- Wird die Kleinstadt Bachmut in der Ukraine fallen? Was symbolisiert sie für beide Seiten in diesem Krieg?
- Terrorexperte Peter Neumann sprach bei "Maybrit Illner" am Donnerstagabend über Moral, Offensiven im Frühling und Frontverläufe.
- Im Gepäck hatte er eine pessimistische Nachricht.
Die Ukraine meldete erst gestern die heftigsten russischen Luftangriffe seit Beginn des Krieges vor mehr als einem Jahr. Gekämpft wird aktuell vor allem um die Kleinstadt Bachmut. Zwar sollen ukrainische Truppen weite Teile der Stadt halten, für die östliche Seite melden die russischen Wagner-Kämpfer aber die komplette Eroberung. Warum ist sie so wichtig? Ein paar Antworten gab es bei "
Das ist das Thema bei "Maybrit Illner"
Der Blick richtete sich bei Illner am Donnerstag (9.) erst auf die ukrainsiche Kleinstadt Bachmut und von dort aus auf die ganze Welt. Konkret hiess das von der Frage "Fällt Bachmut und hat die russische Offensive Erfolg?" zu "Welche Rolle werden die USA und China bei der Beendigung des Krieges spielen?" Ausserdem ging es erneut um westliche Waffenlieferungen, Streit innerhalb der russischen Verbände und den Frontverlauf auf dem Schlachtfeld.
Das sind die Gäste
Jürgen Trittin (Grüne): "Dieser Zermürbungskrieg wird am Ende darüber entschieden, welche Seite die grössere Durchhaltefähigkeit hat. Das ist nicht nur eine Frage des Militärs und der Waffen, das ist auch eine Frage der Moral", so der Grünen-Politiker. Zu den USA sagte er: "Wenn ich die Signale sehe, die aus der US-Administration selber gestreut werden, dann sind das alles Signale, die sagen: ‚Wir werden das jetzt noch eine Weile unterstützen, aber wir sehen sehr genau, dass wir auf einen Präsidentschaftswahlkampf zusteuern‘." In einer solchen Phase müssten die Sicherheitsgarantien dann von Europa kommen.
Sabine Adler: Die Journalistin und Osteuropa-Expertin analysierte, Bachmut sei zum einen ein wichtiges Symbol, "weil Russland eine Kleinstadt seit Monaten nicht erobert bekommt." Russland schaffe es mit dreifachen Verbänden nicht gegen die Ukraine. Bachmut sei aber auch strategisch bedeutend. Die Stadt selbst habe zwar keine grosse Bedeutung, ihre Lage sei aber entscheidend. "Es gibt drei Fernverkehrsstrassen, alles Schranken Richtung Westen. Wenn man den Donbass weitererobern möchte, muss man über diese Strassen kommen.
Peter Neumann: Der Terrorismus-Forscher war sich sicher: "Bachmut ist für beide Seiten ein Symbol geworden." Die Moral spiele eine ebenso grosse Rolle wie die Kampfkraft. Es gehe darum, die jeweils andere Seite für bevorstehende Offensiven im Frühling zu schwächen. Man steuere auf einen Abnutzungskrieg mit kleinen Geländegewinnen auf beiden Seiten zu, bei dem sich die Frontverläufe nicht mehr gross verschieben. "Das ist möglicherweise die pessimistische Nachricht: Dass im Grossen und Ganzen der Frontverlauf so bleiben wird", sagte Neumann.
Felix Lee: Der Autor beschrieb die Leitlinie, die von China im Krieg ausgeht als "pro-russische Neutralität". "Putin und dieser ganze Konflikt bereiten Peking auch grosses Kopfzerbrechen", meinte Lee. China fühle sich unabhängig vom Krieg von den USA in die Ecke gedrängt. Es sei gefährlich, dass Joe Biden eine anti-chinesische Stimmung in den USA schaffe. "Die Tendenz in den USA, China zum Hauptfeind zu machen, halte ich für gefährlich", so der Autor.
