Dass die Deutschen "Verantwortung übernehmen" sollen auf der Welt und derzeit speziell in Syrien, hört sich für viele gut an. Ganz anders und recht provokativ brachte es Maybrit Illner auf den Punkt: "Deutsche Soldaten sollen dorthin, wo gestorben wird."

Eine Kritik

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Das Thema am Donnerstagabend bei Maybrit Illner hiess nur vordergründig: "Taten statt Worte in Syrien – auch mit deutschen Soldaten?"

Natürlich ging es auch und vor allem um den Vorstoss der Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer für eine Sicherheitszone in Syrien.

Ein Vorstoss, dessen Nachteil zunächst einmal vor allem darin bestand, dass er innerhalb der Koalition nicht abgesprochen war und – schlimmer noch – dass auch die Verbündeten in der NATO und die aussenpolitischen Partner in der EU erst aus der Presse von diesem Vorschlag erfuhren. "SMS-Diplomatie", hatte Aussenminister Heiko Maas das genannt.

Das waren die Gäste bei Maybrit Illner

Zunächst zwei aussenpolitische Hochkaräter: Ruprecht Polenz, von 2005 bis 2013 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, und Heiko Maas, Aussenminister seit März 2018.

Als Vertreter der direkt betroffenen deutschen Soldaten war André Wüstner da, Bundesvorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbandes.

Für die syrische Bevölkerung sprach vor allem der Journalist Aktham Suliman.

Als unabhängigste Beobachterin in der Runde durfte Souad Mekhennet gelten – sie ist Sicherheitskorrespondentin und Terrorexpertin der renommierten "Washington Post" und kennt den Kriegsschauplatz Syrien aus eigener Anschauung.

Das waren die wichtigsten Beiträge

Ruprecht Polenz war der einzige in der Runde, der Kramp-Karrenbauers Initiative für eine von Blauhelmen gesicherte Schutzzone im Norden Syriens verteidigte - wenn auch nicht mit viel Elan.

Die allgemeine Tendenz der Politik sei es, einen "grossen Bogen" um das Thema zu machen – Polenz meint, wie auch die übrigen Anwesenden: "Das können wir aber nicht."

Der richtige Weg ist für Polenz der von AKK eingeschlagene: Die Vereinten Nationen einbinden und dann verhindern, dass Russlands Putin und die Türkei unter Recep Tayyip Erdogan allein bestimmen, wie es in Syrien weitergeht.

André Wüstner wies auf die Gefahr einer "Überdehnung" der Aufgaben der Bundeswehr hin. In zehn internationale Missionen ist die Truppe derzeit mit mehr als 3.000 deutsche Soldaten involviert.

Er betonte einmal mehr, dass die Bundeswehr schlecht ausgerüstet sei, dass an allen Enden Material fehle. Wenn Kramp-Karrenbauer "neu priorisieren" wolle, müsse sie anderswo "Truppen und Fähigkeiten" abziehen.

Suliman legte den Finger ganz tief in die Wunden der deutschen Aussenpolitik: Die Vereinbarung zwischen Putin und Erdogan, prophezeit er, werde Bestand haben.

Vor allem aber: Die beiden hätten einen Zustand geschaffen, der eindeutig "viel besser als vorher" sei. Er bringe nicht nur Russland und der Türkei Vorteile, sondern auch Syrien, das jetzt endlich wieder auf eine staatliche Einheit zusteuere. Der Westen dagegen habe viel zu viel Zeit mit Abwarten verschwendet.

Die Journalistin von der "Washington Post" trat bei Illner am intensivsten für die Kurden ein.

Mekhennet fragte mehrmals nach, was mit den nun vertriebenen Menschen geschehen werde, die jahrelang im Sinne des Westens den Islamischen Staat bekämpft haben und die IS-Kämpfer bewachten, die in Nord-Syrien gefangen gehalten wurden.

Und sie wies vehement darauf hin, dass die Kurden immer wieder an Europa appelliert hätten, ihre Staatsangehörigen unter den IS-Gefangenen zurückzunehmen – die nun in grosser Zahl aus den zurückgelassenen Gefängnissen entkommen.

Maas blieb bei alldem staatsmännisch, diplomatisch und vor allem: sehr blass. Als Illner die Frage aufgriff, wo denn nun die Kurden hinsollen, antwortete der Aussenminister, man habe Erdogan "klar gesagt, dass der Einmarsch völkerrechtlich nicht okay ist."

Es sei auch klar, dass er sich aus Syrien wieder zurückziehen müsse. Man müsse dafür "im Dialog bleiben, aber klare Standards setzen". Und man müsse Erdogan "klarmachen, dass auch die Kurden ein Interesse haben, in Syrien zu leben."

Solche Statements haben, mit Verlaub, auch nicht mehr Substanz als Annegret Kramp-Karrenbauers viel gescholtene Initiative. Erdogan jedenfalls wird sich nicht so leicht von Maas‘ Einschätzung überzeugen lassen, Dialog hin oder her.

Das war der Fehltritt des Abends

Muss man lustig sein, wenn es um Krieg und Frieden geht? Muss man Witze machen über die beiden Männer, die es in wenigen Tagen geschafft haben, den Syrienkonflikt völlig neu zu definieren? Muss man einen Einspieler, der Erdogan und Putin beim Handschlag zeigt, mit einem albernen Hit der Comedian Harmonists untermalen ("Ein Freund, ein guter Freund")?

Nein, liebe Redaktion, die beiden Herren sind keine Witzfiguren – sie ziehen die Fäden in einer höchst blutigen Angelegenheit. Solche Scherze dürfen Sie gerne der "heute-Show" überlassen!

Was war das Ergebnis?

Ein Satz fiel verdächtig oft in Illlners Talk: "Das Ding ist gelaufen". Mit anderen Worten: Kramp-Karrenbauers Initiative kommt zu spät, der Westen hätte viel, viel früher agieren müssen.

Nun, da war sich die Runde einig, müssen alle an einen Tisch: Russland, die Türkei, das Assad-Regime, die USA, die involvierten regionalen Mächte wie Saudi-Arabien und der Iran.

Sie müssten mithilfe der UNO einen Verfassungskonvent für Syrien auf den Weg bringen – doch vorher müsste das Land befriedet sein, müsste es Meinungs- und Pressefreiheit geben. Dazu würde es viel Geduld brauchen, aber möglicherweise doch keine deutschen Soldaten.

Die grösste Überraschung war dann wohl, dass sowohl Maas wie auch der syrische Journalist sich optimistisch gaben, dass schon im nächsten Jahr wichtige Schritte in Richtung einer Lösung getan werden könnten. Woher diese Hoffnung kommt, konnte der Abend nicht so recht deutlich machen.

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