Deutschland will nun Flugabwehrpanzer an die Ukraine liefern – nach langem Zögern. "Warum erst jetzt?", fragt Maybrit Illner am Donnerstagabend. Eine eindeutige Antwort darauf gibt es zwar nicht, dafür aber Erkenntnisse in ganz anderen Bereichen.
Nach wochenlangem Zögern will die Bundesregierung der Ukraine nun doch schwere Waffen liefern. Doch warum haben die alten Argumente plötzlich keine Gültigkeit mehr? Was soll damit erreicht werden und wie wird Wladimir Putin darauf reagieren? Darüber diskutierte Maybrit Illner am Donnerstagabend unter der Frage: "Schwere Waffen für Kiew – warum schwenkt Berlin jetzt um?"
Mit diesen Gästen diskutierte Maybrit Illner
Die Sicht der Ukraine verstehe Habeck, aber als deutsche Regierung müsse man auch andere Kriterien hinzuziehen und abwägen. Deutschland bewege sich im Vergleich zu den Alliierten bei Waffenlieferungen "im oberen Kräftefeld." Warum Deutschland bei Waffenlieferung besonders begutachtet werde, liege daran, dass Deutschland zum einen eine "Rüstungsschmiedenation" sei und zum anderen, weil Deutschland in der jüngsten Vergangenheit sehr russlandfreundlich gewesen sei, was die Ukraine verprellt habe: "Wir starten im Minus", so Habeck.
Melanie Amann: Die "Spiegel"-Journalistin kritisierte
"Es geht nicht nur um Kommunikation, sondern auch um Haltung", so Amann. Zu Scholz’ bisheriger Argumentation gegen die Lieferung schwerer Waffen sagte Amann: "Herr Scholz selbst hat den Kontext hergestellt: Schwere Waffen – Atomkrieg. Da darf man sich nicht wundern, wenn die Mehrheit der Deutschen sagt: Wir wollen das nicht."
Deutschland leiste seinen Beitrag, aber "Ich möchte keinen Kanzler, der sich morgens überlegt: Was verkünde ich heute. Ich möchte keinen Kanzler, der Wasserstandsmeldungen abgibt. Dafür ist das Thema viel zu ernst", erklärte Klingbeil. Über die Ausstattung der Bundeswehr und deren Möglichkeit, selbst Material zu liefern, sagte Klingbeil: "Wir haben keine Bundeswehr, die voll ausgestattet ist, das ist ein Problem. (…) Es ist begrenzt, was wir überhaupt noch an militärischem Gerät liefern können."
Sabine Fischer: Die Russland- und Osteuropaexpertin der Stiftung Wissenschaft und Politik erklärte die Position der Ukraine: "Das übergreifende Ziel der Ukraine ist der Erhalt und die Stärkung der eigenen Staatlichkeit gegen die russische Aggression. Das ist ganz klar umrissen." Russlands Ambitionen in diesem Krieg seien hingegen weitreichender und lägen in einer Neuordnung der Sicherheit in Europa, was uns alle bedrohe: "Je erfolgreicher Russland ist, desto grösser wird unser Problem."
Über eine Lösung des Konflikts sagte Merz: "Das Ziel muss nicht sein, dass der eine gewinnt und einer verliert, sondern dass man hier zu einem Stopp kommt und
Ben Hodges (zugeschaltet): Hodges ist Generalleutnant a. D. und Spezialist für geopolitische Fragen und europäische Verteidigungspolitik am Center for European Policy Analysis (CEPA). Er sieht bei den Waffenlieferungen vor allem ein logistisches Problem: "Das ist die Achillesferse der gesamten Operation - dass das Material nicht so schnell an die Front kommt wie nötig. Ganz besonders für die nächsten Wochen wird das eine Herausforderung bleiben."
Über die Aufgaben Deutschlands sagte Hodges: "Es braucht eine langfristige Verpflichtung von uns allen, dass die ukrainische Souveränität wiederhergestellt wird. Deutschland wird in diesem Prozess eine wichtige Rolle spielen."
Die ewige Frage nach dem Embargo
Natürlich konnte auch diese Diskussion nicht ohne die Frage nach einem Embargo russischer Energieträger auskommen. Das ist auch legitim, schliesslich gibt es hier zumindest in Bezug auf die Unabhängigkeit von russischem Öl die Nachricht, dass diese bald erreicht sei.
Hierzu erklärte Robert Habeck, dass es bei einem Embargo generell zwei Dinge zu berücksichtigen gebe. Zum einen dürfe man nicht von Putin erpressbar sein. Bei Öl sei man hier nun vorangekommen. Gleichzeitig aber käme es darauf an, "wie klug ein Embargo aufgesetzt" ist.
Bei einem Embargo könnten die Preise schnell nach oben gehen, und da Putin auch andere Staaten beliefert, würde er für weniger Öl mehr Geld bekommen. "Das wäre natürlich kontraproduktiv", erklärte Habeck. Gleichzeitig müsse man verhindern, dass der Ölpreis so stark steigt, dass sich nur noch reiche Länder Öl leisten können. Das würde Putin bei der Diskreditierung des Westens in die Hände spielen und ihm neue Alliierte in die Arme treiben.