Das ist der Moment des Abends bei "Illner"
Anwärter für den "Moment des Abends" gab es sicherlich mehrere. Eine Erläuterung von Autor Lee blieb hängen – weil sie stellvertretend und anschaulich zeigte, wie viele Interessen im Ukraine-Konflikt aufeinanderprallen. Solches Hintergrundwissen ist es, das man bei der Einordnung von tagespolitischen Ereignissen (Stichwort "Chinesische Friedensinitiative") braucht.
Lee erklärte: "Peking will um jeden Preis Putin irgendwie halten und fürchtet, dass dieser ziemlich misslungene Krieg Putin schwächt." Die Sorge, die dahinterstecke sei, nach Putin könne entweder eine pro-westliche Regierung an die Macht kommen, oder ein unberechenbarer Mafioso. Mit der Friedensinitiative wolle Peking eine Eskalation vermeiden,denn: "Das ist die grosse Angst, die auch China hat", so Lee.
Das ist das Rede-Duell des Abends
Trittin sprach über die Bedeutung von Bachmut und stellte fest, man sehe in Bachmut eine deutlich zerstrittene Landschaft auf Seiten Russlands. Kritik an Putin käme beispielsweise aus dem Lager der Wagner-Truppen, die ein härteres Vorgehen wünschten. "Innerhalb Russlands zeigen sich Friktionen. Die mögen uns nicht begeistern, weil wahrscheinlicher sind die uns noch unsympathischer als Putin. Aber es muss erst einmal festgestellt werden, es gibt dort einen Streit", so Trittin. In der Ukraine hingegen sei die Führung bei allen Differenzen durch die Grundhaltung "Wir wollen nicht, dass unser Land überrannt wird, wir wollen nicht, dass es ein grosses Bucha gibt" geeint.
Journalistin Adler war anderer Meinung und wähnte zwischen Wagner-Chef Prigoschin und Putin einen "Schaukampf, der ablenken soll". Sie sagte: "Es ist das Einzige, was irgendwie an Kritik laut wird." Die Bevölkerung sei still – protestiere nicht und zeige auch keine Kriegsbegeisterung. "Um irgendwie so ein Grummeln und Murmeln da aufzufangen, wird eben dieser Streit jetzt so hochgejagt. Das ist eine Art Ventil", lautete ihre Erklärung.
So hat sich Maybrit Illner geschlagen
Mit Fragen wie Maybrit Illner: "Wird es möglich sein, Bachmut zu halten", "Warum wird so brutal um eine Stadt gekämpft, von der viele sagen, sie habe keine strategische Bedeutung?" und "Welche Seite hat aktuell die grösseren Probleme?" war Illner gut dabei und regte spannende Diskussionen an. Ihr Zeitmanagement hätte an diesem Abend aber etwas besser sein können. Das angekündigte Thema "Angriff auf die Ostseepipelines" fiel beinahe ganz unter den Tisch, auch für die strategischen Ziele des Westens im Ukraine-Krieg blieb keine Zeit mehr. Eine Frage, die man sich hätte sparen können: "Kommen die Panzer aus dem Westen zu spät?" Das ist schliesslich schon mehrfach durchanalysiert worden.
Das ist das Ergebnis bei "Illner"
Die Sendung bei Illner punktete damit, dass sie einen deutlich breiteren Blick auf den Ukraine-Krieg wagte, als ein in vergleichbaren Runden oft der Fall ist. Die Studiogäste machten mit China und den USA den grösseren geopolitischen Kontext auf und verwiesen auch auf Dilemmata, in denen sowohl China als auch die USA stecken. Kurz vor Schluss der Sendung machte Röttgen aber einen wichtigen Punkt: "Was ist eigentlich unser strategisches Ziel? Das ist die Frage, die viel zu wenig diskutiert wird", befand er.
Zu oft gehe es um eine Unterstützung der Ukraine, die auch russland-politische Ziele verfolge. Er fasste auf Grundlage der vorrausgehenden Debatte zusammen: "Das oberste Ziel darf nicht sein, wie ist die innere Situation Russlands. Sondern das oberste Ziel muss sein, dass Russland versteht: Kolonialismus und Imperialismus sind keine Möglichkeit mehr."
Verwendete Quellen:
- ZDF: Sendung "Maybrit Illner" vom 09.03.2023
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