Angesichts der Gästeliste hätte man am Mittwochabend bei Sandra Maischberger eine gesittete Runde zum Ukraine-Krieg erwarten können. Doch die Redaktion hatte auch eine direkte Diskussion zwischen Norbert Röttgen und Oskar Lafontaine geplant, bei der es wie zu erwarten zur Sache ging. Ein gutes Bild abgegeben hat dabei aber nur einer der beiden.
Es wird verhandelt, aber es wird eben auch weiter bombardiert. Kann man unter diesen Bedingungen der russischen Seite trauen? Was würde ein Energieboykott für welche Seite bedeuten? Wie geplant war dieser Krieg und was sollte der Westen jetzt tun? Darüber diskutierte
Mit diesen Gästen diskutierte Sandra Maischberger
Annalena Baerbock (B’90/Die Grünen), AussenministerinPetra Gerster , Journalistin- Ulrike Herrmann, Journalistin der "taz"
- Rainer Hank, Journalist der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung"
Oskar Lafontaine , ehemals Die LinkeNorbert Röttgen (CDU), Aussenpolitiker
Die Themen des Abends
In einer Viererrunde mit Gerster, Herrmann und Hank diskutiert Maischberger die Person Putin, die richtige Strategie, die Rolle von
In Bezug auf die Worte von US-Präsidenten Biden, Putin sei ein "Schlächter" und "könne nicht an der Macht bleiben" ist sich die Runde zwar einig, dass die USA keinen Regimewechsel anstreben, bei der Wirkung der Worte aber nicht. "Vielleicht war das sogar gut", meint Ulrike Herrmann, denn wenn Putin keines seiner Ziele erreiche, habe er durch einen Verbleib an der Macht, "eine zusätzliche Möglichkeit bekommen, sein Gesicht zu wahren." Gerster sieht aber auch, dass Putin dadurch noch mehr "in die Ecke gedrängt werden könnte und dann erst recht eskaliert", schliesslich habe noch kein unterlegener Kriegsherr im Amt überlebt.
Die Aufrüstung des Westens sei zwar nicht alternativlos, man dürfe aber auch nicht naiv sein, meint Rainer Hank. Ulrike Herrmann sieht in der Aufrüstung vielleicht sogar eine Option auf ein Ende des Krieges, denn Geschichte wiederhole sich. "Dadurch, dass Summen genannt werden, wird Russland unter Druck gesetzt. Russland ist ein armes Land (…) Der Westen kann Russland totrüsten", meint Herrmann, denn das wisse auch Putin und das könnte ihn zu Gesprächen zwingen. Das setze aber bei Putin eine Rationalität voraus, die er nicht sicher sehe, wendet Rainer Hank ein.
Lesen Sie auch: Alle Entwicklungen im Ukraine-Krieg finden Sie in unserem Live-Blog
Beim Punkt Rationalität gibt Petra Gerster angesichts der Spekulationen, Putin könne vielleicht verrückt sein, zu Bedenken: "Putin hat diesen Krieg seit mindestens 15 Jahren vorbereitet intensiv. Mit Worten, mit Desinformation, mit Propaganda, mit seinem Auslandssender RT und mit seinen Trollfabriken, mit denen er die westliche Welt überschwemmt hat, mit Desinformationen und Fake-News."
"Stimmt, er hat alles wunderbar vorbereitet, aber leider, leider hat er vergessen, seinem Generalstab zu sagen, dass er einen Krieg plant", ergänzt Ulrike Herrmann. Der Geheimdienst und die Armee hätten erst kurzfristig davon gewusst und es sei nichts vorbereitet gewesen, meint Herrmann und nennt ein Beispiel: "Ganz viele von den russischen Soldaten, die jetzt tot sind, sind an Tetanus gestorben. (…) Daran sieht man ja, dass nichts vorbereitet war."
