Bei "Maybrit Illner" streiten sich die Gäste beim Thema Corona-Impfungen für Kinder und Jugendliche. Eine Expertin schliesst sogar eine allgemeine Impfpflicht für alle Bürger nicht aus – als letztes Mittel in der Bekämpfung der Pandemie.

Eine Kritik

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Was ist das Thema?

Die Menschen in Deutschland geniessen angesichts niedriger Inzidenzzahlen wieder gewonnene Freiheiten: Restaurants besuchen, Kultur erleben und in den Urlaub fahren.

Doch mitten in die schöne Sommer-Stimmung platzt der rasante Anstieg der Delta-Variante des Coronavirus, die wohl deutlich ansteckender als die Ursprungsvariante und womöglich auch gefährlicher ist. Das naheliegende Thema bei Maybrit Illner am Donnerstagabend: "Mit dem Virus im Gepäck – wie riskant wird der Sommer?".

Das sind die Gäste bei Maybrit Illner

  • Manuela Schwesig: Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern warnt davor, die Fehler aus dem letzten Sommer zu wiederholen. Die SPD-Politikerin pocht daher auf strengere Einreiseregelungen, zwei PCR-Tests und fünf Tage Quarantäne. Sie konnte sich damit aber bisher nicht durchsetzen. Wann zieht die Bundesregierung diesbezüglich die Zügel an?
  • Helga Rübsamen-Schaeff: Die Virologin und Expertin für Infektionskrankheiten warnt mit Verweis auf Israel, das eine der höchsten Impfquoten der Welt aufweist, vor der weiteren Verbreitung der offenbar deutlich ansteckenderen Delta-Variante in Deutschland. Rübsamen-Schaeff fordert daher eine deutlich höhere Durchimpfung, die auch Kinder und Jugendliche einschliessen sollte. Während Thomas Mertens, der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (STIKO) sich in einem kurzen Einspieler gegen Letzteres ausspricht. Grundsätzlich stellt Rübsamen-Schaeff klar: "Die Impfung muss (für alle Bürger, Anm. d. Red.) freiwillig bleiben." Als Ultima Ratio, also letztes Mittel, sei eine Impfpflicht jedoch vorstellbar.
  • Lisa Federle: Auch die Pandemiebeauftragte des Landkreises Tübingen sieht im munteren Reiseverhalten vieler Menschen aktuell ein Problem. Besonders die Bilder der teilweise vollen Stadien bei der Fussball-EM sieht sie als "Unding". Und das, wo wir in Deutschland "die ganzen Kinder und Jugendlichen eingesperrt haben", beschwert sie sich. Das könne man ihnen nicht erklären. Federle fordert von der EU mehr Druck auf die Uefa zu machen, um solche Bilder beim restlichen Turnier zu vermeiden.
  • Christian Lindner: Für den Partei- und Fraktionsvorsitzenden der FDP müssen ein erneuter Lockdown und neue Schulschliessungen im Herbst unbedingt vermieden werden – durch hohes Tempo beim Impfen und die Aufrechterhaltung der Test-Infrastruktur. Lindner fordert eine abgestimmte Strategie in Europa, unter welchen Bedingungen Reisen möglich sind sowie grössere Einreisebarrieren für Virusmutationsgebiete. Zudem spricht sich der FDP-Politiker für mobile Impfteams an Schulen aus, durch die sich Freiwillige immunisieren lassen können. Es ist ein ungewohnt geräuschloser Auftritt Lindners. Wohl auch, weil kein weiterer Politiker in der Runde sass, den er attackieren kann – Manuela Schwesig hat an diesem Abend zu wenig Angriffsfläche geboten.

Das ist das Rededuell des Abends

Dies ist kein Abend der Rededuelle, auch wenn die Einschätzungen an der einen oder anderen Stelle mal auseinandergehen. Zum Beispiel zur Frage, wie gefährlich ein teil- oder vollbesetztes Stadion in der Pandemie ist.

Aerosol-Experte Gerhard Scheuch gibt sich jedenfalls recht entspannt. In Deutschland ist die Inzidenz mit sechs bis sieben Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern derzeit niedrig. Scheuch rechnet vor: Auf 10.000 Zuschauer im Stadion kommen zumindest in Deutschland im Schnitt nur 0,7 Infizierte. Und ein einzelner Infizierter werde nicht gleich das ganze Stadionrund anstecken.

Da kommt ein Veto aus London. "Die Signalwirkung, die von vollen Stadien ausgeht, ist: Es ist in Ordnung, in vollen Stadien Fussballspiele zu schauen", sagt ZDF-Korrespondentin Diana Zimmermann. Vor diesem Eindruck würden Experten in Grossbritannien dringend warnen.

