Der Tod des Hamas-Chefs Jahja al-Sinwar liess mancherorts auf ein Kriegsende im Gazastreifen hoffen. Bei "Markus Lanz" (ZDF) erklärte CDU-Aussenpolitiker Norbert Röttgen dennoch, warum er Angst vor dem Ausbruch eines Flächenbrandes hat und warum sich Israel in einem Dilemma befindet.

Eine Kritik
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Dass der Hamas-Chef Jahja al-Sinwar von israelischen Soldaten getötet wurde, wurde weltweit als wichtiger Meilenstein und Chance auf ein Kriegsende gewertet. Bei "Markus Lanz" zeigten sich die Gäste jedoch skeptisch und erklärten, wie schwierig ein Ende des Konflikts wirklich sei. CDU-Aussenpolitiker Norbert Röttgen äusserte dazu seine Angst vor einem Flächenbrand.

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Das war das Thema bei "Markus Lanz"

Hamas-Chef Jahja al-Sinwar wurde im Gazastreifen getötet. Laut Informationen des israelischen Militärs starb er während einer Patrouille israelischer Soldaten, bei der es zu einem Feuergefecht kam. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wertete Sinwars Tod bereits als "wichtigen Meilenstein", da er als einer der Drahtzieher der Massaker vom 7. Oktober 2023 galt und für den Tod Tausender Menschen verantwortlich war. Markus Lanz nahm dies zum Anlass, um über das weitere Vorgehen im Krieg und die Zukunft im Nahen Osten zu debattieren.

Das waren die Gäste

  • Norbert Röttgen, CDU-Aussenpolitiker: "Indem es sich gegen die Terroristen verteidigt, untergräbt Israel gleichzeitig auch die Basis seiner langfristigen Sicherheit"
  • Sabine Adler, Journalistin: "Unter einer dünnen Oberfläche spürt man eine enorme Anspannung"
  • Daniel Gerlach, Publizist: "Das ist der Moment, in dem sich für Netanjahu die Möglichkeit ergibt, jetzt diesen Einsatz in Gaza zu beenden"
  • Paul Ronzheimer, Journalist: "Dank moderner Technologie wissen immer alle ganz genau, wo wir Reporter sind - und das ist gefährlich"
Daniel Gerlach, Paul Ronzheimer
Journalist Paul Ronzheimer (r.) und Publizist Daniel Gerlach waren nicht derselben Meinung. © ZDF / Markus Hertrich

Das war der Moment des Abends bei "Markus Lanz"

Nach dem Tod von Hamas-Chef Jahja al-Sinwar erklärte Paul Ronzheimer zunächst hoffnungsvoll: "Für Israel ist das heute ein guter Tag." Laut des Kriegsreporters hoffe die israelische Regierung nun, "dass es eine Möglichkeit gibt, die Geiseln freizubekommen". Gleichzeitig gebe es jedoch "die Angst, dass es auch passieren könnte, dass diese Geiseln erschossen werden".

In Bezug auf Jahja al-Sinwar machte Publizist Daniel Gerlach deutlich, dass er in Israel als "eine Inkarnation des Bösen" gesehen wurde, "weil er eben nicht nur rücksichtslos und brutal war, sondern hochintelligent". Gerlach ergänzte, dass das Bild seines Leichnams nun für Israel zum "Siegesbild" werden könnte, denn: "Das ist der Moment, in dem sich für Netanjahu die Möglichkeit ergibt, jetzt (...) diesen Einsatz in Gaza zu beenden. Zumindest wird er dazu aufgefordert." Paul Ronzheimer reagierte jedoch skeptisch: Der Krieg könne nur dann enden, "wenn die Geiseln freikommen". Dennoch wollte Markus Lanz wissen, ob der Tod des Hamas-Chefs langfristig ein Wendepunkt im Krieg sein könnte.

CDU-Aussenpolitiker Norbert Röttgen antwortete vorsichtig, dass es "unterschiedliche Kriegsfronten" gibt. Dennoch habe Israel "mit der Tötung von Sinwar (...) eines der drei Kriegsziele erreicht" - nämlich die "Ausschaltung der verantwortlichen Führungsebene". Laut Röttgen sei das zweite Kriegsziel die "Geiselbefreiung und das dritte ist, Hamas so zu treffen, dass von Hamas keine Gefahr für die Sicherheit Israels mehr ausgeht".

Laut des CDU-Politikers bestehe deshalb die Hoffnung, nach der Tötung des Hamas-Chefs nun auch "das zweite Kriegsziel zu erreichen" - nämlich die Befreiung der Geiseln in Gaza. Norbert Röttgen fügte jedoch mit ernstem Blick hinzu, dass er "erhebliche Zweifel habe, ob Hamas überhaupt bereit ist, das Faustpfand der Geiseln aus der Hand zu geben". Paul Ronzheimer reagierte prompt: "Ich glaube, mit dem heutigen Tag hat sich sehr vieles hoffentlich verändert."

