – scheitert Merkel an Europa?" einen intensiven Schlagabtausch liefern.
Kurz vor dem EU-Gipfel in Brüssel hat sich bereits eine Allianz gegen die Flüchtlingspolitik der deutschen Bundeskanzlerin gebildet.
Vor allem die osteuropäischen Staaten wollen sich abschotten. Aber auch
Nicht nur in Europa wird die Kanzlerin angegriffen, auch die CSU war in den vergangenen Monaten wenig zimperlich. Bei "Maybrit Illner" scheut der bayerische Finanzminister Markus Söder jedoch eine direkte Kritik an Merkel. Der "humanitäre Akt" der Kanzlerin für die Flüchtlinge am Budapester Bahnhof sei in einer Ausnahmesituation "okay" gewesen. Nicht aber der Dauerzustand.
Die Drohung der CSU mit einer Klage beim Bundesverfassungsgericht will er aber nicht gegen Merkel gerichtet wissen. "Wir verklagen nicht die Kanzlerin, wir klagen den Rechtsbruch an", behauptet
"Die AfD ist das Fieberthermometer der Demokratie"
Ganz anderer Meinung ist die Unternehmerin Sina Trinkwalder. Merkel habe etwas Grossartiges geleistet: "Sie hat eine humanitäre Katastrophe verhindert." Die CSU habe es sich dagegen zum Volkssport gemacht, den Menschen Angst einzujagen. "Sie bieten sich als Entwicklungshilfeminister für die AfD an", wirft sie Söder vor.
"Die AfD ist das Fieberthermometer der Demokratie", entgegnet der CSU-Politiker. Viele Menschen seien eben verunsichert. Die Politiker sollten aber auch die Chance der Zuwanderung zeigen, findet Trinkwalder.
In ihrer eigenen Firma beschäftigt sie selbst Mitarbeiter aus 25 Nationen. Sie stehe strikt hinter Merkel: "Ja, wir schaffen das!"
Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann sieht Zuwanderung als Investition in die Zukunft, besonders wegen der demographischen Entwicklung in Deutschland. "Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz, damit wir die Arbeitsmigranten besser steuern können", fordert er.
Dennoch glaubt auch er, dass nicht unbegrenzt viele Menschen integriert werden können.
Nationale versus europäische Lösungen
Die Königsfrage bleibt: Wie sollen die Flüchtlingszahlen verringert werden?
Markus Söder will nicht auf die Türkei oder die EU hoffen. "Deutschland muss selbstständig und national handeln", sagt er. Es reiche nicht, die anderen zu belehren oder ihnen etwas aufzuzwingen.
Der CSU-Politiker lehnt es ebenso ab, den osteuropäischen Flüchtlingsverweigerern EU-Gelder zu kürzen: "Das treibt nur die Spaltung weiter voran."
SPD-Politiker Oppermann glaubt dagegen noch an eine europäische Lösung. Die Solidarität müsse prinzipiell da sein, schliesslich könne eine Krise jeden einmal treffen.
Sollten die Grenzen von Mazedonien und Bulgarien wie angekündigt geschlossen werden, würden die Flüchtlinge in einem völlig überforderten Griechenland stranden. "Wir dürfen Griechenland nicht allein lassen", mahnt Oppermann.
Mit dieser Haltung liegt die SPD auf dem Kurs der Kanzlerin. Oppermann kann sich deswegen auch vorstellen, allein mit der CDU zu regieren – ohne deren bayerische Schwester.
"Würden Sie die CSU-Minister vermissen", fragt
Söder findet das gar nicht lustig: "Mit dieser Einstellung kriegen Sie nicht mal die 16 Prozent", höhnt er.
Die Kommunen fühlen sich überfordert
Zwar ist derzeit besonders viel von der Kanzlerin die Rede, doch nicht nur sie steht in diesen Tagen unter Druck. Das wird besonders beim Auftritt von Falko Liecke, einem CDU-Stadtrat aus Berlin-Neukölln, deutlich.
"Wir haben als Kommune erhebliche Probleme mit dem Flüchtlingsstrom klar zu kommen", betont er und spricht auch von Überforderung.
So fehlen beispielsweise Erzieher und Erzieherinnen, die die Grundvoraussetzung für Integration leisten können - wie den Erwerb der Sprache.
Liecke fühlt sich von der Bundesregierung im Stich gelassen. Er hat deswegen einen Brandbrief an Merkel unterschrieben und wünscht sich von ihr eine klare Position – und einen Plan.
Besonders treibt ihn der Vertrauensverlust unter den Wählern um. "Ich muss sie davon abhalten, die AfD zu wählen", sagt Liecke.
"Merkel hat sich verrannt", findet der "Handelsblatt"-Journalist Gabor Steingart. Er glaubt aber, dass sich die Bundeskanzlerin wieder einmal neu erfinden und eine "sanfte Kehrtwendung" vollziehen wird.
Dann werde sie auch nationale Grenzkontrollen nicht mehr ausschliessen.
Markiert die Flüchtlingssituation auch eine Zeitenwende?
Den Westen sieht Steingart vor dem "Abstieg" seiner Ideale. In einer multipolaren Welt müsse er auch mit Menschen reden, die nicht mit seinen Werten wie Demokratie oder Frauenrechte übereinstimmen.
"Neben einer Grenz-Diskussion brauchen wir eine Welt-Friedenskonferenz", sagt Steingart.
Die Politikwissenschaftlerin Almut Möller warnt davor, sich auf die "nationale Scholle" zurückzuziehen. Die Dimension des Problems sei so gross, dass es nur gemeinsam gelöst werden kann. Wenn es nur auf andere verlagert werde, bricht Europa auseinander.
Die Kosten für die Flüchtlinge sind zwar hoch, doch "die Kosten einer Aufhebung des Schengener Abkommens wären ebenfalls sehr hoch", meint Möller.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.