Am Dienstagabend drehte sich bei Maischberger wieder der Grossteil der Sendung um den Ukraine-Krieg, aber der Blickwinkel war ein neuer: Die Moderatorin hatte den ehemaligen russischen Ministerpräsidenten Michail Kasjanow zu Gast, der heute im Exil lebt. Er ordnete Putins Handeln und Motive ein und schätzte ein, ob die Ukraine den Krieg gewinnen könnte.
Im Ukraine-Krieg sind knapp vier Monate nach Kriegsbeginn die ersten schweren Artilleriegeschütze aus Deutschland eingetroffen. Geliefert wurde mit Panzerhaubitzen das modernste Artilleriegeschütz der Bundeswehr. Sie selbst hat solche Geschütze derzeit in Litauen zum Schutz der Nato-Ostflanke stationiert. Reichen tut das aus Sicht der Ukraine nicht, sie fordert weitere Waffen.
Das ist das Thema bei "Maischberger"
Bundeskanzler Olaf Scholz in die Ukraine gereist und hat einen EU-Beitrittskandidatenstatus in Aussicht gestellt. "Hilft das der Ukraine im Krieg? Und: Was macht Putin jetzt?", wollte
Das sind die Gäste
- Alexander Rodnyansky: Der ukrainische Präsidentenberater sagte: "Unser Kampfeswille besteht fort." Von Kriegsmüdigkeit sei nur in Westeuropa die Rede. "Hier ist man müde von dem Krieg, den Bildern, den schlechten Nachrichten. In der Ukraine haben wir keine Wahl", betonte er. Man wolle Ende August mit einer Gegenoffensive starten. "Einen nachhaltigen Frieden kann man mit diesem Regime nicht schliessen", sagte er über den Kreml. Das nächste Sanktionspaket müsse Gas beinhalten. "Es muss nicht direkt ein Embargo sein, es kann ein Strafzoll oder Treuhandkonto kommen", so Rodnyansky.
- Michail Kasjanow: Der ehemalige russische Ministerpräsident sagte: "Die Ukraine hat eine Chance, diesen Krieg zu gewinnen." Putin wolle die gesamte europäische Sicherheitsarchitektur vernichten. "Die Waffenlieferungen aus dem Westen können die Situation so weit bringen, dass tatsächlich die ukrainische Armee eine Übermacht bekommt", war er sich sicher. Sobald Putin anfange, besiegt zu wirken, werde Russland anfangen aus sich selbst heraus zu bröckeln. "Die Sanktionen wirken, das werden wir besonders Ende des Jahres sehen", war er sicher.
Karl Lauterbach (SPD): "Es ist verständlich, dass die Menschen durchatmen wollen und den Sommer geniessen wollen", sagte der Bundesgesundheitsminister. Die Sommerwelle sei vorhersehbar gewesen. " Wir leben im Risiko, aber man kann sich mittlerweile sehr gut schützen", so Lauterbach. An der Isolationspflicht zu drehen, hielt er nicht für richtig, sagte aber: "Wir müssen deutlich besser vorbereitet sein als im Herbst vor einem Jahr." Dazu gehöre eine bessere Datenlage und ein besseres Behandlungskonzept. "Wir könnten viele der Sterbefälle verhindern, wenn die Medikamente besser eingesetzt würden", so Lauterbach.- Jürgen Becker: Der Kabarettist berichtete: "Ich kenne Menschen, die derzeit Horrorfilme gucken, um ein bisschen heile Welt zu sehen." Deutschland könne der Ukraine schneller helfen. Es solle sich an Wiederaufbauprojekten beteiligen. Bei der Diskussion um eine Nutzung der Atomkraft sagte er: "Wenn wir die Brennstäbe bei Friedrich Merz im Garten verbuddeln dürfen, können wir es machen."