Das war das Rede-Duell des Abends

Hitzig wurde die Debatte, als es um das verheerende Ausmass der militärischen Einsätze in Gaza ging. Während Paul Ronzheimer klarstellte, dass Benjamin Netanjahu seit dem 7. Oktober um die Existenz Israels kämpfen muss, kritisierte Daniel Gerlach: "Um welchen Preis? Wie viele Tausende Tote, wie viel Zerstörung hat das gekostet?" Der Publizist wetterte weiter, dass es "nicht die Logik sein" könne, "eine unbegrenzte Anzahl von Menschen (...) umzubringen", um die eigenen Sicherheitsinteressen durchzusetzen.

Paul Ronzheimer konterte: "Das habe ich auch nicht gesagt!" Der Journalist stellte daraufhin klar, dass man natürlich über die Verhältnismässigkeit reden muss, aber "Israel dauerhaft in der Existenz bedroht" ist. "Was wäre denn die Alternative gewesen? Hätte man sagen sollen, wir gehen da nicht rein?"

Grund genug für Markus Lanz, über mögliche Kriegsverbrechen in Gaza zu sprechen. Norbert Röttgen reagierte nachdenklich und sagte, dass den Gazakrieg "ein tragisches Dilemma" auszeichnet, "das durch den brutalen Angriff der Hamas auf Israel ausgelöst worden ist". Der 7. Oktober habe nämlich dazu geführt, dass Israel "sich verteidigen musste". Israel sei "durch die Brutalität dieses Angriffs, durch die Inszenierung, durch die mediale Verbreitung" zu "etwas gezwungen worden", so Röttgen. "Israel hatte niemals vor, noch mal in den Gazastreifen zu gehen!"

Die Hamas betreibe es Röttgen zufolge als "Kriegstaktik", sich "hinter Zivilisten und zivilen Strukturen zu verstecken". Dadurch gerate Israel "unausweichlich in ein moralisches Dilemma". Daniel Gerlach konnte dem jedoch nicht zustimmen. Er sagte: "Natürlich war das ein beispielloser Schock für die israelische Gesellschaft und auch für die israelische Regierung. Ich habe aber den Eindruck, dass aus Perspektive der israelischen Regierung es sich nicht um ein moralisches Dilemma handelt." Bereits von Anfang an sei beschlossen gewesen, wie man reagieren werde, "weil man die Bevölkerung von Gaza für verantwortlich hält - nicht Hamas".

Ein Vorwurf, auf den Röttgen mit einem klaren "Nein!" reagierte. Gerlach blieb jedoch bei seiner Meinung und sagte, dass die Haltung "von deutschen Politikern" wiederholt worden sei. Röttgen konterte wütend: "Das bestreite ich wirklich absolut ausdrücklich. Es ist niemals gesagt worden!" Es sei "niemals das palästinensische Volk (...) als Gegner oder Verantwortlicher beschrieben worden. Das wäre auch Unsinn!" Paul Ronzheimer stellte dennoch klar, dass es Debatten darüber gibt, inwieweit Zivilisten in Gaza "mit der Hamas verbandelt" sind. "Die Unterstützung dieser Hamas ist gewaltig (...) und sie ist gestiegen", sagte Ronzheimer.

So hat sich Markus Lanz geschlagen

Markus Lanz machte im Gespräch mit seinen Gästen deutlich, wie fragil die Lage im Nahen Osten auch nach dem Tod des Hamas-Chefs Jahja al-Sinwar weiterhin ist. Dabei ging er vor allem mit Norbert Röttgen auf das Dilemma ein, in dem sich Israel seit dem 7. Oktober befindet.

Das war das Fazit bei Markus Lanz

ZDF-Moderator Markus Lanz stellte am Donnerstag die schwere Frage: "Wie gross ist Ihre Sorge, dass es zu dem Flächenbrand kommt?" Journalistin Sabine Adler warnte daraufhin mit Blick auf Russland, den Iran und Nordkorea: "Ich glaube, das Dilemma ist, dass sich da Kräfte verbündet haben, die mehr als nur irgendwelche Lippenbekenntnisse abgeben." Adler weiter: "Wenn die sich in einem ausgewachsenen Krieg dann auch noch militärisch betätigen, da möchte man nicht dran denken!"

Norbert Röttgen sah dies ähnlich und warnte in Bezug auf Nahost: "Wenn Israel fällt, wird das Chaos umso grösser sein." Es würde "vor allen Dingen Russland sein, das versucht, dann ein solches Chaos auszunutzen, auch China wäre dabei". Dies würde laut Röttgen zu einem "Flächenbrand gefährlichster Art auch für Europa" führen. Der CDU-Aussenpolitiker machte weiter deutlich: "Es würde wirklich ein tödliches Chaos ausbrechen - mit geopolitischer Einmischung."  © 1&1 Mail & Media/teleschau

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