In der Runde gab es keine Einigung, ob ein Energieboykott den Krieg nun beendet oder nicht. Allerdings sind sich Gerster, Herrmann und Hank einig, dass der Auftritt von Bundeskanzler Scholz bei "Anne Will" bedenklich gewesen ist. Dort hatte Scholz die Einschätzung mancher Wissenschaftler zum Energieboykott als "unverantwortlich, irgendwelche mathematischen Modelle zusammenzurechnen, die dann nicht funktionieren" gewertet. Für Gerster erklärt Scholz seinen Bürgern zu wenig: "Es wäre jetzt auch mal der Zeitpunkt, nicht gerade eine Blut-Schweiss-und-Tränen-Rede zu halten – aber so was Ähnliches", meint Gerster, um die Bevölkerung auf den kommenden Verzicht einzustellen: "Das Energiesparen wäre die wirksamste Massnahme jetzt, um schneller davon loszukommen."
Das Interview des Abends
Annalena Baerbock ist aus Berlin zugeschaltet und muss sich zuerst Fragen nach ihren Emotionen stellen: Ob sie sich an die neue Welt gewöhnt habe, wie erschrocken sie über Bidens Worte war und ob sie eine Welt ohne Putin besser findet. Erst dann wird Maischberger substanziell. Ob Putin ein Kriegsverbrecher ist, will die Moderatorin wissen und Baerbock antwortet, wie sie angesichts ihres Amtes eigentlich nur antworten kann: "Gerichte werden über Kriegsverbrechen urteilen müssen. Aber alles, was wir sehen, das sage ich auch als Aussenministerin, das sind Dinge, die Kriegsverbrechen am Ende ausmachen."
Bezüglich eines möglichen russischen Einsatzes von chemischen oder biologischen Waffen, will sich Baerbock nicht an Spekulationen über die darauffolgenden Reaktionen beteiligen. Stattdessen, auch wenn es einem das Herz zerreisse, müsse man eine Eskalation vermeiden. In Bezug auf die Verhandlungen könne man den Ankündigungen der russischen Seite nicht trauen, nichtsdestotrotz unterstütze man die Gespräche. Man müsse sich aber klar sein, dass wenn Putin von Neutralität der Ukraine spricht, man in der Ukraine unter Neutralität etwas ganz anderes verstehe. Das Wichtigste sei aber, dass die Bombardierung der Zivilbevölkerung unverzüglich aufhöre.
Als Maischberger über einen Energieboykott und den diesbezüglichen Frust von Ukraine-Präsident Selenskyi reden will, findet Baerbock deutliche Worte zur Politik der Vorgängerregierung: "Es ist ja kein Geheimnis, dass auch ich in der Vergangenheit immer wieder deutlich gemacht habe, dass ich die Strategie, die in den letzten Jahren gefahren worden ist, zum Beispiel die Gaspipeline Nordstream 2 als ein rein wirtschaftliches Projekt zu sehen, und jegliche geopolitische Dimension und auch die Sicherheitsfrage der Ukraine zu leugnen, für absolut falsch gefunden habe."
In diesem Dilemma der Abhängigkeit wäre ein Energieboykott naheliegend, allerdings seien für Baerbock zwei Punkte wichtig: Durch die Sanktionen gegen die russische Nationalbank würden Putin die Einnahmen aus den Energie-Lieferungen nichts nutzen. Zum anderen brauche man einen Komplettausstieg von fossiler Energie aus Russland, nur müsse man den mit anderen Ländern abstimmen: "Wir können unseren Ausstieg nicht zulasten anderer Länder machen. Wenn wir komplett aus Gas- und Öl aussteigen, (…) dann kaufen wir diese Energie weltweit an anderen Orten. Das bedeutet aber, dass andere Länder dann eben das Öl und das Gas woanders nicht mehr kaufen können." Dann würde die Solidarität der Mehrheit der Staaten der Welt mit der Ukraine wegbrechen.
