Wer übt Gewalt aus und warum? Und wie kann sich die Gesellschaft davor schützen? Diese Fragen sollten nach Köln und Istanbul im Vordergrund stehen. Die erstaunlich konstruktive Debatte bei "Maybrit Illner" zeigt: Statt Gespräche über angebliche Problemkulturen zu führen, sollten wir viel eher die Probleme mit unserer Gesprächskultur überdenken.
Das neue Jahr beginnt mit Nachrichten über Gewalt: Am Kölner Hauptbahnhof kam es zu in der Silvesternacht zu massiven Übergriffen. Die Tatverdächtigen sind überwiegend nordafrikanischer Abstammung. Am Dienstag starben zudem deutsche Touristen bei einem Terroranschlag in Istanbul.
Die Frage, ob man diese beiden Ereignisse unbedingt in einer Sendung verbinden muss, sei dahingestellt. Immerhin löst
Was steckt hinter dem Anschlag von Istanbul?
Zunächst steht der Terroranschlag in Istanbul im Vordergrund. Die türkische Regierung hat nur wenige Stunden danach den IS für den Anschlag verantwortlich erklärt und Details zum Attentäter genannt. Die Schnelligkeit der Information habe ihn sehr gewundert, sagt Guido Steinberg, Terrorismus-Experte der "Stiftung Wissenschaft und Politik" (SWP). Er vermutet, dass es im Vorfeld bereits Warnungen gegeben habe.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière äussert sich vorsichtig zu der Frage, ob der IS tatsächlich hinter den Anschlägen steckt. Deutsche Behörden bekämen jedenfalls "vollen Einblick" in die Ermittlungsarbeit. Bisher gebe es keine Hinweise darauf, dass sich der Terror gezielt gegen Deutsche gerichtet habe.
Grünen-Vorsitzender
"Die Türken fragen sich: Wie gut kann uns der Staat schützen?", sagt auch Anwältin Seyran Ates. Der touristisch überlaufene Sultanahmet-Platz, auf dem der Anschlag geschah, gelte seit Jahren als gefährdet.
Der IS will Angriffe provozieren
Die Atmosphäre in der Türkei sei irritierend, meint Ates. Zwischen der türkischen Polizei und Kurden kommt es fast täglich zu Gewalt, auch an die im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlinge habe man sich gewöhnt: "Man zählt nur noch die Leichen."
Die jüngsten Anschläge könnten auch damit zusammenhängen, dass der IS sich in die Enge getrieben fühlt, glaubt
Dies bedeute zwar nicht, dass dessen Gegner auf einen militärischen Kampf verzichten können. "Es bleiben aber noch andere Möglichkeiten, dem IS politisch und moralisch das Wasser abzugraben", meint Ulrich. So hätte eine Luftbrücke für die Hungernden der belagerten syrischen Stadt Madaja eingerichtet werden können.
Was bedeuten die Vorfälle von Köln für die Polizei?
Auch die Übergriffe am Kölner Hauptbahnhof haben bei vielen Menschen Ängste ausgelöst – auch weil für die dortigen Opfer der Schutz durch die Polizei nicht gegeben war. Sichtlich aufgebracht darüber zeigt sich Sebastian Fiedler, stellvertretender Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Besonders beklagt er das fehlende Problembewusstsein in der Politik.
Schliesslich sei die Polizei immer auch von politischen Entscheidungen abhängig. "Das Schlimme ist, dass immer erst Opfer entstehen müssen, damit mal wirklich etwas passiert", schimpft Fiedler. Eine Diskussion wie derzeit im Landtag von Nordrhein-Westfalen hätte er sich schon vor Jahrzehnten gewünscht.
Eine Situation wie am Kölner Hauptbahnhof habe aber auch die Polizei bisher nicht gekannt: "Wir waren von diesem Phänomen überrascht." Dass sich in Köln, aber auch anderswo Bürger nun mit Waffen eindecken, sieht der Polizei-Vertreter mit Sorge. Er befürchtet, dass der Staat so das Gewaltmonopol verlieren könnte.
Wir müssen über die Täter reden – nur wie?
Die Vorfälle allein waren schon schlimm genug, doch das Kommunikationsdesaster in den Tagen danach hat es noch schlimmer gemacht. Die Herkunft der Täter vertuschen zu wollen, hat sie umso mehr in den Fokus gerückt.
Doch das Problem auf kulturelle Unterschiede zu reduzieren, wird es nicht lösen. Die Übergriffe haben Lücken im deutschen Sexualstrafrecht aufgezeigt. Auch der Umstand, dass die Täter teils alkoholisiert gewesen sind, spielt eine viel grössere Rolle als ihre Religion. "Es gibt einen unheimlichen Zusammenhang zwischen Gewalt an Frauen und Alkohol", erinnert Anwältin Ates.
Auch in den meisten islamischen Ländern sind sexuelle Übergriffe auf Frauen in der Öffentlichkeit tabu. In Marokko und Tunesien dulden dies weder die Gesellschaft noch der Staat, betont Islam-Experte Steinberg. De Maiziere weist auf Kriminalitätsstatistiken hin, in denen Syrer einen unterdurchschnittlichen Anteil haben, währenddessen Täter aus Nordafrika und den Westbalkanländern überproportional häufig vertreten sind.
Öffentlichkeit muss diskutieren - ohne rechte oder linke Polemik
Nach den Recherchen der "Zeit" gibt es dafür laut Journalist Ulrich vor allem eine Erklärung: "Es gibt hunderttausende, wenn nicht Millionen junge Männer in nordafrikanischen Ländern, die keine Perspektive haben und deswegen nach Europa gehen wollen."
Doch weil sie in Europa keine Chance haben, als Asylbewerber anerkannt zu werden, gerieten sie schliesslich in die Kriminalität und gewöhnten sich daran. Das deckt sich mit den Erfahrungen von Polizei-Vertreter Fiedler: "Viele hatten gar nicht vor, hier kriminell zu werden."
Um diese Strukturen erkennen und bekämpfen zu können, muss aber in der Öffentlichkeit darüber diskutiert werden – ohne dass die Debatte von rechter oder linker Polemik vereinnahmt wird. Journalist Ulrich prangert an, dass Politik und Medien bei Problemen mit Flüchtlingen zu viel Angst hätten. "Es ist die Angst: Wenn was passiert, kippt die Stimmung", meint er.
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