- Helene Bubrowski: "
Olaf Scholz ist nicht jemand, der sich von Emotionalität leiten lässt, deshalb glaube ich nicht, dass das etwas geändert hat", sagte die Parlamentskorrespondentin der "Frankfurter Allgemeinem Zeitung" über den Besuch des Kanzlers in der Ukraine. Die Tatsache, dass die Regierung nun eine Liste mit Waffenlieferungen veröffentlichte, kommentierte sie: "Wer es wissen wollte, konnte diese Zahlen sowieso schon abfragen. Es schien wie eine Schutzbehauptung zu sein, dass es aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlicht werden kann." - Stephan Stuchlik: Der ARD-Hauptstadtkorrespondent sagte: "Im Moment hat die Ukraine nicht die Waffen, die sie zielgenau gerade braucht." Er fürchtete, im Herbst könnten die Russen den Donbass besetzt haben. "Dann wird es einen grossen Konflikt geben zwischen der Ukraine und allen westlichen Mächten, weil die Westmächte werden sagen: Jetzt ist der Zeitpunkt zum Verhandeln, Russland wird zum Verhandeln bereit sein und die Ukraine wird nicht bereit sein zu verhandeln, sie wird weiterkämpfen wollen", malte Stuchlik aus.
Das ist der Moment des Abends bei "Maischberger"
Der Moment des Abends kam von einer wichtigen Stimme: Einer russischen, die Putin widersprach. Das hatte an sich schon viel Signalwirkung. Ex-Ministerpräsident Kasjanow sagte: "Was heute passiert, ist ein vollkommen anderer Putin. Er ist unvergleichbar mit dem Putin, mit dem ich zusammengearbeitet habe." Damals habe Putin praktisch alle seine Reformen unterstützt.
"Jetzt ist er ein KGB-Offizier mit völlig verzerrtem Weltbild und engen Denkmustern. Zweifellos ist er gefährlich für die Bürger Russlands und die Bürger aller anderen Staaten", urteilte Kasjanow, der im Exil lebt. Putin sei ein Feind des russischen Volkes, Menschenrechtsaktivisten hätten keine Luft zum Atmen mehr.
Das ist das Rede-Duell des Abends
Das Rede-Duell des Abends entspann sich zwischen Bubrowski und Stuchlik. "Es ist wenn überhaupt ein Trostpflaster", sagte Bubrowski über die Ankündigungen zum EU-Beitrittskandidatenstatus der Ukraine. "Damit geht überhaupt nichts einher, es ändert an der Lage der Ukraine gar nichts", erinnerte sie. Die Menschen in der Ukraine würden nicht in Kategorien von zehn oder 20 Jahren denken, sondern in ein oder zwei Wochen.
Stuchlik entgegnete: "Ich glaube nicht, dass es nur ein nettes Symbol ist." Es handele sich um ein riesiges Geschenk für die Ukraine. Kiew hoffe als EU-Mitglied auf Beistand der anderen EU-Länder. Brubowski schaltete sich wieder ein: "Das hat aber trotzdem auch ein Frustrationspotenzial." Wenn die zeitliche Perspektive so lang sei, stelle sich die Frage, wie lange die Ukrainer noch hofften und konstruktiv mitarbeiten wollten.
So hat sich Sandra Maischberger geschlagen
Solide, aber nicht herausragend war die Moderation von Maischberger am Dienstagabend. Durchgekaut wirkten die Fragen: "War das Versprechen beim Kiew-Besuch mehr als nur Symbolpolitik?" und "Sind die Waffenlieferungen ausreichend?". Die grössten Teile der Antworten konnte sie sich sicherblich ausmalen. Spannender waren da die Fragen: "Was ist Putin für ein Mann?" an einen, der ihn schon getroffen hat, sowie die Frage "War da Druck im Kessel?" in Bezug auf die Offenlegung der deutschen Waffenlieferungen.
Das ist das Ergebnis bei "Maischberger"
Es war nicht unbedingt eine inhaltliche Erkenntnis, die die Zuschauer an diesem Abend mit aus der Sendung nehmen konnten, vielmehr war es die Zusammensetzung des Studios, die wichtige Signale sendete. Der Auftritt des ehemaligen russischen Politikers Kasjanow, der vehement gegen Putin wetterte, erinnerte nämlich daran, dass der Kreml nicht mit Gesamtrussland gleichgesetzt werden darf und sollte. Gesprächskanäle offenzuhalten meint also nicht nur Telefonate mit Putin.
Verwendete Quellen:
- ARD: Sendung "Sandra Maischberger " vom 21.06.2022.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.