Das ist der Moment des Abends bei "Maybrit Illner"

Impfungen für Kinder und Jugendliche erhitzen bei Maybrit Illner besonders die Gemüter. Während sich Helga Rübsamen-Schaeff ausdrücklich dafür ausspricht, fordert Lisa Federle: "Erstmal alle Erwachsenen impfen."

Denn wenn bei den Impfungen – noch gebe es keine abgeschlossenen klinischen Studien über Spätfolgen – irgendetwas schief geht, "dann machen wir uns an den Kindern schuldig", bemerkt die Ärztin. "Weil wir sie in erster Linie impfen, um uns abzusichern." Also die Erwachsenen.

"Auch um sie abzusichern", ruft Rübsamen dazwischen. Federle bleibt bei ihrem Punkt. "Aber in erster Linie um uns abzusichern." Rübsamen: "Die können auch krank werden." Schliesslich verweist Federle auf die bisherigen Todeszahlen von Kindern durch das Coronavirus in Baden-Württemberg: null. Federles Fazit: "Deswegen müssen wir das ganz sorgfältig abwägen." In Deutschland gab es seit Pandemiebeginn laut Statista 21 Corona-Tote unter 20 Jahren, elf davon bei den unter Zehnjährigen (Stichtag: 29. Juni).

Was war der Moment des Abends?

Für den sorgt Tübingens Pandemiebeauftragte Lisa Federle. Mit einem leidenschaftlichen Appell für die Bedürfnisse von Kindern, Jugendlichen und anderen jungen Menschen, die von den Massnahmen der Corona-Bekämpfung besonders schwer betroffen sind und "vor die Hunde gehen".

Eindringlich schildert Federle Fälle von jungen Menschen, die keinen Platz bei Psychologen mehr finden, weil alle vergeben sind. Depressionen und Suizidgedanken bei Studenten seien ein grosses Problem. "Das sind auch potenzielle Tote", warnt die Ärztin.

Wie hat sich Maybrit Illner geschlagen?

Für Maybrit Illner ist es eine Sendung ohne die ganz grossen Aufreger und Kontroversen. Informationen statt Polemik! In Erinnerung bleibt ihr Nachhaken bei Helga Rübsamen-Schaeff, wie tödlich eigentlich die Delta-Variante sei. Selbst die Expertin, die zur Fraktion "Mahnen und Warnen" gehört, muss zugeben, dass es aktuell keine Belege für eine höhere Sterblichkeit gibt. Die Gefahr liegt ihr zufolge in der höheren Ansteckungsrate, durch die im Verhältnis zum Ursprungsvirus mehr Menschen erkranken und sterben.

Am Ende grillt Illner noch Manuela Schwesig. Die wollte aber partout nicht verraten, wie viele Luftfilter in Schulen in ihrem Bundesland schon aufgestellt worden sind.

Was ist das Fazit?

Ein erneuter Lockdown soll unbedingt vermieden werden. Darin sind sich alle in der Runde einig. Und um das zu erreichen, ist eine hohe Impfquote ein ganz wichtiges Instrument. Rübsamen spricht sich dafür aus, Kreativität walten zu lassen, um Menschen ans Impfen heranzuführen. In den USA wurden zum Teil Geldgewinne unter Impfbereiten verlost. Aber die Expertin ging noch weiter: "Als Ultima Ratio: Impflicht einführen".

Soweit will Christian Lindner nicht mitgehen. Ja, das seien "Abwägungsfragen" und ja, bei anderen Krankheiten gebe es in Deutschland eine Impfpflicht. Aber "aus psychologischen und gesellschaftspolitischen Gründen" würde er aktuell von solchen Überlegungen abraten. Womöglich auch aus wahltaktischen Motiven. Vor der Bundestagswahl im September macht sich so ein Eingriff in die persönlichen Freiheitsrechte gerade als Liberaler nicht gut. SPD-Länderchefin Schwesig begibt sich erst gar nicht aufs dünne Eis einer Impfpflicht-Debatte.

Ein ganz praktischer Vorschlag kommt schliesslich noch von Lisa Federle: Sommerferien verkürzen und Winterferien verlängern. Damit die Kinder in den pandemisch schwierigen, nass-kalten Monaten möglichst wenig in der Schule sind.

Federle zieht auch ein Fazit, dass das Potenzial hat, so manchem die unbeschwerte Urlaubszeit zu verderben. "Wir werden mit dem Virus leben müssen. Und das auf längere Zeit", sagt sie. Sie fügt hinzu: "Vielleicht sitzen wir in zwei Monaten hier rund reden über Omega". Gemeint ist eine womöglich noch fiesere Corona-Mutation als die derzeit im Umlauf befindlichen. Denkbar ist das allemal: Global betrachtet sind nämlich erst zehn Prozent der Menschen geimpft.

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