Immer mehr Alleingänge in der EU: Bei Maybrit Illner ging es am Donnerstagabend um die Migrationspolitik Europas und die Frage, ob die europäische Einheit zerbricht. Dabei nannte Michael Kretschmer eine konkrete Obergrenze für Flüchtlinge und ZDF-Rechtsexpertin Sarah Tacke warnte bei einem Vorstoss: "Dann schaffen wir uns ab."

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Marie Illner dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Im Frühjahr wurde die EU-Asylreform beschlossen, doch schon jetzt ist für viele klar: Sie reicht nicht, um illegale Migration in den Griff zu bekommen. Die Massnahmen sollen bis Juni 2026 umgesetzt sein. Kann Deutschland auf die EU warten? Helfen nationale Alleingänge? Was ist schon vorher möglich? Alles Fragen, die Maybrit Illner ansprach.

Mehr aktuelle News

Das ist das Thema bei "Maybrit Illner"

Polen will das Asylrecht aussetzen, Italien bringt Migranten nach Albanien. Immer mehr EU-Länder verschärfen ihren Migrationskurs und wollen Alleingänge wagen. Illner fragte deshalb: "Zerbricht Europas Einigkeit an der Migration?" Dabei ging es auch um die Frage, was rechtlich überhaupt möglich ist, welche Instrumente noch nicht ausgeschöpft sind und wie wahrscheinlich eine Einigung in Sachen Drittstaaten ist.

Das sind die Gäste

  • Omid Nouripour (Grüne): "Es gibt am Ende nur eine europäische Lösung", war sich der Grünen-Chef sicher. Man müsse alles dafür tun, dass die Zahlen nicht so weiterstiegen wie bislang. In vielen Kommunen seien die Kapazitätsgrenzen erreicht. Grenzkontrollen solle es aber "keinen Tag länger geben, als man sie braucht".
  • Gerald Knaus: "Derzeit sterben im Jahr 1.000 oder mehr Menschen auf dem Weg zu den kanarischen Inseln. Die kommen von da nach Frankreich, Spanien oder Deutschland. Wenn wir uns mit dem Senegal oder Marokko einigen würden, ab einem Stichtag nehmen die jeden zurück, dann steigt nach einem Monat keiner mehr in ein Boot", so der Migrationsforscher.
  • Michael Kretschmer (CDU): "Natürlich wollen wir diesen Menschen helfen, aber in ihren Herkunftsländern", sagte der sächsische Ministerpräsident in der Migrationsdebatte. "Wir sind in einer Situation, wo man alle Instrumente probieren muss", meinte er. Auch Otto Schily und Edmund Stoiber hätten in der Vergangenheit bereits "das Grundgesetz geändert und das Problem geklärt".
  • Kristina Dunz: Die Journalistin vom "Redaktionsnetzwerk Deutschland" war sich sicher: "Für Europa bedeuten die Alleingänge einzelner Mitgliedsstaaten ein Zerfasern und einen Egoismus." Es erschrecke sie, dass wir so "hart, erbarmungslos und inhuman" über Menschen sprechen. "Wir müssen uns schützen, aber der Aspekt der Menschlichkeit ist verloren gegangen. Ich sorge mich vor einer Stimmung der Angst und Aggression", sagte Dunz.
  • Sarah Tacke: Die ZDF-Rechtsexpertin meinte: "Wenn man grundlegend was verändern will, muss man das auch grundlegend angehen." Dabei könne man auf der europäischen, völkerrechtlichen und deutschen Ebene verhandeln. Aber: "Artikel 1 unseres Grundgesetzes hat eine Ewigkeitsklausel. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Niemand darf in den sicheren Tod geschickt werden – daran kommen wir nicht vorbei. Wenn wir das abschaffen, dann schaffen wir uns ab", warnte sie.

Das ist der Moment des Abends bei "Maybrit Illner"

Kretschmer beschrieb die Überforderung der Kommunen etwa in den Integrationskursen und in den Kitas. Man habe dort nicht mehr die Möglichkeit, noch mehr Menschen aufzunehmen. Dann nannte er konkrete Zahlen: "Man braucht ein Zielbild. Das Ziel können nicht 250.000 oder 350.000 Menschen sein wie in der letzten Zeit, sondern 30.000 oder 40.000 für die nächsten Jahre, damit die Integration derer, die da sind, funktionieren kann."

Das ist das Rede-Duell des Abends

Migrationsforscher Knaus berichtete von Asylverfahren in Ruanda. "Der UNHCR bringt 2.500 Leute aus Libyen nach Ruanda, für sie gibt es offene Zentren. Das läuft. Der UNHCR lobt Ruanda dafür", so Knaus.

Dunz mischte sich ein: "Für Deutschland ist er nicht bereit, das zu machen. Der UNHCR hilft doch nicht Ländern wie Deutschland, die zu sowas in der Lage sind." Knaus entgegnete, man muss prüfen, ob die Menschenrechtsbedingungen für die Leute erfüllt seien. Derzeit aber helfe die EU der libyschen Küstenwache dabei, aufs Meer zu fahren, Leute zu holen und sie dann in Lager zu stecken, wo sie grauenhaft behandelt werden. Das sei keine gute Alternative.

So hat sich Maybrit Illner geschlagen

Diese Frage von Illner machte ihren Gast Omid Nouripour richtig sauer: Illner sprach das Thema "sichere Drittstaaten" an. Dabei wollen mehrere EU-Staaten, dass das sogenannte Verbindungskriterium fällt. Es bestimmt, ob ein Asylbewerber eine ausreichende Verbindung zu einem Drittstaat hat, um dorthin zurückgeführt werden zu können.

"Warum sind die Grünen dagegen gewesen und wieso schliessen Sie sich vielleicht heute oder morgen Herrn Kretschmer an und sagen: 'Diese Lösung ist eine gute Lösung?‘", fragte Illner. Nouripour reagierte genervt: "Ich gehe seit einem halben Jahr in irgendwelche Formate und die erste Frage ist: 'Warum sind die Grünen gegen irgendwas?'"

Das ist das Fazit

Der Runde schien es rechtlich möglich und wahrscheinlich, neue Drittstaatenabkommen zu finden. Gleichwohl hielt sie fest: Es wäre ein enormer Aufwand, ausserhalb der EU Verfahren durchzuführen mit Standards wie in der EU. Einig war sich die Runde auch darin, dass der Anschlag in Solingen der falsche Anlass war, um die Debatte über Migration und Zuwanderung wieder hochkochen zu lassen. Das müsse auseinandergehalten werden.

Verwendete Quellen

  • ZDF: Sendung "Maybrit Illner" vom 17.10.2024
Scholz macht Druck bei EU-Asylreform

Kanzler Scholz macht Druck bei EU-Asylreform

Erneut geht es beim EU-Gipfel darum, beim Thema Migration auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Kanzler Scholz drückt zum Auftakt aufs Tempo.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.