Da man bei Öl deutlich vorangekommen sei, könne sich Deutschland nun "frei entscheiden, wie wir es wollen", so Habeck. Er machte aber auch klar: "Es ist jetzt nicht ohne Schmerzen zu haben, dass sich niemand täuscht. Es wird Lieferausfälle geben, wäre es morgen so weit und wir werden enorme Preissprünge haben. Also es tut noch immer ordentlich weh. Aber wir werden keine nationale Katastrophe mehr erleben."
Deutschland könne sich nun frei entscheiden, es gebe aber auch noch andere Möglichkeiten. Die werde Habeck aber hier nicht ausbreiten, er könne aber versichern, "dass die Alliierten darüber nachdenken und klug darüber nachdenken, wie man Russland weiter schadet, um diesen Krieg endlich einzustellen."
So schlug sich Maybrit Illner
Durchwachsen.
Und so fällt Illner an diesem Abend auffällig häufig ihren Gästen ins Wort, beendet deren Sätze mit den mutmasslich fehlenden Worten und unterbricht sie mit dem Hinweis, dass sie wohl die Frage nicht pointiert genug gestellt hat, offenbar, weil ihre Gesprächspartner mit der Antwort zu lange brauchen. Für die Gäste muss das befremdlich wirken, etwa, wenn sie Lars Klingbeil mit einem "Nicht nochmal erzählen!" unterbricht.
Für den Zuschauer hingegen ist es ärgerlich, weil es nicht immer die sinnvollsten Zeitpunkte für Unterbrechungen sind und so Interessantes verloren geht. Und schlussendlich ist es auch nicht gut für Illner, denn auf diese Weise wirkt ihr Moderationsstil unsouverän und ungeduldig, weil man nicht das Gefühl hat, dass sie wirklich an der Antwort des Gegenübers interessiert ist.
Der Schlagabtausch des Abends
Es ist also nicht Maybrit Illner, die an diesem Abend mit ihrer Moderationskunst positiv auffällt. Zwar kommt Illner ihren Pflichten insofern nach, als dass sie unparteiisch und überparteilich bei jedem ihrer Gäste kritisch nachhakt, aber ein Gast zeigt Illner an diesem Abend, wie das noch besser geht und das ist Melanie Amann.
Zugegeben, Amann trägt nicht die Last, die Talkshow zu moderieren, hat aber als Journalistin den gleichen Anspruch wie ihre Kollegin Illner, der Wahrheit auf die Spur zu kommen und dort kritisch zu hinterfragen, wo es nötig ist. Und genau das macht Amann auch, doch im Vergleich zu Illner wirken Amanns Ausführungen und Fragen wesentlich souveräner und dadurch auch treffsicherer.
Und so gehen die entscheidenden Nachfragen nicht über Illners, sondern über Amanns Tisch. Zwar gibt es an diesem Abend nicht den einen grossen Schlagabtausch, aber Amann hakt an den Stellen nach, an denen Illner bereits das nächste Thema im Visier hat.
Als Illner etwa Friedrich Merz fragt, wie es denn um die Einigkeit in seiner Partei bestellt ist und dabei Markus Söders Sorgen vor einem Hineinziehen Deutschlands in Putins Krieg zitiert, beginnt Merz erst mit einer Antwort, ehe Amann dazwischen geht.
Denn Söder habe noch vor ein paar Wochen die Lieferung schwerer Waffen gefordert, wirft Amann ein. "Da irrlichtert er sehr zwischen seinen Positionen – fast ein bisschen wie der Bundeskanzler." Illner möchte da schon weitermachen, doch Amann nimmt ihr das Steuer aus der Hand und fragt Merz, warum er erst einen gemeinsamen Antrag mit Scholz macht und ihn dann in seiner Rede "filetiert": "Sind Sie jetzt bei ihm bei dem Thema oder sind Sie nicht bei ihm?", bohrt Amann nach, was eigentlich Illners Aufgabe gewesen wäre.
Ebenso wie die Reaktion auf die Antwort von Merz. Denn der CDU-Parteichef antwortet zwar, dass es doch seine Aufgabe sei, noch einmal die Entstehungsgeschichte des gemeinsamen Antrags auszuführen, aber nicht, warum. Da wäre es an Illner gewesen, ein parteipolitisches Manöver abzuklopfen, doch stattdessen greift erneut Amann ein: "Man kann es auch taktieren nennen."
Das Fazit
Es waren viele Fragen, die Maybrit Illner an diesem Donnerstagabend klären wollte, allen voran die Frage nach dem Grund des Richtungswechsels. Doch eine wirklich handfeste Antwort sollte der Abend nicht liefern. Stattdessen gab es einen wackeligen Spagat von Friedrich Merz zwischen parteipolitischen Spielchen und seiner Aufgabe als Oppositionspolitiker, eine Moderatorin, die unnötige Hektik in die Diskussion brachte und mit Melanie Amann eine Journalistin, die das wieder wettmachte.
Ein paar gemeinsame Erkenntnisse gab es an diesem Abend allerdings auch. Zum Beispiel, dass man Putin an den Verhandlungstisch bekommen müsse. Hier entscheide dann die aktuelle militärische Lage, wer am längeren Hebel sitzt. Friedrich Merz will dabei aber gar keine Rhetorik vom Gewinnen und Verlieren haben, stattdessen sei das Wichtigste, dass die Waffen erst einmal schweigen. Dazu müsse man die Ukraine ertüchtigen.
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