Die Erinnerung des Abends
Sandra Maischberger bringt am Ende des Interviews mit Baerbock die Zukunft der jüngeren Generationen ins Spiel, die sehr viel weniger friedlich sei, als die Kindheit von ihr und Baerbock. Dem pflichtet Baerbock bei und ruft dann in Erinnerung, was gerne von rechten Parteien in ihren nationalistischen Fantasien vergessen wird: "Manchmal hat man ja auch gefragt: Was soll das eigentlich, diese Europäische Union? Aber jetzt macht sie sehr, sehr deutlich, was der Sinn und Zweck ist: Dass unsere Grossmütter und Grossväter dafür gesorgt haben, dass aus Feinden Freunde geworden sind, die ihre Wirtschaft so eng verwoben haben, dass die EU-Staaten nicht mehr gegeneinander Krieg führen. Das war das grösste Glück und wir haben jetzt die Verantwortung, dass auch zukünftige Generationen dieses Friedensprojekt Europa in ganz Europa in den nächsten Jahrzehnten leben können."
Der Schlagabtausch des Abends
An diesem Abend ist man sich bei Sandra Maischberger in vielem einig, in manchen Punkten aber auch nicht. Einen richtigen Schlagabtausch gab es aber eigentlich nur zwischen Norbert Röttgen und Oskar Lafontaine, aber genau deshalb wurden die beiden wahrscheinlich auch zusammen eingeladen. Die beiden Politiker, der eine aktiv, der andere seit Kurzem nicht mehr, sind sich in so gut wie keinem einzigen Punkt einig.
Als es um die erwähnten Fehler deutscher Politik geht, nimmt der Schlagabtausch erstmals richtig Fahrt auf. Lafontaine bestreitet, dass es Fehler gegeben habe, verweist aber nicht auf Putin, sondern auf die Entspannungs- und Ostpolitik. Nach Widerspruch von
Nun stolpert Lafotaine durch die Weltgeschichte und wirft mit Nebelkerzen um sich: Kuba würde man dieses Recht nicht zugestehen, frei zu entscheiden, die Nato habe schon andere Staaten bedroht, weil die USA Mitglied der Nato ist, Putin sei ein Kriegsverbrecher, Biden aber auch. Röttgen widerspricht, versucht aber gleichzeitig Lafontaines Ablenkungsmanöver zu umgehen und wieder auf das eigentliche Thema, nämlich Putins Krieg zu kommen. Als Lafontaine einen Energieboykott ablehnt und mit Arbeitslosigkeit und steigenden Preisen gerade für Menschen mit niedrigeren Einkommen begründet, platzt Röttgen die Hutschnur.
Lafontaine liege falsch, weil man bei einem Sieg Putins einen gespaltenen Kontinent und eine ständige atomare Bedrohung habe. Ausserdem seien Lafontaines Worte empörend, weil "den Mitbürgern mit geringerem Einkommen zu unterstellen, dass sie nicht bereit wären, selbst mit ihrem geringeren Einkommen einen Beitrag zu leisten, dass nicht mehr die Babys sterben, weil sie erfrieren oder verdursten und nicht die Kinder sterben und anderen die Arme abgeschossen werden. Das ist unglaublich. (…) Das denken Deutsche nicht und das unterstellen Sie ihnen."
Das Fazit
Es war eine sehr volle Diskussion, weil Maischberger die gleichen Themen auf drei Diskussionsrunden verteilt hat. Dadurch kam es inhaltlich zu Doppelungen, was aber in diesem Fall gar nicht schlimm war. In anderen Talkshows wird so etwas in einer grossen Runde diskutiert, hier konnte man als Zuschauer so den einzelnen Meinungen besser folgen, da man nicht von den üblichen parteipolitischen Kämpfen und Spielchen am Zuhören gehindert wurde.
Die gab es dann beim Schlagabtausch zwischen Röttgen und Lafontaine zuhauf, als Lafontaine mit unredlichen Methoden argumentierte. "Es geht leider nur über Verhandlungen", antwortet Lafontaine, als ihn Maischberger fragt, wie er den Krieg beenden würde. Da widerspricht Röttgen energisch: "Sie setzen den Fehler fort, den wir gemacht haben: Putin zu glauben." Das bisherige Verhandeln Putins sei Kriegstaktik. Lafontaines Antwort: "Sie plädieren dafür, die Verhandlungen abzubrechen?" Davon hatte Röttgen aber gar nichts gesagt. Das ist für einen so erfahrenen Rhetoriker wie Lafontaine dann doch ein bisschen billig.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.